Familienspiele:Zeitvertreib für den Lockdown

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Ein Spiel, das perfekt zur aktuellen Zeit passt: "Pandemie". Für Weihnachten empfiehlt der Leiter des Spielearchivs Tom Werneck jedoch andere Spiele. (Foto: Claus Schunk)

Tom Werneck hat in seinem Archiv in Haar mehr als 20 000 Brett- und Gesellschaftsspiele gesammelt. Für die Weihnachtsfeiertage finden sich dort Klassiker und Kuriositäten - teils mit erschreckender Aktualität.

Von Bernhard Lohr, Haar

Wer noch nicht genug hat von Lockdown, Quarantäne und Diskussionen über Impfstoffe oder besser verstehen möchte, was derzeit gerade passiert, kann zu einem Brettspiel greifen, das schon 2009 für den Kritikerpreis "Spiel des Jahres" nominiert war und 2018 einen Sonderpreis erhielt. Das Spiel "Pandemie" zeigt auf dem Cover als Helden eine Ärztin und einen Soldaten mit Rotem Kreuz auf dem Helm vor Weltuntergangskulisse. "Könnt ihr die Menschheit retten?" Darum geht es.Tom Werneck, der Leiter des Bayerischen Spielearchivs in Haar, kennt es natürlich. Es sei ein "sehr, sehr erfolgreiches Spiel", sagt er. Und es ist von bedrückender Aktualität.

Niemand muss natürlich gerade jetzt zu Weihnachten ein Pandemie-Spiel spielen. Das Bedürfnis nach Ablenkung, nach etwas Heiterem vielleicht dürfte groß sein in dieser Zeit. Und die Möglichkeiten, sich in der Familie mit Würfeln und einer ausgeklügelten Spielidee zu unterhalten und gemeinsam Spaß zu haben, sind schier unbegrenzt.

Tom Werneck hat 20 000 Brettspiele in seinem 1996 gegründeten Archiv in Haar, Jahr für Jahr kommen einige hundert dazu. Regelmäßig richtet Werneck in Haar Spiele-Erfindermessen aus und sondiert, was alles auf den Markt kommt. Dieses Jahr hat das coronabedingt allenfalls virtuell stattgefunden. Statt in Vitrinen im Rathausfoyer präsentiert das Archiv derzeit gemeinsam mit dem Spieletreff Aschheim online eine Ausstellung mit 39 Spiele-Empfehlungen für Familien und Kinder.

Das Pandemie-Spiel ist bei der Empfehlung, die auch eine enge Auswahl darstellt, nicht dabei. Die Vielfalt ist aber groß. Zum Beispiel gibt es das Spiel "Blätterrauschen" vom Kosmos-Verlag. Es ist ein so genanntes Roll-and-write-Spiel, wie sie zurzeit in Mode sind. Es kommen Vögel vor, Schmetterlinge, Bienchen und ein brummiger Bär. Die Spieler würfeln und schreiben die Ergebnisse auf ihre Blöcke und sammeln nach einer ausgefuchsten Logik Punkte.

Tom Werneck mag solche Spiele, die nach dem Prinzip von Kniffel funktionieren, bei dem ja auch je nach gewürfelter Kombination, etwa Full-House oder Großer Straße, Punkte anfallen. Die Spielutensilien könne man leicht in eine Tasche packen, sagt Werneck. Und Spaß mache das auf jeden Fall.

In der virtuellen Ausstellung werden Spiele empfohlen

Allerdings wirken die Spielschachteln nicht mehr so bieder wie bei Kniffel. Ähnlich zu Computerspielen entwickelt sich bei Brettspielen die Grafik weiter. Das gilt für "Blätterrauschen" genauso wie für das ebenfalls vom Spielearchiv empfohlene Legespiel "Paris", bei dem als Spielidee umgesetzt wird, dass man in Paris schon von 1661 an begann, als erste Stadt der Welt eine flächendeckende Straßenbeleuchtung einzuführen. "Wenn es nett aussieht", sagt Werneck, "dann schmeckt es auch besser." Bei Paris muss man Plätze mit Plättchen belegen, Bauplätze reservieren und Flächen für Gegenspieler blockieren. Zum Teil ist das im Stil der Plakate der Belle Époque ausgestaltet.

In der virtuellen Ausstellung ( https://spiele-archiv.de/index.php/de/virtuelle-ausstellung) werden Spiele vom Spielearchiv direkt empfohlen und andere vorgestellt, die beim Wettbewerb "Spiel des Jahres" zumindest nominiert waren, beim "Kennerspiel des Jahres" oder beim "Kinderspiel des Jahres". Für jede Altersgruppe ist etwas dabei. "Schlaffe Gestalten schlurfen durch die Schule. Sie haben Hunger und sonst wenig Motivation: Die Zombies sind da." So wird in das Spiel "Zombie Kidz Evolution" eingeführt, das schon Siebenjährige spielen.

Wenn es ums Spielen geht, ist der Profi Tom Werneck totaler Pragmatiker. Er spielt gerne die Klassiker Rummikub oder Scrabble. Ein Kartenspiel wie Canasta ist für ihn immer aktuell. Oder Malefiz, wo man wie bei Mensch-ärgere-dich-nicht würfelt, aber dem Gegner noch Blockaden in den Weg stellen kann: "Das ist reine Strategie", sagt Werneck.

Wer im Lockdown viel Zeit hat und spielen will, muss also nicht gleich das Pandemie-Spiel spielen, bei dem es übrigens tatsächlich um so aktuelle Fragen geht, ob nun ein Impfstoff entdeckt wird und auch, ob er dann verfügbar ist. Typische Logistikprobleme werden simuliert. Und schließlich erleben die Spieler, wie schnell sich eine Pandemie mit exponentiellen Infektionszahlen ausbreiten kann. Am Ende stürzen ganze Kontinente ins Unglück.

Wobei gerade jemand wie Werneck in der Pandemie die positive Kehrseite der Medaille sieht, dass viele die Brettspiele wieder entdecken, da sie auf ihre Familien und ihr Zuhause zurückgeworfen sind. "Man kann ja nicht nur fernsehen", sagt Werneck. "Ganz sicher ist die Brettspielbranche ein Gewinner dieser Corona-Pandemie." Für Werneck freilich ist das Brettspiel mehr als schöner Zeitvertreib und eine durch ungünstige Umstände befeuerte vorübergehende Passion. Er brennt fürs Brettspiel seit Jahrzehnten.

Auch ein Trump-Spiel gehört zur Sammlung

Das Spiel "Trump - the Game" gehört auch zum Bestand des Bayerischen Spielearchivs in Haar. (Foto: Claus Schunk)

Werneck war Mitgründer des Deutschen Spielearchivs in Nürnberg und hat in Haar seine Sammlung aufgebaut, um der Nachwelt die Fülle der Spiele zu erhalten, die auf den Markt kommen. Denn viele Spiele verschwinden in der Versenkung und sind bald auch nicht mehr lieferbar. Eine solche Rarität, die ebenso von politischer Aktualität ist wie das Pandemie-spiel, ist ein Trump-Spiel, das Werneck vor bald 40 Jahren bei einem New-York-Besuch im Trump-Tower erstanden hat, ohne zu ahnen, dass aus dem selbstverliebten Immobilienmogul einmal ein US-Präsident werden würde, der mit Lügen und spalterischer Rede die Demokratie herausfordert. Bei dem Spiel "Trump - the Game" kaufen die Spieler Fluglinien, Hotels und Casinos, um möglichst reich zu werden. Das Spiel zeige wunderbar, was für ein Charakter Trump sei, so Werneck.

Der Archivar versteht sich als Diener der Wissenschaft und wurde durch die Vereinten Nationen schon für seine Arbeit geadelt. Gemeinsam mit dem Deutschen Spielearchiv hat er erreicht, dass die Förderung von Brettspielen im Register "Guter Praxis­Beispiele" zum Erhalt des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit geführt wird. Derzeit bereitet Werneck die Bewerbung vor, damit das Brettspiel selbst als Welterbe anerkannt wird.

© SZ vom 24.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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