Selbstversorgung:Urban Schrebergarten

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In Unterschleißheim bauen interessierte Laien auf kleinen Parzellen Obst und Gemüse an - sozial, ökologisch und günstig

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Auch im Spätherbst ist viel zu tun auf den Parzellen. (Foto: Robert Haas)

Mutter, Vater, Tochter, Sohn. Eine komplette Familie rückt mit Spaten und Eimern an. Die Frau fängt gleich an, in einem Beet Grünzeug auszurupfen. Der Bub packt eine vertrocknete Sonnenblume am Stängel und versucht, sie mit Gewalt aus dem Boden zu reißen, was nicht gleich gelingt. Eine ältere Frau pflückt nebenan versonnen Beeren von einem Busch. Jeder versteht halt etwas anderes unter "Urban Gardening".

An diesem Sonntagnachmittag treibt es einige hinaus auf den von der Sonne beschienenen Flecken Erde neben dem Waldfriedhof in Unterschleißheim. Es ist freundlich für die Jahreszeit. Und viele, die sonst ganz andere Dinge tun, sind zwischen Staude, Kohl und Ringelblume in ihrem Element. Michael Bauer, 32, ist Bauingenieur von Beruf. Er hat es vor ein paar Jahren nicht mehr ausgehalten zuhause in der Wohnung ohne Garten. "Aus der Not heraus", sagt er, habe er sich an das Rathaus gewandt, um eine Fläche zum Garteln zu bekommen. "Ich wollte halt mein eigenes Zeug anbauen." Es waren dann schließlich 4000 Quadratmeter Acker "Am Weiher", nahe der damaligen Tierauffangstation. Ein bisschen viel, wie er sagt. Deshalb holte er sich Leute dazu, die das selbe Bedürfnis hatten wie er. 25 Gartenfreunde pflanzten, jäteten und ernteten dann dort, bis man 2019 den Umzug anging auf die knapp 9000 Quadratmeter große Fläche südlich des Münchner Rings. "Urban Gardening Unterschleißheim" ist dort jetzt auf einem Container am Eingang zu lesen.

Den dringenden Wunsch, sich selbst mit gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen, hat Michael Bauer wohl einst bei seinem Großvater im Schrebergarten mitbekommen. "Urban Gardening" klingt hipper, meint aber etwas, das eine lange Tradition hat. Immer schon wurde in Städten Obst und Gemüse angebaut, wo Bedarf an frischer Ware bestand. Ein Sechstel der Stadtfläche von Paris war im 19. Jahrhundert Garten. Doch als frisches Gemüse und Obst dank Kühlung in Geschäften dauerhaft verfügbar wurde, machte sich keiner mehr die Finger schmutzig. Jetzt ist durch den Wunsch nach einem naturverbundenen Leben und gesunden wie günstigen Lebensmitteln der Anbau in der Stadt wieder angesagt.

Michael Bauer, der "Urban Gardening" nach Unterschleißheim geholt hat, schaut mit Eva Riedl, was jetzt noch zu ernten ist. (Foto: Robert Haas)

In Metropolen ziehen Menschen auf Dächern und kleinsten Flächen, manchmal in Baulücken, Salat und Bohnen. In Unterschleißheim werden wie in einer Schrebergartensiedlung Parzellen genutzt. Aber es gibt keine Zäune und keine Häuschen. Die Hobbygärtner arbeiten nebeneinander, kommen ins Gespräch und schließen Freundschaften. Michael Bauer steht an diesem Sonnentag mit Alex Piwecki, einem Werbefachmann, und Andreas Fend, einem Software-Entwickler, im hinteren Bereich des Geländes beisammen. Fend ist der Mann fürs Technische. Er hat geholfen, neun Wasserzisternen übers Areal verteilt aufzubauen, die ein Fassungsvermögen von je 1000 Litern haben. Befüllt werden sie aus einem Brunnen mit einer Pumpe, die über ein Solarpaneel und ein kleines Windrad mit Strom versorgt wird.

Piwecki gehört zum Gelände wie fest verwurzeltes Gewächs. Er sei fast immer da, scherzen die anderen. "Ja total", sagt Piwecki auf die Frage, ob er in der Gartenarbeit aufgeht. Er hat gleich fünf Parzellen für sich reserviert, erntet, gräbt um, sät und probiert immer wieder Neues aus. Soeben hat er Winterroggen ausgesät, den er im Frühjahr untergräbt, um den Boden mit Nährstoffen zu versorgen. Ein Blick ins Internet, reiche nicht, um sich schlau zu machen, sagt er. "Man sollte schon mal paar Fachbücher zu Rate ziehen." So spielten wenige Grad hin oder her schon eine Rolle bei der Entscheidung, was angebaut werden sollte. Geschützt hinter Stauden wachsen andere Pflanzen. "Du hältst den Wind ab und fängst die Sonne ein", sagt Piwecki, der sich zum versierten Spargelbauern entwickelt hat. Jeder auf den 130 Parzellen hat sein Steckenpferd.

Alexander Piwecki ist sowieso immer auf dem Feld zu finden. (Foto: Robert Haas)

Martin Bauer findet besonders gut an der Unterschleißheimer Fläche, dass mehrjährige Pflanzen möglich sind und Parzellen über Jahre hinweg bearbeitet werden können. Er liebt Himbeeren frisch vom Busch und streicht heraus, dass das selbst gezogene Obst auch unschlagbar günstig sei. Andreas Fend erzählt von alten Samensorten, die man im Wasmeier-Museum in Schliersee kaufen kann. Malve zum Beispiel hat es ihm angetan, eine alte Spinatsorte. Er hat "viele, viele Erdbeeren", und dann sind da noch die mexikanischen Gurken auf seiner Parzelle, die am Rand des Geländes liegt. Die kleinen Früchte, die aussehen wie Mini-Wassermelonen, schnappt sich manch einer, der auf dem angrenzenden Spazierweg vorbeikommt. Die zwei bis drei Zentimeter großen knackigen Gurken schmecken wie Salatgurken und sind für Passanten der perfekte Snack. Fend nimmt es gelassen und sieht es als Werbung fürs Urban Gardening. Es gibt asiatische Familien, spanische und türkische Hobbygärtner auf dem Gelände. Alle bauen anderes an. Man lernt voneinander. "Das ist sehr sozial hier", sagt Fend, "nicht nur ökologisch."

Ringelblumen blühen. Spitzkohl ist hier und da noch zu sehen, auch Mangold und Grünkohl. Kürbisse stehen vereinzelt herum. Pastinaken und Rosenkohl werden auch noch spät geerntet. Die meisten Parzellen sind aber abgeräumt. Es ist Erntedankzeit und auch der Moment zurückzuschauen auf ein schwieriges Jahr, mit viel Nässe und etlichen Schnecken. Alex Piwecki hat Beerensaft abgefüllt, Marmelade eingekocht und nicht nur Spargel an seine Eltern und sein Schwester weitergegeben. Es wird viel getauscht. Und es bleibt genügend Nahrung für andere, die selbst nichts anbauen. Mehrere Bienenvölker produzieren Urban-Gardening-Honig, der im örtlichen Baumarkt verkauft wird. Hasen sind regelmäßig zu Gast und Eichhörnchen sammeln vor dem Winter fleißig Früchte ein, die sie an einem vermeintlich sicheren Platz verstauen. Sie füllen damit die Gummistiefel, die im Schuppen stehen.

Wer Interesse an einer Parzelle hat, kann sich bei Michael Bauer per E-Mail an gartenush@gmail.com melden. Sie kosten 165 Euro Pacht im Jahr, dazu kommen 20 Euro Anmeldegebühr. Nähere Informationen sind unter https://urbangardening.business.site/ zu finden.

© SZ vom 11.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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