Regisseur:Der Folterknecht in uns

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Alexander Klessinger hat mit seinen Schülern "Das Experiment" von Mario Giordano bearbeitet. (Foto: oh)

Alexander Klessinger geht mit Neubiberger Gymnasiasten der Frage nach, wann Menschen ihre Moral über Bord werfen

Interview von Daniela Bode, Neubiberg

Bei den Theaterprojekten des Wahlkurses "Dramatisches Gestalten" des Gymnasiums Neubiberg ist ein spannender Abend gewiss. Alexander Klessinger, der Regisseur des Theaterprojekts, probt derzeit mit seinen 26 Schülern für ihr neues Stück. Zu sehen ist es von Mittwoch, 29. März, bis Samstag, 1. April, jeweils von 20 Uhr an im Theaterkeller des Gymnasiums an der Cramer-Klett-Straße 10. Spenden sind erwünscht. Die SZ sprach mit dem Lehrer über das aktuelle Projekt.

SZ: Sie greifen gerne gesellschaftskritischen Stoff auf. Was haben Sie sich dieses Mal vorgenommen?

Alexander Klessinger: "Das Experiment" von Mario Giordano. Es stellt die Gegebenheiten des Stanford-Prison-Experiments nach.

Worum geht es in dem Stück?

Auf der Inhaltsebene geht es darum, dass Probanden gesucht wurden für ein zweiwöchiges Experiment an der Universität. 13 Personen nehmen daran teil. Fünf von ihnen kommt per Los die Rolle des Wärters zu, acht die des Häftlings. Im Keller der Universität wird ein Gefängnistrakt nachgebaut, in dem die Probanden zwei Wochen leben sollen. Ein Sozialpsychologe begleitete das Experiment. Es wurde berühmt, weil es binnen kürzester Zeit zu Gewaltexzessen kam. Das Experiment wurde nach sieben Tagen abgebrochen. Im Stück wird nur gesagt, der Versuch solle abgebrochen werden. Das Wesentliche ist: Es sind alles ganz gewöhnliche Bürger gewesen, die aber in einem gewissen Umfeld bereit waren, zum Äußersten zu gehen und ihre eigenen Wertvorstellungen zu verraten.

Was wollen Sie mit dem Stück zeigen?

Es geht um das Stichwort Integrität. Wie lange handeln wir unseren Wertvorstellungen gemäß? Wir können ja in allen historischen Epochen beobachten, dass Menschen bereit sind zu foltern. In Abu Ghraib, wo die Soldaten in bestimmten Situationen ihre Moral über Bord werfen, oder der IS, der über Gewaltvideos junge Menschen anzieht. Nach 1945 wurde oft gesagt: "Wir haben ja nur Befehle ausgeführt." Im Experiment sagten die Probanden: "Wir mussten doch für Ordnung sorgen." Es ist eine grundsätzliche Frage, die wir in dem Stück etwas breiter darstellen. Auch beim Konsum stellt sich die Frage jeden Tag: Wenn ich beispielsweise billige Kleidung kaufe, billige ich Kinderarbeit.

Sie erarbeiten sich den Stoff mit den Schülern ja stets sehr intensiv, schreiben eigene Texte, diskutieren viel. Wie sind Sie dieses Mal vorgegangen?

Wir haben selbst Texte geschrieben. Aus dem Milgram-Experiment, in dem es auch darum geht, dass normale Bürger unter bestimmten Umständen zu Folterknechten werden können, haben wir eine TV-Show erarbeitet. Denn Fernsehen ist ja auch ein Feld, in dem Menschen bloßgestellt werden können. Der Text bildet die Anfangszene unseres Theaterabends. Angeregt durch das Buch "Neununddreißigneunzig", das beschreibt, wie die Werbebranche Menschen hörig macht, haben wir eine eigene Werbeszene geschrieben. Es wird ein Joghurt angepriesen, im Hintergrund sind Bilder von Massentierhaltung zu sehen, um den grotesken und moralisch fragwürdigen Kontrast zwischen schillernder Werbewelt und den Produktionsverhältnissen in ein szenisches Bild zu fassen. Ich habe die Hälfte des Stückes gestrichen, damit viel Raum ist für eine Meta-Ebene und viele Referenztexte.

Haben manche Schüler sich auch wie im echten Experiment verführen lassen, Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht tun würden?

In gewisser Weise schon. Ich habe ihnen am Anfang des Kurses gesagt: Überlegt euch, ob Ihr wirklich eine Wärterrolle einnehmen wollt. Ihr müsst dann in euch nach etwas suchen, was ihr im Alltag nicht tut, ihr müsst die Sau in euch rauslassen. Mehrere Schüler waren überrascht, dass sie das plötzlich in sich mobilisieren konnten. Die These des Stücks ist ja, dass das jeder in sich trägt.

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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