Pullach:Freunde unter Beschuss

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Die Pullacher Partnerstadt Baryschiwka in der Ukraine war bereits direkt vom Krieg betroffen, damals wurde auch diese Kirche in einem nahegelegenen Dorf verwüstet. (Foto: privat)

Boris Skoryk aus dem ukrainischen Baryschiwka erzählt bei einem Besuch in Pullach von Krieg und Leid. Er nimmt Trost und Hilfsmittel mit in die geschundene Partnergemeinde.

Von Michael Morosow, Pullach

Es ist eine andere Welt, in die Boris Skoryk für wenige Tage eingetaucht ist. Weit weg von Krieg und Leid, von Bomben und Zerstörung. Der Vorstandsvorsitzende des Partnerschaftenvereins Baryschiwka/Beresan ist zu Gast bei seinen Freunden in der Gemeinde Pullach, die mit ihm und zwei Dolmetscherinnen Donnerstagabend im Biergarten des Isartal-Brauhauses in Großhesselohe an einem großen Tisch sitzen und ihn erzählen lassen. Dass die ausgelassene Stimmung am Nebentisch nicht herüberschwappt, verwundert nicht. Es ist bereits 23 Uhr, als Boris Skoryk mit Wodka aus seiner Heimat zwölf Gläser füllt und einen Toast ausspricht, den man auch ohne Übersetzung versteht: Auf die Ukraine als Teil von Europa. Etwa zur selben Zeit hat in seinem Land die Sperrstunde begonnen, die bis fünf Uhr am Morgen gilt, wie seit Beginn des russischen Angriffskrieges.

Mit am Tisch sitzen neben den Gemeinderäten Alexander Betz (FDP) und Holger Ptacek (SPD) die Mitglieder des Pullacher Partnerschaftenvereins um ihre Vorsitzenden Otto Horak und Barbara Kammerer-Fischer, die schon in Friedenszeiten stets ein offenes Ohr für die Nöte ihrer ukrainischen Partnergemeinden hatten und jetzt umso mehr, nachdem die russischen Angreifer ganze Ortschaften zerstört haben, insbesondere bei einem Raketenangriff am 11. März auf Baryschiwka, und die Not groß ist. Wenn Boris Skoryk am Sonntag wieder zurückfährt in sein geschundenes Land, dann mit viel Hilfe im Gepäck. So etwa 34 000 Euro aus einem Sonderbudget der Gemeinde, die noch fehlen, um eine zerbombte Sauerstoffanlage eines Krankenhauses zu erneuern. 25 000 Euro hat das Unternehmen Vema Versicherungsmakler Genossenschaft eG dezidiert für das Kinderhaus Mira in Baryschiwka gespendet.

Mit der vom Krieg gezeichneten Gemeinde Baryschiwka unterhält Pullach seit 32 Jahren enge Beziehungen - es ist die einzige Städtepartnerschaft einer Kommune aus dem Landkreis München in die Ukraine. (Foto: privat)

Auch eine vom Partnerschaftenverein Pullach finanzierte Solaranlage eines Altenheim wurde zerstört, alle Röhren seien kaputt, berichtet Boris Skorky. Die Reparaturkosten müssten noch ermittelt werden. Die alten Menschen hätten während der Kämpfe im Haus bleiben müssen, "alles ist zerstört, verschmiert und zerschlagen", übersetzt Dolmetscherin Ludmilla Simonenko die Schilderungen Skorkys. Die Menschen seien in einem Altenheim in 170 Kilometer Entfernung vorübergehend untergebracht worden. Drei Dörfer bei Baryschiwka seien nahezu vernichtet worden, eine dreiköpfige Familie auf der Flucht erschossen worden, sehr viele weitere Menschen schwer verletzt, darunter ein Bauer, der mit seinem Traktor auf eine Mine gefahren sei, zwei Kirchen seien vernichtet worden, eine davon aus dem 17. Jahrhundert, "sehr, sehr schlimm", sagt Boris Skorky am Ende seiner Aufzählung.

Aktuell ist man beim Pullacher Partnerschaftenverein bemüht, zwei weitere Fahrzeuge für die ukrainischen Freunde erwerben zu können: ein Müllfahrzeug, das bei den Aufräumarbeiten gebraucht wird, und einen Krankenwagen als Ersatz für ein bei einem Unfall völlig zerstörtes Rettungsfahrzeug, das Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) und Otto Horak vor sieben Jahren persönlich nach Baryschiwka gebracht hatten. Bei dem Unfall war der Fahrer ums Leben gekommen. Vermutungen, der Wagen sei auf eine Mine gefahren, widersprach Horak am Donnerstag im Biergarten. Der Unfall habe sich bereits vor dem Krieg ereignet auf eisglatter Straße. Die Wiederbeschaffung wird freilich nicht einfach sein. Der Markt sei leergefegt, berichtet Barbara Kammerer-Fischer.

Bevor Boris Skorky am Sonntag wieder heimfährt, wird er sich wohl um 17 Uhr am Baryschiwka Platz einfinden zum Innehalten für den Frieden - seit Kriegsbeginn eine feste Einrichtung.

In einer früheren Fassung hieß es irrtümlich die Spende von 25 000 Euro an das Kinderkrankenhaus Mira in Baryschiwka habe die Münchner Firma Freudenberg geleistet. Tatsächlich aber ist es die Vema Versicherungsmakler Genossenschaft eG, die das Geld gespendet hat.

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