Pullach:Die Systemkritikerin und der Herr von der FDP

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Konfrontation: Pullachs FDP-Ortsvorsitzender Michael Reich im Gespräch mit Ulrike Herrmann. (Foto: Claus Schunk)

Publizistin Ulrike Herrmann spricht im Bürgerhaus über Kapitalismus und Klimawandel - dagegen demonstrieren Liberale, mit ihr diskutieren wollen sie aber nicht.

Von Hannah Wilholt, Pullach

Es ist ein ungewohntes Bild, das sich den Besucherinnen und Besuchern des Pullacher Bürgerhauses am Donnerstagabend geboten hat: ein kleines Häufchen Männer und Frauen mittleren Alters mit gelben Plakaten, auf denen pinkfarbene Parolen wie "Vorsicht vor Sozialisten", "Atomkraft = Brückentechnologie" und "Wohlstand und Klimaschutz" stehen und dazu das Logo der FDP. Freidemokraten als Demonstranten? In der Tat. Wenn jemand es wagt, den Kapitalismus zu kritisieren, dann stehen zehn FDP-Mitglieder sogar im Regen.

Unter dem Motto "Ökologische Effizienz durch Soziale Marktwirtschaft" wollen sie die Pullacher Bevölkerung vor Ulrike Herrmann warnen. Die Journalistin und Publizistin präsentiert an diesem Abend im Bürgerhaus vor ein paar Dutzend Zuhörenden die Thesen aus ihrem Buch "Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". In den Augen des Pullacher FDP-Gemeinderats Michael Reich, der zugleich Organisator der Mini-Demo ist, ist die Autorin eine "Kapitalismuskritikerin", die in der Isartalgemeinde nichts zu suchen hat - schon gar nicht in einem öffentlichen Gebäude der Kommune.

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Der FDP-Ortsverband protestiert gegen den Auftritt von Kapitalismuskritikerin Ulrike Herrmann im Bürgerhaus.

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Was Reich und die örtliche FDP ungemein stört: Für die Veranstaltung, bei der auch Pullachs grüne Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund sprach, hatte die Gemeinde mit dem Satz geworben: "Der Kapitalismus zerstört Klima und Umwelt, was uns als Menschheit existenziell gefährdet." Dabei ist es Fakt, dass der Klimawandel menschengemacht ist und die Erderwärmung seit dem Beginn der Industrialisierung, und somit dem Anfang des Kapitalismus, drastisch gestiegen ist. Auch Reich versichert, die FDP streite den Klimawandel nicht ab. "Das Problem, das wir sehen, ist, dass der Klimawandel zum Anlass genommen wird, eine Diskussion über den Systemwechsel zu führen", kritisierte der FDP-Politiker vor der Veranstaltung und der Demo.

Nach Ansicht von Herrmann hat die FDP "da etwas falsch verstanden". "Ich bin keine Kapitalismuskritikerin", sagte die Journalistin der Zeitung taz gleich zu Beginn ihrer Lesung. "Ich bin fasziniert von unserem Wirtschaftssystem." Aber das Wachstum, ohne das der Kapitalismus nicht existieren könne, zerstöre das Klima. Dagegen helfe nur ein "grünes Schrumpfen". Die anderen Ansätze, die es zur Bekämpfung der Klimakrise gibt, hält sie für unzureichend. Das Modell des Konsumverzichts basiere etwa auf einem "Missverständnis, wie der Kapitalismus funktioniert": Man konsumiere nicht, um seine Bedürfnisse zu stillen, sondern um das Wachstum und die Arbeitsplätze zu sichern. Ohne Konsum, sprich ohne Wachstum, würde der Kapitalismus nicht bestehen können. Für die Idee von einem grünen Wachstum, wie sie die FDP "da draußen" vertrete, werde Öko-Energie zu knapp und zu teuer bleiben.

Zurück aufs Wohlstandsniveau von 1978

Daher ist aus Herrmanns Sicht das Ende des Kapitalismus unabdingbar. Die Zukunft sieht sie in einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, in der überlebensnotwendige Güter rationiert werden. Diese Rationierung stellt sie sich ungefähr so vor wie die Kriegswirtschaft in Großbritannien zwischen 1939 und 1954. Dazu müsse die Gesellschaft nicht auf den Lebensstandard der Kriegsjahre zurückfallen, sondern lediglich auf das Wohlstandsniveau Westdeutschlands im Jahr 1978, als die Bundesrepublik die Hälfte ihrer heutigen Wirtschaftsleistung hatte. Diese Kehrtwende werde ein wahnsinniges Projekt. "Das wird nichts, wenn ganz Deutschland denkt, dass dafür ein Mann zuständig ist, nämlich Robert Habeck", so Herrmann.

Darüber könnte man nun diskutieren, aber das wollte FDP-Mann Reich nicht, der sich während des Vortrags dann doch in den Saal gesetzt hatte, obwohl er das zunächst abgelehnt hatte, um nicht als "Störer" wahrgenommen zu werden. "Ich diskutiere gern auf Podien, aber nicht aus dem Publikum", beschied er. So beließ es der Liberale bei einer Wortmeldung und dem Vorwurf an Herrmann, diese begehe "viele faktische Fehler und fatale Vereinfachung" - ohne dies jedoch weiter auszuführen. Dann ging er aus dem Saal, ohne die Antwort von Ulrike Herrmann abzuwarten.

Dabei gibt diese ihm grundsätzlich Recht, wonach ihr Vorschlag rein hypothetischer Natur sei. "Der Fehler, den der Herr von der FDP macht, ist, dass man nur das denken kann, wofür es eine Mehrheit gibt." Ob die Mehrheit sich womöglich irrt, um diese Frage könne sich ein Politiker jedoch nicht kümmern, da er sich an der Mehrheit orientieren müsse. Herrmann weiß, dass sie eine "absolute Minderheitenposition" vertritt und die Regierenden mit ihrer Forderung nach einem Ende des Wachstums nicht erreichen wird.

Denn am Ende ist es eben so, wie die amerikanische Pop-Sängerin Lana del Rey singt: "Money is the anthom of success", zu Deutsch "Geld ist die Hymne des Erfolgs".

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