Pullach:Bedrohte Heimat

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Karl Jopp, Irmtraud Mallach und Uta Mandrak (von links) helfen als sogenannte Hausaufgabencoaches auf der Burg beim Deutschunterricht. (Foto: Claus Schunk)

Die Burg Schwaneck bietet noch immer vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Zuhause. Hier sind sie in einem für sie fremden Land endlich angekommen. Doch ob und wie es für sie in Pullach weitergeht, ist ungewiss.

Von Melanie Artinger, Pullach

"Am schlimmsten ist, ganz allein zu sein, ohne Eltern, ohne Geld. Es gibt keine Menschlichkeit." Ein Jahr lang war Asad ( Name geändert) auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Immer voller Angst. Über den Sudan, Libyen und die Türkei kam der nun 18-jährige Somali nach Deutschland. "Es gibt dort schlimme Leute. Du hast kein Geld, sie bringen dich um", sagt er. Gern spricht er nicht von dieser Zeit. Doch nun ist Asad angekommen, in Pullach, auf der Burg Schwaneck, seiner neuen Heimat.

Kreisjugendring und Diakonie Jugendhilfe arbeiten in Pullach eng zusammen

Am Anfang war auch Ankommen hier schwierig. Asad kannte niemanden hier, er sprach kein Deutsch und kannte die Kultur nicht. "Ich musste alles neu lernen. Aber die Betreuer haben uns immer geholfen. Sie sagen uns, was richtig ist und was falsch." Nach vier Monaten, sagt Asad, wurde ihm erst bewusst: "Jetzt bist du da!" Bei diesem Satz strahlt der junge Mann.

Damit Asad und andere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im vergangenen Jahr in der Burg nicht nur eine Unterkunft, sondern ein Zuhause finden konnten, arbeiten das Burg-Personal vom Kreisjugendring München-Land und die Betreuer der Diakonie Jugendhilfe Oberbayern eng zusammen. Der Herbergsbetrieb in dem 1843 errichteten Gebäude wurde dafür bis Mitte 2017 eingestellt. In Zeiten der Vollbelegung wurden hier 116 junge Asylsuchende, die ohne erwachsene Bezugsperson nach Deutschland gekommen sind, 24 Stunden am Tag intensiv betreut. In jedem der vier Teams gibt es einen psychologischen Fachdienst, an den sich die Jugendlichen jederzeit wenden können. Die Jungen und Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren besuchen Übergangsklassen oder berufsvorbereitende Klassen im Landkreis.

Besonders wichtig ist es, den Jugendlichen einen strukturierten Alltag zu bieten. "Hilfe zur Verselbstständigung" nennt das Birte Storck von der Diakonie. Als Teamleiterin gehört es zu ihren Hauptaufgaben, die Jugendlichen zu erziehen und ihnen gewisse Alltagsnormen wie Pünktlichkeit oder Verbindlichkeit zu vermitteln. Viele seien das aus ihrem Kulturkreis genauso wenig gewohnt, wie sich warm anzuziehen, wenn es draußen kalt ist. Oder dass man eben auch bei schlechtem Wetter zur Schule geht.

Nicht immer ist es einfach, die wichtigsten Regeln durchzusetzen. Zum Beispiel, wenn ab 22 Uhr Nachtruhe ist, und alle auf ihren Zimmern bleiben sollen. "Das versuchen die Jungs schon öfters mal hinauszuzögern. Ich muss noch schnell mein Schulbuch aus einem anderen Zimmer holen oder das Handyladekabel suchen, hören wir Betreuer dann. Das ist eben wie bei allen Jugendlichen", sagt ihre Kollegin Katharina Heinrich.

Die Jugendlichen haben Vertrauen zu den 50 Ehrenamtlichen geknüpft

In den Sommerferien haben viele der jungen Burgbewohner die Möglichkeit erhalten, ein Praktikum zu machen. Asad hatte Glück, er möchte gerne Automechaniker werden und hat eine Praktikumsstelle in der BMW-Niederlassung am Frankfurter Ring erhalten. Schon in den Herbstferien darf er wieder kommen, sagt er stolz. Nach der Berufsschule möchte er eine dreijährige Ausbildung machen. Wenn möglich, sogar studieren. In jeder freien Minute lernt er Deutsch. Einmal in der Woche aber trifft sich der Junge nachmittags mit seinen Freunden aus Pullach zum Kicken. Organisiert wird dieses interkulturelle Event am Ottfried-Preußler-Gymnasium von der Non-Profit-Organisation "Bunt kickt gut".

Beim Deutschlernen und den Hausaufgaben werden Asad und seine Mitbewohner von 50 Ehrenamtlichen aus Pullach und Solln unterstützt. Für die jungen Menschen bedeutet das oft mehr, als nur die Sprache zu lernen. Für sie ist hier eine wichtige Vertrauensbasis entstanden. Denn so richtig ins Reden kommen einige der Jugendlichen eben erst mit ihrem Hausaufgabencoach, sagt Christine Salfer vom Kreisjugendring: "Die haben richtig Freundschaft geschlossen." Manchmal werden sie auch zum Abendessen eingeladen oder unternehmen etwas gemeinsam in ihrer Freizeit. Hier leisten die Ehrenamtlichen "unglaublich wertvolle Integrationsarbeit", sagt Salfer über das Engagement.

Seit Oktober 2015 lebt Asad jetzt auf der Burg. "Ich würde gerne in Pullach bleiben", wünscht sich der Junge. "Am wichtigsten ist mir zwar die Schule. Aber ehrlich, ich habe keine Lust mehr, woanders alles noch einmal neu kennen zu lernen. Mir gefällt es hier und die Leute sind sehr nett."

Betreuer hoffen, dass möglichst viele der Jugendlichen bleiben können

Doch wie und ob das überhaupt möglich sein wird, ist ungewiss. "Jeden Tag werden jetzt Jugendliche verlegt. Oft erfahren sie jedoch nur sehr kurz vorher, dass sie die Burg verlassen müssen", sagt Salfer. Dann kommen sie in Jugendhilfeeinrichtungen in Ottobrunn, Kirchheim oder Riemerling. Diese Ungewissheit ist eine große Belastung für die Jungen und Mädchen, fürchtet Andreas Biberger, Bildungsreferent des Kreisjugendrings. Für jeden Jugendlichen sei ein emotional stabiles Umfeld eine entscheidende Entwicklungsvoraussetzung. Auf der Burg konnten die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wieder die Erfahrung machen, dass man sich auf eine Person verlassen kann.

Wenn es schon für die Betreuer schwierig ist, dass ihre Schützlinge bald "einfach weg" sind, wie Storck sagt, was muss es dann erst für die jungen Menschen selbst bedeuten, diesen Kontakt zu verlieren? Deshalb wünschen sich die Betreuer, dass möglichst viele der derzeit 76 Jugendlichen in Pullach bleiben können. Ein paar von ihnen können eine Ausbildung auf der Burg anfangen, beispielsweise in der Küche oder bei der Haustechnik, sagt der Leiter Burg, Andreas Bedacht.

In der Parkstraße soll eine heilpädagogisch vollbetreute Wohngruppe entstehen, in der nach Aussage der Gemeinde voraussichtlich neun Burgbewohner unterkommen können. Möglicherweise könnten für einige wenige auch Pflegefamilien vor Ort gefunden werden. Asad jedenfalls hofft ganz fest darauf, dass er zu den Glücklichen gehört, die in dem, wie er findet, "wunderschönen Pullach" bleiben dürfen.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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