"Seid mutig, schreibt, was euch bewegt, was euch umtreibt." Mit diesen Worten eröffnet Philipp Spielmann, stellvertretender Leiter der Stadtbücherei Garching, den ersten hauseigenen Poetry-Slam-Workshop im Rahmen des Sommerferien-Leseclubs. Acht Jugendliche weiterführender Schulen haben sich vergangenen Freitag auf dem Balkon der Bücherei versammelt, um von der deutschen Vizemeisterin Lotta Emilia etwas über Poetry Slams zu lernen.
Die 29-jährige Wahlmünchnerin macht seit sechs Jahren Poetry Slam und kann mittlerweile davon leben. Es ist das Schönste, was sie sich vorstellen kann, erzählt sie den Teilnehmenden im Alter von zehn bis 17 Jahren. Die Workshops, die ebenfalls etwas zu ihrem Lebensunterhalt beisteuern, würden sie auch selbst zu dem zurückbringen, worum es eigentlich geht: zur Kunst und zu den eigenen Themen.
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Das ist auch eine der ersten Fragen, die sich die Schülerinnen und Schüler, die aus ganz unterschiedlichen Gründen zum Workshop gekommen sind, stellen müssen. "Worauf habe ich Lust? Was habe ich zu sagen?" Die einen schreiben und lesen viel, die anderen interessieren sich für Poetry Slams, wie sie auch im Römerhof stattfinden, und wieder andere begleiten zunächst eine Freundin. Um auf Ideen für eigene Texte zu kommen, gibt es von Lotta Emilia erst einmal einen Fragebogen.
Schnell wird den Jugendlichen klar, dass es unzählige Themen gibt. Nach und nach wirft jeder etwas Neues ein. Man könne über Träume schreiben, über andere Menschen, über Wünsche und Zitate, darüber, was man mag und was nicht, aber auch über Tiere und Pflanzen. "Man braucht gar nicht diese eine Idee", hält Lotta Emilia fest. "Im Prinzip ist alles eine Idee, man braucht nur einen Anfang." Der wiederum sei oftmals am schwersten.
Um es den angehenden Poetry Slammern etwas einfacher zu machen, spielt Lotta Emilia mit ihnen das Assoziationskettenspiel. Dabei sagt reihum die nächste Person immer das Wort, das ihr zu dem vorher genannten als erstes einfällt. Anschließend gibt es eine fünfminütige "free writing session". Dabei werden in dem knappen Zeitraum sämtliche Gedanken zu Papier gebracht, ohne groß darüber nachzudenken oder den Stift abzusetzen. So könne Raum für Kreativität und das Wesentliche geschaffen werden. Wenn man nicht wisse, worüber man schreiben soll, dann schreibe man eben genau das.
Als das Gedankenchaos beseitigt ist, beginnt die Gruppe gemeinsam Geschichten zu erzählen. Ähnlich wie beim Assoziationskettenspiel ergänzt die nächste Person hier jeweils einen weiteren Satz. Dabei entsteht eine Geschichte über eine Maus und einen Bären, der sich an Halloween vor Süßigkeiten fürchtet, und eine Geschichte über einen ersten Schultag, der keiner ist und an dem stattdessen ein Bankraub verhindert wird.
Für sie selbst war das Schreiben eine Ablenkung von der Bachelor-Arbeit
Als es dann an das Besprechen der ersten Ideen für die eigenen Texte geht, haben sich einige bereits etwas überlegt. "Die sind so jung und haben so viel zu sagen", sagt Lotta Emilia im Einzelgespräch über die junge Gruppe. Normalerweise arbeite sie mit 16- bis 20-Jährigen. Aber es sei schön, die ebenfalls komplexen Gedanken der jüngeren Kinder zu hören. Sie seien noch nicht so stark gesellschaftlich und sozial beeinflusst. Zudem sei wichtig, sich regelmäßig von doch sehr regelkonformen Systemen wie der Schule zu lösen und kreativ zu arbeiten. Poetry Slams würden sich dazu besonders anbieten, da es sich um eine sehr freie Form von Texten handelt. Auch für sie selbst sei das ein ausschlaggebender Punkt gewesen und eine gute Ablenkung von ihrer Bachelor-Arbeit, die sie noch in Hamburg geschrieben hat.
Die wenigen Regeln für Poetry Slams bespricht Lotta Emilia ebenfalls mit den Teilnehmenden: Die Texte müssen selbstgeschrieben sein, es gibt ein Zeitlimit von circa fünf bis sieben Minuten und es dürfen keine Verkleidungen oder Requisiten verwendet werden, erklärt sie. Im Laufe des Nachmittags entstehen nach und nach die ersten Texte. Die Kinder und Jugendlichen schreiben über Superkräfte, über falsche und wahre Freundschaften und darüber, ob sie halten werden. Sie erfinden Biografien für Comicfiguren, reisen durch Bücherwelten und erzählen von dem traurigen Schicksal der durch Wilderei bedrohten Elefanten. Die Texte sind mal ernst und mal lustig, aber immer persönlich.
Nach jedem Vortrag geben sich die Teilnehmenden gegenseitig Feedback. Und auch der Workshop erhält eine Bewertung: Die freie Form, die schöne Atmosphäre und der respektvolle Umgang hat alle begeistert. Sie wollen ihre Texte fertig schreiben. Ob sie sie bei der Abschlussfeier am 22. September vortragen, müssen sie sich noch überlegen. In jedem Fall könnten die Teilnehmenden stolz auf sich sein, sagt Lotta Emilia zum Abschied. "Dass ihr hier wart, dass ihr euch getraut habt eure Gedanken zu Papier zu bringen."