Ottobrunn/München:Rätselzeichen auf den Blickfängern

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Julia Wegat hat junge Frauen und Männer lebendig und nahbar ins Porträt gebannt, aber sie versagt dem Betrachter die Geschichte dazu. (Foto: Catherina Hess)

Der Ottobrunner Thomas Vogl hat die sinnlich herausfordernde Porträt-Serie "Asylum" der in der Gemeinde aufgewachsenen Künstlerin Julia Wegat gekauft

Von Irmengard Gnau, Ottobrunn/München

Der Blick ist direkt, er lässt kein Ausweichen zu. Die junge Frau schaut dem Betrachter mitten in die Augen. Sie trägt das dunkle Haar offen, dezente Ohrringe unterstreichen ihren Teint. Ihr Blick ist selbstbewusst, unverstellt und zugleich tief, er macht neugierig auf ihre Geschichte. Doch Julia Wegat, die aus Ottobrunn stammende Künstlerin, die die junge Frau so lebensnah ins Porträt gebannt hat, versagt dem Betrachter diese Hilfestellung.

Stattdessen hat sie den 20 jungen Menschen, die sie für die Serie "Asylum" porträtiert hat, Raum gegeben, selbst ihre Gesichter mit Text zu versehen, in ihrer jeweiligen Muttersprache. Arabische, chinesische oder kyrillische Buchstaben überziehen so die Gesichter der Abgebildeten, die noch bis Ende April in München in der Kantine der BNP Paribas Bank zu sehen sind.

Die handgeschriebenen Sätze und Notizen, deren Inhalte sich nur Sprachkundigen erschließen, geben so den Bildern einen besonderen Rahmen. In manchen Porträts schieben sie sich zwischen den Blick von Sender und Betrachter, verschleiern den Blickkontakt. Sie bilden den unausgesprochenen Kontext für die Begegnung.

Es gibt keine Übersetzung der Texte

Die Künstlerin ermöglicht den Porträtierten, selbst ihre Gesichter mit Text zu versehen, in ihrer jeweiligen Muttersprache: Arabische, chinesische oder kyrillische Buchstaben überziehen so deren Gesichter. (Foto: Catherina Hess)

Woher kommst du? Was hat dich geprägt und zu dem gemacht, als der du heute mir gegenüber trittst? Diese Fragen bleiben wiederum offen; es gibt keine Übersetzung der Texte, nur einzelne Wörter lassen sich leicht entschlüsseln. Auf diese Weise führt die Künstlerin den Betrachter bewusst auf einen sinnlichen Weg der Auseinandersetzung mit ihrem Werk, der, wie sie selbst schreibt, "einen Einblick (...) erlaubt, der auf anderem Wege schwer zu erreichen wäre".

Dass man diesen Einblick derzeit in München erhalten kann, ist Thomas Vogl zu verdanken. Der Unternehmer aus Ottobrunn hat die 20-teilige Porträtreihe von Julia Wegat erworben und stellt sie nun im Raum München aus. Vogl kennt die Künstlerin, die seit einigen Jahren nahe Halle an der Saale lebt, noch aus deren Münchner und Ottobrunner Tagen.

Unternehmer und Kunstliebhaber: Thomas Vogl. (Foto: Catherina Hess)

1969 geboren besuchte Wegat die Akademie der bildenden Künste in München. 1995 gründete sie gemeinsam mit ihrer Mutter Doris Laves-Wegat den Kunstverein Ottobrunn. Vogl schätzt Julia Wegats Arbeiten seit Langem. Die Asylum-Porträts sah er zum ersten Mal vor elf Jahren, als diese im heutigen Museum Fünf Kontinente in München ausgestellt waren.

"Die Bilder haben mich damals schon begeistert", erklärt Vogl. "Ich bin der Überzeugung, dass die Bilder ein Zeitdokument sind und als Serie erhalten bleiben sollten." Daraus sei sein Anliegen erwachsen, diese Porträt- Reihe zu erwerben und sie langfristig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Entstanden ist die Serie bereits 2007. Über den Zeitraum eines halben Jahres begleitete Wegat eine Gruppe junger Asylbewerber, die aus China, Nigeria, Sierra Leone, Kongo, Palästina, Irak oder Russland geflohen und nach Deutschland gekommen waren. Vor dem Hintergrund einer großen Sprachbarriere entstanden die eindrücklichen Porträts im für Wegats Arbeiten typischen realistischen Stil. Mit ihrer eigenen Herangehensweise an Themen verknüpft Wegat wissenschaftliche und künstlerische Methoden, um neue Zusammenhänge herauszuarbeiten, Verbindungen erspürbar zu machen.

Die politische Dimension drängt sich geradezu auf

Bemerkenswert an "Asylum" ist dabei auch, dass die Serie vor der großen Fluchtbewegung, ausgelöst durch den Bürgerkrieg in Syrien, in der jüngsten Vergangenheit entstanden ist, unter deren Eindruck sich seither viele Kunstschaffende dem Thema Flucht und Vertreibung zugewandt haben. Mit ihren Porträts habe sie bewusst ein unpolitisches Zeitdokument schaffen wollen, das vielmehr für das Recht auf ein Leben in Sicherheit und Freiheit sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit stehe, unterstreicht Wegat in ihrer Werkbeschreibung.

Ob ihr das in dieser Form gelungen ist, lässt sich zur Debatte stellen. Die politische Dimension der Thematik drängt sich dem Betrachter geradezu auf, auch oder vielleicht gerade weil seit dem Entstehen der Bilder mehr als ein Jahrzehnt vergangen ist und die Fragen nach verlassener Heimat, der Suche nach einem Leben in Sicherheit und einer positiven Zukunft aktueller scheinen denn je.

Die Porträts eröffnen somit aus heutiger Sicht vielleicht noch ein weiteres Kapitel einer Lebensgeschichte, die, obgleich sie im Verborgenen bleibt, im stummen Dialog doch nahbar, spürbar, erahnbar wird. Ein weiterer Aspekt macht die Serie aus heutiger Sicht noch spezieller. Sie stammt aus einer Zeit, in der Julia Wegat noch malte. Das hat die Künstlerin inzwischen eingestellt - aus Protest gegen das Verbot eines ihrer Bilder. Die Eltern eines Mädchens, das Wegat Modell gestanden hatte, hatten trotz der ursprünglich erteilten Erlaubnis gegen die weitere öffentliche Präsentation des entstandenen Bildes geklagt, weil sie es in einem Kontext gestellt sahen, der ihnen nicht genehm war. Zwei Gerichte in Halle gaben dem statt. Wegat hat im Sommer 2016 dagegen Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil sie in dem Urteil einen Angriff auf die Kunstfreiheit sieht. Ob die Beschwerde angenommen wird, ist noch nicht entschieden.

Die Porträtserie "Asylum" von Julia Wegat ist noch bis 13. April in der Kantine der BNP Paribas Bank in München, Landsberger Straße 300, zu sehen. Der Eintritt ist zwischen 9 und 17 Uhr kostenfrei möglich, eine Anmeldung am Empfang ist nötig.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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