Oberhaching:Tradition mit Mähne

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Ende der Siebzigerjahre haben junge Oberhachinger den Stephaniritt neu belebt. Heute gehört der Umzug wieder wie selbstverständlich zum kulturellen Leben der Gemeinde.

Von Antonia Hofmann, Oberhaching

Die lange schwarze Mähne und der Schweif sind fein gebürstet. Das dunkle Fell glänzt in der winterlichen Mittagssonne, Sattel und Zaumzeug sitzen. Ben wurde richtig herausgeputzt. Heute ist ein besonderer Tag für den Wallach und seine Besitzerin Lisa Maier. In Oberhaching riecht es an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag nach einer seltsamen Mischung aus Weihrauch und Pferdeäpfeln, als die beiden gemeinsam mit etwa 80 weiteren Pferden, zahlreichen Wägen und Kutschen durch die Straßen der Gemeinde reiten.

Den Stephaniritt gab es in Oberhaching schon im 19. Jahrhundert

Der Stephaniritt hat in Oberhaching Tradition. Nicht nur die Kirche hier wurde nach dem heiligen Stephanus benannt. Lange Zeit galt der erste christliche Märtyrer als Schutzpatron des Viehs, weshalb ihm Pferdeliebhaber jedes Jahr am 26. Dezember mit einem Festumzug gedenken. Sie ziehen von Deisenhofen gemeinsam bis vor die Kirche St. Stephan in Oberhaching, wo Mensch und Tier gesegnet werden.

Der Brauch lässt sich in Oberhaching bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals habe der Umzug aber vor allem einen praktischen Grund gehabt, erklärt Florian Schelle, Pferdezüchter und Vorsitzender des Stephanivereins. Zu dieser Zeit kamen die meisten Pferde aus der Landwirtschaft, die kräftigen Kaltblüter waren es nicht gewohnt, mehrere Tage untätig im Stall zu stehen. "Um sogenannte Feiertagskrankheiten zu vermeiden, hat man sie also am zweiten Weihnachtsfeiertag rausgeholt", sagt Schelle.

Die Tiere werden vor dem Umzug gewaschen und aufwendig geschmückt

Im zweiten Weltkrieg wurde die Tradition aber auf Eis gelegt, auch danach fand der Stephaniritt nur noch unregelmäßig statt - bis Schelle und andere junge Oberhachinger den Brauch Ende der Siebziger wiederbelebten.

Heute reiten neben Kaltblütern auch Warmblüter und Ponys durch den Ort. Mitmachen kann jedes Pferd - sogar manch ein Esel darf mitlaufen. Die Tiere wurden vor dem Umzug gewaschen, Mähne und Schweif teilweise aufwendig geflochten und mit bunten Blüten geschmückt. An ihrem festlichen Geschirr klirren jetzt kleine und große silberne Glocken, während die Pferde - die einen gelassen, die anderen mit gespitzten Ohren und schnellen Schrittes - hintereinander her stolzieren.

Vorneweg reiten die Polizei und Bürgermeister Stefan Schelle. Auf zwei großen Festwägen thronen Miniaturmodelle der beiden Kirchen des Ortes. Auf feierlich geschmückten Wägen sitzen die Mitglieder der Trachtenvereine, des Burschen- und der Schützenvereins und natürlich des Gemeinderates. Auch eine Blaskapelle wird durch Oberhaching kutschiert, laut tönt ihre Musik durch die Straßen. Tracht scheint für viele Teilnehmer geradezu Pflicht an diesem Samstagmittag.

Die Wiederbelebung des Rittes, hielten viele erst für eine Schnapsidee

Während der Zug dreimal die Kirche St. Stefan umrundet, werden die Vorüberziehenden von Engelbert Siebler, emeritierter Weihbischof von München und Freising, mit Weihwasser und Weihrauch gesegnet. Schon vor langer Zeit hätten Heiden an diesem Tag ihre Pferde gefeiert, erzählt er. Um sie zu vertreiben, benannten die Christen den 26. Dezember später nach dem heiligen Stephanus, der Brauch blieb aber erhalten. "Was sie den Leuten nicht austreiben konnten, war, an diesem Tag mit ihren Pferden zu kommen", sagt Weihbischof Siebler.

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(Foto: Schunk)

Mensch und Tier von ihrer besten Seite: Herausgeputzt und geschmückt präsentieren diese Frauen ihr Pferd in Oberhaching.

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(Foto: Claus Schunk)

Der Stephaniritt zieht die Besucher in seinen Bann.

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(Foto: Claus Schunk)

Für die Pferde, manchmal auch einen Esel, kann die Veranstaltung aber auch stressig werden.

Über 80 Pferde, zahlreiche Wägen und Kutschen waren auf den Straßen der Gemeinde unterwegs.

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(Foto: Claus Schunk)

Auf feierlich geschmückten Wägen sitzen die Mitglieder der Trachtenvereine, des Burschen- und der Schützenvereins und natürlich des Gemeinderates.

Eine Tradition, die Schelle und sein Burschenverein vor fast 40 Jahren zurück nach Oberhaching geholt haben. Die Alten im Ort hielten ihr Vorhaben für eine Schnapsidee, die jungen Männer aber waren voller Tatendrang. "Wir haben Plakate gemalt und im Dorf aufgehängt."

Der erste Umzug fand mit 19 Pferden statt - allesamt nur ausgeliehen. Dennoch: An Weihnachten 1977 säumten zahlreiche Schaulustige die Straßen, der Ritt war ein großer Erfolg. Seitdem sei es vor allem der Gemeinschaftgedanke, der die Oberhachinger dazu veranlasse, die Tradition weiterzuführen. Der Stephaniritt gehöre zu ihrer Heimat und ihrem Glauben, sagt Schelle.

Bei einem schweren Sturm geriet ein Teilnehmer unter einen der Wagen

Aber nicht jedem Pferd gefällt das bunte Treiben oder der Geruch von Weihrauch in den Nüstern. Die Glocken machen Lärm, manche Tiere trippeln aufgeregt über den Asphalt. Das "Fest" für die Pferde fordert bisweilen seinen Tribut. "Stress gibt es immer wieder unter den Tieren, wie bei den Menschen auch", sagt Schelle. Das Pferd sei nun mal ein Fluchttier, auch Unfälle habe es schon gegeben.

Bei einem schweren Sturm Ende der Neunziger war ein Teilnehmer unter einen Wagen geraten, eine offene Fraktur am Bein war die Folge. Ein anderes Mal fiel ein Polizist von seinem steigenden Pferd, das Tier auf ihn drauf. "Deshalb ist das Wichtigste am Ende des Tages, dass alle wieder gesund dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind", sagt Schelle.

Und das geht meist schnell. "Es ist wie ein Gewitter, nach einer Stunde ist alles wieder vorbei." Das Schönste, sagt Schelle, sei am Ende zu hören, "dass die Leute nächstes Jahr wieder kommen wollen". Auch Lisa Maier will mit ihrem Ben im kommenden Jahr erneut am Stephaniritt teilnehmen, der Warmblüter war brav. Für die beiden geht es nach dem Umzug erst einmal unversehrt nach Hause zurück. Gesegnet, vor allem aber zufrieden, so scheint es.

Der Oberhachinger Stephani-Ritt zog viele Zuschauer an. (Foto: Claus Schunk)
© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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