Oberhaching:Herz fassen, Leben retten

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In kostenlosen Trainingsabenden vermittelt das Rote Kreuz, wie man Defibrillatoren im Notfall richtig einsetzt. In Oberhaching gibt es die Schockgeber bereits an 24 Standorten - und der Bürgermeister hat sogar einen im Auto.

Von Claudia Wessel, Oberhaching

Wenn es nicht wirklich in Oberhaching geschehen wäre, hätte er es für eine Filmszene gehalten, bekennt Gabriel Bücherl, von Beruf IT-Projektleiter und seit 25 Jahren ehrenamtlicher Rettungssanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes. Beim Trainingsabend im Rahmen der Aktion "Leben retten in Oberhaching" im Rotkreuzhaus in der Kybergstraße 24 erzählt er von dem Vorfall Anfang des Jahres in der Kyberghalle, wo einige Herren "im besten Alter" Sport trieben. Einer von ihnen wurde plötzlich bewusstlos, die anderen unternahmen auf der Stelle alles Nötige und bewirkten ein kleines Wunder. Denn dass ein Wiederbelebter nach einem Herzstillstand schon beim Eintreffen der Rettungssanitäter wieder ansprechbar ist, das habe er noch nie erlebt, sagt Bücherl. Der gerettete Sportler dagegen war nicht nur ansprechbar, er machte sich auch als erstes Sorgen darum, ob man auch die Hallenzeit nicht überziehe. Denn die war nur bis 21.30 Uhr gebucht.

Die Sportfreunde hatten alles richtig gemacht, obwohl sie den BRK-Trainingsabend gar nicht besucht hatten. Das holten sie später nach - als Gruppe und gemeinsam mit dem Geretteten. Der durfte sich allerdings nicht ganz aktiv beteiligen, denn er war noch etwas geschwächt. Sein Herz allerdings hat inzwischen dagegen Nachhilfe bekommen: Es hat einen Schrittmacher.

Wie man genauso zu handeln lernt wie die mutigen Sportler, das vermitteln den rund 22 Teilnehmern aller Altersgruppen an diesem Abend Gabriel Bücherl und zwei Mitarbeiterinnen der Hausarztpraxis von Michael Sellier und Kristina Marquardt in Oberhaching: Renate Müller und Iris Geyer. Die zahlreichen Abende, die bisher im Rahmen der "Aktion Leben retten in Oberhaching" stattgefunden haben, wurden seit dem Start der Aktion 2007 schon von rund 2100 Menschen besucht. Die Idee zu der Aktion hatte seinerzeit die Praxis Sellier. Die in den Kursen verwendeten Geräte finanziert die Gemeinde, das Rote Kreuz stellt seine Räume und seine Fachleute für die Kurse zur Verfügung.

Die "Defi-Dichte" in Oberhaching ist hoch

Die Dichte an Defibrillatoren in der Gemeinde ist extrem hoch: Es gibt 24 Standorte, an denen für Notfälle solche Schockgeber, die bei Herzrhythmusstörungen wie Vorhof- oder Kammerflimmern Leben retten können. Zusätzlich hat Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) ein Gerät mobil in seinem Auto. Auch kann er es bedienen. Die Aktion in Oberhaching ist zwar vorbildlich ebenso wie die "Defi-Dichte", doch als Vorreiter könne man die Gemeinde nicht bezeichnen, sagt Sönke Lase, Leiter des Rettungsdienstes im BRK-Kreisverband München. "Auch viele andere Gemeinden im Landkreis haben eine entsprechende Dichte", versichert er.

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Rund 150 000 Herzstillstände gibt es jährlich in Deutschland, erfährt man in dem Kurs. Nur fünf bis zehn Prozent der Betroffenen überleben ohne Schäden - das sind meist diejenigen, denen sehr schnell geholfen wurde. Je schneller man etwas tut, umso besser, betont Bücherl. "Nach drei Minuten ohne Sauerstoff gibt es bleibende Schäden im Gehirn", warnt der Rettungssanitäter. Jedes Zögern, aus welchen Gründen auch immer, ist daher schlicht falsch.

Das Gerät spricht mit dem Helfer

Das ist leicht gesagt, denkt man noch am Anfang des Kurses. Hat man doch so viele Bedenken: Kann man als Laie dem Betroffenen nicht mehr schaden als nutzen, ihn womöglich eher umbringen als retten? Ist so ein Stromstoß im falschen Moment nicht am Ende der Todesstoß? All diese Bedenken sind falsch, erfährt man. Denn: Der Mensch mit Herzstillstand ist quasi tot.

Es gibt nur eine einzige Chance, und die ist, ihn möglicherweise wieder zu beleben. "Wenn jemand noch lebt und Sie fangen an mit Wiederbelebung auf dem Brustkorb, dann wird der sich hundertprozentig bemerkbar machen", versichert Bücherl. Denn das heftige Drücken auf den Brustkorb sei "extrem schmerzhaft". Der Mensch mit Herzstillstand aber spürt diesen Schmerz nicht. Vielleicht hat er hinterher einige Schmerzen, doch die wird er lieben, denn dann lebt er.

Ein Stromstoß im falschen Moment kann außerdem nicht vorkommen, denn der Defibrillator bestimmt, ob ein Schock nötig ist. Er macht quasi ein Schnell-EKG und teilt dann dem Helfer mit: "Schock notwendig!" Das Gerät spricht sozusagen mit dem Helfer. Wenn kein Kammerflimmern vorliegt, also kein Schock nötig ist, wird das ebenfalls von einer Stimme mitgeteilt.

Adrenalin verhilft oft zu unglaublichen Kräften

Das ist die Theorie. Doch auch wenn man diese gehört und verstanden hat, bleiben noch viele Ängste und Zweifel. Deshalb ist Teil zwei des Kurses praktisch. Jetzt muss man Mut aufbringen und es einmal selbst versuchen. Das ist schon bei dieser harmlosen Puppe nicht leicht. Doch es wirkt Wunder. Kurz an den Schultern des Leblosen wackeln und ihn ansprechen. Wenn keine Antwort kommt, Kopf in den Nacken und Atem prüfen. Kein Atem, dann sofort loslegen, am besten zu zweit.

Einer drückt 30 mal auf die Mitte des Brustkorbes, dann wird zweimal beatmet, dann wieder drücken. Bis zu 20 Minuten könne es dauern, bis der Rettungsdienst da sei, je nach Ort, sagt Bücherl. 20 Minuten lang auf den Brustkorb drücken, das ist extrem anstrengend, wie man bereits beim zweimaligen Test spürt. Doch das Adrenalin, das im Ernstfall ausgeschüttet werde, verhelfe einem oft zu unglaublichen Kräften, so Bücherl. Es geht in diesen Minuten um alles. Und wenn es so ausgeht wie bei den Sportlern aus der Kyberghalle, dann ist es einfach wunderbar.

Der nächste kostenlose Trainingsabend findet am Donnerstag, 28. Juli, um 19 Uhr im BRK-Haus Oberhaching, Kybergstraße 24, statt. Weitere Kurstermine und die Standorte der Defibrillatoren erfährt man unter www.brk-deisenhofen.de. Die Standorte im Landkreis München findet man unter www.landkreis-muenchen.de. Es gibt auch mittlerweile Apps, die die Standorte anzeigen.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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