NS-Verbrechen:"Man war nirgends sicher"

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Pflege der Erinnerungskultur am Klinikgelände: in Gedenken an die ersten aus Haar deportierten Patienten am 18. Januar 1940 und die Opfer des NS-Mordprogramms, das sich gegen Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen richtete. (Foto: Claus Schunk)

Das Isar-Amper-Klinikum erinnert an die Patienten, die am 18. Januar 1940 von Haar mit dem ersten Transport in eine Tötungsanstalt deportiert wurden. Es spricht auch der Sohn des ehemaligen Ärztlichen Direktors Gerhard Schmidt, der die Verbrechen in der Anstalt nach dem Krieg dokumentierte.

Von Carla Augustin, Haar

"Wir haben immer so Angst gehabt", zitiert Stephan Schmidt eines der Kinder, die während der NS-Zeit in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar untergebracht waren. "Man war nirgends sicher."

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Es ist der 18. Januar 2024. Der Gedenktag für die ersten 25 Patienten mit psychischer Erkrankung, die 1940 aus Haar abtransportiert und in einer Tötungsanstalt ermordet wurden - alles Männer. Es war, auf den Tag genau vor 84 Jahren, der Auftakt der "T4-Aktion", also den planmäßigen Morden an Menschen, die laut der NS-Diktatur nicht zu gemeinnütziger Arbeitskraft fähig seien, darunter viele Psychiatrie-Patienten. Ihrer wird heute hier in Haar gedacht. Mehr als 4000 Menschen wurden entweder in der Anstalt ermordet oder von dort in Tötungsanstalten deportiert. Darunter 332 körperlich oder psychisch kranke Kinder. Sie wurden hier zu Opfern derer, die sie eigentlich pflegen sollten. Mit Medikamenten, Unterversorgung oder durch gezieltes Verhungernlassen in den "Hungerhäusern" auf dem Klinikgelände, wurden Leben mutwillig beendet. In ganz Deutschland wurden etwa 250 000 Psychiatrie-Patienten Opfer des unter dem Euphemismus "Euthanasie" bekannten nationalsozialistischen Mordprogramms.

Stephan Schmidt lobt in seinem Vortrag seinen Vater als "nicht angepassten, unbequemen, mutigen Mann". (Foto: Claus Schunk)

Stephan Schmidt ist eingeladen, über die Aufklärungsarbeit seines Vaters zu sprechen: Gerhard Schmidt. Vor allem über die vielen Steine, die ihm in den Weg gelegt wurden. Er war Vorreiter der Aufarbeitung. Von den US-Amerikanern 1945 nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Kommissarischer Ärztlicher Direktor eingesetzt, machte er sich unmittelbar daran, die Verbrechen in Haar vor seiner Zeit zu "dokumentieren, zu recherchieren und öffentlich zu machen", wie sein Sohn berichtet. Sein Vater sei ein "ungewöhnlicher, nicht angepasster, unbequemer, mutiger Mann" gewesen. Mit seiner "links-liberalen" Einstellung aber vor allem ein Dorn in den Augen des damaligen Klinik-Personals und der bayerischen Gesundheitsbehörden.

Der Kampf gegen die tradierten NS-Methoden und um die Aufklärung musste teils hart durchgesetzt werden. Stephan Schmidt liest aus Aufzeichnungen seines Bruders vor: Sein Vater habe mit Unterstützung des US-Militärs mit vorgehaltener Maschinenpistole die Essensausgabe an hungernde Patienten in einer anderen Klinik im Landkreis München erzwungen. Auch in Haar versuchte er, die völlig verwahrlosten und abgemagerten Patienten wieder aufzupäppeln. Die Mitarbeiter der Klinik befragte er zu dem Geschehenen unter seinem Vorgänger Hermann Pfannmüller, einem Vollblut-Nazi, und er entließ auch gegen großen Protest einige der Täter. Doch innerhalb der Belegschaft und der Politik war der Widerstand gegen seinen Aufklärungseifer groß.

Als Gerhard Schmidt in einem Interview mit dem Rundfunk erstmals die Öffentlichkeit über die Verbrechen an den psychisch erkrankten Patienten informierte, fiel nicht nur die Resonanz gering aus. Kurz danach habe eines Morgens ein Polizist vor der Tür gestanden, mit einem Entlassungsschreiben in der Hand. Der Zugang zu seinen Geschäftsräumen wurde ihm versagt. Wahrscheinlich, damit er nicht mehr an Akten herankam, mutmaßt sein Sohn heute. Das war 1946. Somit dauerte seine Zeit an der Klinik lediglich ein Jahr. Das Transkript des Interviews sei übrigens nicht mehr im Archiv des BR zu finden, bedauert Stephan Schmidt.

Es hat dann noch Jahre gedauert, bis Gerhard Schmidt seine Recherchen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen konnte. Erst 1965 fand sich ein Verlag, der sich bereit erklärte, das Buch "Selektion in der Heilanstalt 1939 bis 1945", das über die "Euthanasie" in Haar aufklärt, zu veröffentlichen. Mittlerweile ist es ein Standardwerk.

Nur kurz Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, aber sein Wirken war von historischer Bedeutung: Gerhard Schmidt. (Foto: privat)

Erinnerungskultur. Das Wort fällt oft an diesem Abend im heutigen Isar-Amper-Klinikum. Und doch hat es lange gedauert, bis sich Gemeinde und Klinikum ihrer Verantwortung stellten und die Aufarbeitung der Verbrechen ins Visier nahmen. Nicht nur in der Nachkriegszeit, noch bis in die Neunziger machten etliche lieber die Augen zu vor dem Leid, das sich in unmittelbarer Nähe zugetragen hatte. So wurden Bestrebungen des evangelischen Pfarrers Klaus Rückert 1988, eine Gedenktafel für die Opfer des NS-Mordprogramms zu errichten, keinesfalls durchweg positiv aufgenommen. Es kam zu lautstarken Diskussionen im Gemeinderat, bei denen unter anderem geleugnet wurde, dass es in Haar diese verbrecherischen Aktionen überhaupt gegeben habe. Die Tafel kam trotzdem. Stephan Schmidt blickt zu Rückert, der im Publikum sitzt, und sagt: "Sie haben damals gewonnen!"

Dass die Erinnerungskultur in Haar inzwischen ganz anders gepflegt wird, freut ihn. Vor allem, dass 2023 der zentral gelegene Platz zwischen der Kirche St. Raphael und der Aufnahmeklinik nach Gerhard Schmidt benannt wurde, hat sich ihm eingeprägt. Dieses Erlebnis der "späten Ehrung" sei ihm immer noch als "aufregender, bewegender, mit Stolz füllender Moment" in Erinnerung.

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