MVG-Chef im Interview:"Wir müssten die Fahrpreise massiv erhöhen"

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Im Streit mit der GDL bleibt er hart: MVG-Chef König über seine Haltung im Tarifstreit, das renovierungsbedürftige Streckennetz und eine neue Tram durch den Englischen Garten.

K. Riedel, C. Krügel u. C. Mayer

SZ: Herr König, fahren Sie selbst eigentlich noch U-Bahn?

"Wir haben keine Fehler gemacht." MVG-Chef Herbert König kritisiert die Forderungen der GDL nach höheren Gehältern. (Foto: Stephan Rumpf)

Herbert König: Ja, regelmäßig. Früher habe ich sie sogar gelegentlich selbst gesteuert.

SZ: Dann könnten Sie ja an Streiktagen einspringen: Hier fährt der Chef selbst.

König: Nein, da bin ich zu sehr raus.

SZ: Warum sind Sie jetzt im Konflikt mit ihren Fahrern der GDL so stur?

König: Was die GDL fordert, ist unbezahlbar. Für uns würde das weitere sechs Millionen Euro bedeuten - zusätzlich zu den vier Millionen aus dem Verdi-Abschluss. Wir haben keine andere Finanzierung als die Fahrgeldeinnahmen. Wenn wir auf die GDL-Forderungen eingingen, müssten wir die Fahrpreise erhöhen, und zwar massiv.

SZ: Ihr eigenes Gehalt haben die Stadtwerkechefs aber im selben Jahr erhöht, in dem Fahrer Zulagen verloren haben. Das finden die Streikenden ungerecht.

König: Über unsere Bezahlung entscheidet der Aufsichtsrat, nicht wir selbst. Dort sind auch Arbeitnehmer vertreten. Der Aufsichtsrat ist übrigens an der untersten Grenze dessen geblieben, was Geschäftsführer in vergleichbaren Unternehmen verdienen.

SZ: Unter Ihren Fahrern gibt es trotzdem große Unruhe. Die Lager sind gespalten.

König: Immerhin werden noch alle kommunalen Fahrer nach demselben Tarifvertrag bezahlt. Das würde sich ändern, wenn wir der GDL nachgeben würden, würde die Leistung des kommunalen Fahrers immer teurer im Vergleich zum privaten. Es wäre aber auf Dauer gar nicht möglich, so unterschiedliche Löhne zu bezahlen. Das verhindert europäisches Wettbewerbsrecht und das werden auch die Fahrgäste nicht auf Dauer bezahlen. In München streiken jedenfalls gegenwärtig die bestbezahlten Fahrer der Republik.

SZ: Wir erleben jetzt eine Eskalation, die über das normale Maß von Tarifstreitigkeiten hinausgeht. Warum?

König: Nicht der Arbeitgeber ist ausgeschert, sondern die GDL. Sie hat München zum Pilotprojekt gemacht, um bundesweit Fuß zu fassen. Grund ist ein Urteil, das erlaubt, dass es in einem Unternehmen unterschiedliche Tarifverträge geben darf.

SZ: Wäre das so schlimm?

König: Geben wir nach, wechseln viele Fahrer zur GDL, um davon zu profitieren. Verdi würde das Spiel beim nächsten Mal umdrehen. Wir bekämen einen Überbietungswettbewerb mit einer permanenten Kostenspirale zu Lasten der Fahrgäste.

München: Streik im Nahverkehr
:"Mittlerweile nervt's!"

Für Fahrgäste kam es am Dienstagmorgen knüppeldick: Sowohl Züge und S-Bahnen als auch U-Bahnen wurden bestreikt. Wie reagierten die Pendler? Eine Umfrage am Münchner Ostbahnhof.

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SZ: OB Ude und der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Reinhard Büttner, sind Verdi-Mitglieder. Sie auch?

König: Ich war es, als Arbeitnehmer. Herr Büttner hat als Personalchef der Stadtwerke genügend Anlass, sich auch mit Verdi auseinanderzusetzen. Von daher halte ich die Unterstellung, hier gehe es nur um Gefälligkeiten gegenüber Verdi, nicht für sehr realitätsnah.

SZ: Wie wollen Sie aus der verfahrenen Situation herausfinden?

König: Die Zahl der GDL-Fahrer muss steigen, die einsieht, dass das ein Holzweg ist, auf dem sich die GDL hier befindet. Die Hoffnung habe ich nach wie vor. Wir wissen auch von mindestens 125 GDL-Austritten in München.

SZ: Zuletzt sprach der OB sogar von Aussperrungen. Ist das ernst gemeint?

König: Aussperrung gehört zu den Mitteln eines Arbeitskampfes. Es gibt aber keine Entscheidungen, das jetzt hier und heute zu tun. Ich weiß allerdings nicht, wie sich die Dinge entwickeln.

SZ: Haben Sie Fehler gemacht?

König: Ich glaube, wir haben keine Fehler gemacht. Allerdings ist es mir nicht gelungen, klar zu machen, warum wir das Basisnetz, also die vorübergehende Reduzierung unseres Angebots auf den Notfahrplan, nicht ändern konnten, als nicht mehr gestreikt wurde. Uns blieb aber gar nichts anderes übrig: Der Krankenstand unter den GDL-Mitgliedern lag zum Beispiel am Busbahnhof West zeitweise bei 46 Prozent. Da ist ein normaler Fahrplan schlicht unmöglich; der Versuch hätte zum Zusammenbruch im Zentrum geführt.

SZ: Trotzdem sind die Fahrgäste sauer.Könnte man sie nicht durch eine Entschädigung milder stimmen?

König: Ich kann den Wunsch mancher Kunden nachvollziehen. Das Problem ist nur: Mein Topf sind die Fahrgeldeinnahmen. Der Fahrgast würde also auch die Entschädigung selbst bezahlen. Bei der nächsten Fahrpreiserhöhung müssten wir das draufschlagen oder zum Beispiel weniger neue Fahrzeuge beschaffen.

SZ: Apropos Fuhrpark: Warum sind die neuen Trambahnen nicht im Einsatz?

König: Wir haben vier neue Züge, die im Moment immer noch keine Zulassung haben. Die Mitarbeiter der Regierung von Oberbayern, die dafür zuständig sind, haben erhebliche Ermessensspielräume. Sie waren zwar von Anfang an eingebunden, dann gab es einen personellen Wechsel und dadurch wohl veränderte Sichtweisen. Für uns ist es sehr ärgerlich, dass hier Millionenwerte monatelang ungenutzt herumstehen. Jede dieser Trambahnen hat einen Wert von 2,9 Millionen Euro. Weitere zehn kommen im nächsten Jahr. Meine Mitarbeiter sind aber inzwischen in einem konstruktiven Gespräch mit der Zulassungsbehörde.

SZ: Gibt es auch neue U-Bahnen?

König: Wir stehen kurz vor der Vergabe. Wir werden 21 Züge à sechs Wagen bestellen. Darüber hinaus haben wir zwei Optionen für bis zu 23 Züge, die den Bedarf dieses Jahrzehnts abdecken sollen. Dafür werden wir einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag ausgeben.

SZ: Und welche Sanierungen stehen bei Gleisen, Weichen und Bahnhöfen an?

König: In Deutschland hat sich ein enormer Erneuerungsbedarf in der Verkehrsinfrastruktur aufgestaut. Weil all das, was in den 60er und 70er Jahren gebaut worden ist, jetzt saniert werden muss. Da reden wir jetzt schon über 2,5 Milliarden deutschlandweit, jedes Jahr werden es 330 Millionen mehr. In München wird die Notwendigkeit, Strecken und Bahnhöfe zu sanieren, wird nach unseren Prognosen jedes Jahr um 50 Millionen Euro jährlich steigen.

SZ: Welche Folgen hat das für München?

König: Die Sanierungen an den Gleisen gehen los: Wir werden im nächsten Jahr an der U3/U6 am Goetheplatz eine Weichenanlage erneuern müssen - das heißt, wir werden zum ersten Mal für einige Tage die beiden Linien in den Osterferien in dem Bereich stilllegen müssen. Das ist in älteren U-Bahnbetrieben, etwa in Berlin, Gang und Gäbe.

SZ: Und das werden wir jetzt in München immer öfter erleben?

König: Ja. Da führt kein Weg dran vorbei.

SZ: Und welche Bahnhöfe sind die größten Sanierungsfälle?

König: Als nächstes gehen wir den Hauptbahnhof im Sperrengeschoß an, 2012 den Marienplatz. Danach sind einige Bahnhöfe an U 3/U 6 dran.

SZ: Reicht das bestehende Netz aus?

König: Bei der U-Bahn kommen wir an Kapazitätsgrenzen. Wir müssen die bestehende Infrastruktur besser ausnützen. Ab 2014 wollen wir im Zwei-Minuten-Takt fahren. Dazu investieren wir ja in die Fahrzeuge. Wir versuchen, das Netz durch Straßenbahn-Tangenten zu entlasten. Eine haben wir realisiert, zwei müssen kommen: die Westtangente und die Bahn durch den Englischen Garten. Diese Querverbindung von Bogenhausen nach Schwabing und Neuhausen könnte das Zentrum gut entlasten. Dazu brauchen wir eine neue U-Bahn-Strecke für die Innenstadt: Die U 9 von der Implerstraße über den Hauptbahnhof zur Münchner Freiheit würde alle kritischen Schwerpunkte entlasten, vor allem Hauptbahnhof und Marienplatz. Die Verkehrspolitik muss den Fokus wieder mehr auf die Innenstadt richten. Da brennt es zunehmend.

SZ: Wer zahlt das?

König: Die Finanzierung wird drastisch schwieriger, die Bundesmittel aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz laufen 2019 aus, sind jetzt schon bis dahin verplant, bis dato gibt es noch keinen Ersatz. Der Fahrgast zahlt die Betriebskosten und die Nutzung der Strecken; die Vorhaltung und Erneuerung der Tunnel und Strecken müssen bisher aus dem Ergebnis der Stadtwerke bezahlt werden.

SZ: Was kostet eine Streifenkarte 2018?

König: Da wage ich keine Prognose, denn das hängt von zwei Faktoren ab: Energie- und Lohnkosten, dem immer noch größten Einzelposten - um den Kreis zum Thema Streik zu schließen. Die Entwicklung der Fahrpreise wird auch wesentlich davon abhängen, wie sich das Thema Fahrerlöhne weiter entwickelt.

SZ: Was plant denn die MVG in Zukunft?

König: Ein Stichwort, das ich immer wieder höre, lautet: fahrerlose U-Bahn. In vielen Städten in Europa und Asien laufen sie problemlos und sind akzeptiert, zum Beispiel in Nürnberg. Die Steuerungstechnik, um in München fahrerlos zu fahren, haben wir seit zwei Jahrzehnten. Was wir noch bräuchten, wäre die automatisierte Gleisüberwachung im Bahnhof. Das kostet erst mal, aber auf der anderen Seite spart man Kosten für den Fahrer.

SZ: Sie prüfen also die Umstellung?

Wir reden nicht über die Situation von morgen. Aber klar ist: Je teurer Fahrer werden und je billiger die Technik, um so eher rechnet sich eine fahrerlose U-Bahn. Da besteht also schon ein Zusammenhang zur aktuellen Diskussion um Fahrerlöhne.

© SZ vom 29.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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