München:"Wir kommen jetzt einfach"

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Karena Brodback, Birgit Reif und Christiane Graeter (von links) beschreiben, dass das gesamte Landratsamt das Flüchtlingsproblem anpackt. (Foto: Stephan Rumpf)

Die zuständigen Mitarbeiterinnen im Landratsamt wünschen sich einen fairen und offenen Umgang mit Flüchtlingen - und appellieren an die Hilfe der Kommunen

interview Von Gudrun Passarge

Aktuell leben 1400 Flüchtlinge im Landkreis, jede Woche kommen 90 Menschen hinzu. Sie brauchen Unterkünfte und Betreuung. Beides stellt die Mitarbeiter des Landratsamts vor große Probleme. Karena Brodback, Sachgebietsleiterin der Koordinierungsstelle Asyl, Birgit Reif, Sachgebietsleiterin des Ausländeramts und Christiane Graeter, kommissarische Gruppenleiterin für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, berichten von ihrer alltäglichen Arbeit.

SZ: Wie läuft das ab, wenn die Flüchtlinge ankommen?

Karena Brodback: Die Regierung von Oberbayern schickt uns die Zuweisungsbescheide per E-Mail. Die Kollegen vom Ausländeramt, von der Sozialleistung und der Sozialbetreuung bekommen die Bescheide und können dann schon mal vorbereitende Arbeiten erledigen. Die Asylbewerber kommen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen der Regierung. Wenn sie, wie beim letzten Mal, aus der Unterkunft in Ingolstadt kommen, dann wissen wir genau, wann der Bus losfährt. Die Flüchtlinge steigen dann hier mit ihren Habseligkeiten aus und gehen ins Ausländeramt und im Anschluss zur Sozialleistung, wo sie das erste Taschengeld erhalten und erfahren, wo sie untergebracht werden.

Aber nicht alle kommen aus Ingolstadt.

Brodback: Nein, kommen die Flüchtlinge etwa aus einer Einrichtung in München, machen sie sich selbst auf den Weg.

Mussten Sie schon mal jemanden suchen, der nicht ankam?

Birgit Reif: Das ist ein bisschen schwierig, weil wir auch nicht wissen, wann die Asylbewerber die Aufnahmeeinrichtung verlassen haben. Sie haben ja auch keine Pflicht, sich dort 24 Stunden lang aufzuhalten. Das sind erwachsene Menschen, und von daher müssen wir davon ausgehen, dass sie irgendwann bei uns ankommen. Brodback: Diese Menschen sind weder in der Ersteinrichtung noch in der dezentralen Unterkunft in irgendeiner Form eingesperrt. Ich vergleiche es eher mit einem größeren Mietobjekt.

Bedeutet das, dass die Leute auch selbst dafür verantwortlich sind, dass in ihrer Unterkunft alles sauber ist?

Christiane Graeter: Es besteht die Möglichkeit in großen Unterkünften Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Das heißt, die Asylbewerber erhalten zum Beispiel für das Reinigen der Gemeinschaftsräume 1,05 Euro pro Stunde. Da ist schon ein großer Bedarf an diesen Jobs. Die Menschen wünschen sich eine Aufgabe.

Wann darf ein Flüchtling auch einen normalen Job annehmen?

Reif: Asylbewerber dürfen nach drei Monaten eine Beschäftigung aufnehmen, nachdem wir das als Ausländerbehörde genehmigt haben.

Von den 1400 Flüchtlingen, warten da noch alle auf ihren Bescheid?

Brodback: Es sind etwa 200 anerkannte, beziehungsweise abgelehnte Asylbewerber dabei, sogenannte Fehlbeleger.

Wie lange dauert ein Asylverfahren?

Reif: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge setzt Schwerpunkte. Die Anerkennung von Syrern beispielsweise geht sehr schnell, Iraker und Afghanen werden auch zu einem sehr hohen Prozentsatz anerkannt. Dahingegen dauern die Asylanträge von Afrikanern sehr, sehr lange.

Wie lange?

Reif: Sie wohnen teilweise schon zweieinhalb bis drei Jahre im Landkreis, und der Antrag ist noch nicht bearbeitet. Teils kommt bei den Anerkannten noch ein Problem hinzu. Wenn zum Beispiel der Vater aus Syrien schon einen positiven Bescheid hat, die Familie aber noch in der Türkei ist, können diese Familienangehörigen innerhalb von drei Monaten einen Nachzugsantrag stellen, dann können sie mit einem Visum ganz legal in die Bundesrepublik einreisen. Das Problem ist dann, Wohnraum für diese Familien zu finden.

Brodback: Ein Problem ist generell die zeitintensive Suche nach Standorten für Unterkünfte. Man hat es in Taufkirchen oder Kirchheim und zuletzt in Planegg verfolgen können.

Sie meinen die Standortdiskussionen?

Brodback: Genau. Es ist für uns ein Unding, die Menschen jetzt in Turnhallen unterbringen zu müssen, weil wir es aus diversen Gründen bisher nicht haben schaffen können, die notwendigen Unterkünfte vorzuhalten.

Wenn Sie jetzt Unterkünfte suchen, wie geht das vor sich?

Brodback: Unser Immobilienmanagement erkundet sehr intensiv den Immobilienmarkt. Auch werden vereinzelt von Investoren und Privatpersonen Objekte oder Grundstücke angeboten. Auch die Gemeinden unterstützen uns bei der Suche oder bieten uns eigene Grundstücke an.

Und wenn keine Unterkünfte vorhanden sind, müssen die Menschen in Turnhallen schlafen?

Brodback: Wir haben von der Regierung sehr kurzfristig die neuen Zahlen mitgeteilt bekommen. Außerdem kam ein Sonderkontingent von 100 Personen dazu. Deswegen musste innerhalb von zwei Tagen die Turnhalle in Pullach eingerichtet und ausgestattet werden.

Reif: Man muss sich die ganzen Dimensionen deutlich machen. 90 pro Woche, wenn man diese Menschen in dezentralen Wohnungen unterbringen wollte, bräuchte man knapp 20 Wohnungen. Jetzt versuchen sie mal im Landkreis 20 Wohnungen pro Woche anzumieten und dann noch zu betreuen. Diese Unterbringung in Turnhallen, das ist ja nur, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Wir müssen sie im Landkreis unterbringen, aber wir wissen definitiv nicht, wo wir die Kapazitäten herbringen können. Das ganze Landratsamt arbeitet an dem Thema und manche Dienstleistung wird nach extern vergeben. Aber es gibt auch externe Faktoren, auf die wir keinen Einfluss haben.

Woran denken Sie dabei?

Reif: Etwa an Container. Die haben eine Lieferzeit. Der Markt ist leer gefegt.

Was wollen Sie also tun, um die Unterkünfte zu schaffen? Ist die Traglufthalle die Lösung des Problems?

Brodback: Das ist derzeit das Konzept, das wir verfolgen, weil diese Hallen in sehr kurzer Zeit aufgebaut werden können und in dieser ersten Not weiterhelfen. In Taufkirchen wird die erste auf der Zirkuswiese aufgebaut werden. Sie wird für 300 Menschen ausgelegt sein.

Wie muss man sich das vorstellen?

Brodback: Im Unterschied zu Turnhallen, die wirklich eine Notunterbringung sind, sind Traglufthallen räumlich untergliedert. Sie werden extra für diesen Zweck angefertigt. Wir werden sie anmieten, weil wir sie nicht dauerhaft betreiben wollen, sondern sie in einer Drehscheibenfunktion sehen. Wir hoffen die Nutzungsdauer beschränken zu können.

Haben Sie dafür schon Grundstücke ?

Brodback: Das ist jetzt die gleiche Suche, die wir bisher schon für feste Einrichtungen hatten. Derzeit fragen wir in den Gemeinden an. Mittlerweile sind wir aber an dem Punkt angelangt, dass wir sagen müssen, wir kommen jetzt einfach.

Das heißt was?

Brodback: Wir müssen dann beschlagnahmen. Ich denke aber, dass die Entscheidungsprozesse jetzt doch mal eher reifen und die Gemeinden uns da unterstützen. In Pullach und Unterschleißheim haben die Gemeinden bei der Belegung der Turnhallen sofort grünes Licht gegeben.

Was würden Sie sich wünschen für die nächsten Wochen?

Brodback: Ich würde mir wünschen, dass wir sachlich und entspannt mit der Situation umgehen. Ich denke, wenn jeder erkennt, dass die Menschen da sind und dass es eine gemeinschaftliche Aufgabe ist, Asylbewerber unterzubringen, dass dann die Diskussionen aufhören: Aber bitte nicht bei uns. Das ist speziell das, was mich von der Koordinierungsstelle viel Kraft kostet und viel Zeit bindet.

Reif: Ich würde mir wünschen, dass die europäischen Verträge eingehalten werden würden, das heißt, dass sich die Länder, in die die Menschen einreisen, für das Asylverfahren verantwortlich fühlen. Außerdem würde ich mir wünschen, dass unsere Arbeitskapazitäten für die echten Bürgerkriegsflüchtlinge zur Verfügung stehen würden und nicht für viele Menschen, die zu uns kommen aus verständlichen Gründen, weil sie ein besseres Leben erhoffen, deren Anliegen aber nicht durch das geltende Flüchtlingsrecht abgedeckt ist.

Graeter: Ich wünsche mir für die tägliche Arbeit, dass die Unterbringung und Betreuung von 90 Menschen pro Woche gut funktioniert. Und eine gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden und den Helferkreisen, auf deren Hilfe wir angewiesen sind.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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