München:Nachhilfe beim Meister

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Ganz ohne sein Altsaxofon, dafür am - ebenfalls exzellent beherrschten - Flügel bestritt Kenny Garrett seinen Workshop in Ottobrunn. (Foto: Claus Schunk)

Beim Workshop mit Saxofon-Star Kenny Garrett bekommen Laien und Profis wertvolle Anregungen zu ihrem Spiel

Von Oliver Hochkeppel, Ottobrunn

Wenn ein Künstler als schwierig gilt, ist nicht immer eindeutig zu sagen, ob das wirklich an seiner Persönlichkeit liegt, oder an der Imagepflege und der Helikopterbetreuung seines Managements. Dem amerikanische Saxofon-Star Kenny Garrett, Seriensieger der Downbeat-Polls, also der Leser- und Kritikerumfragen des weltweit wichtigsten Jazz-Magazins, und als Sideman von Art Blakey, Freddie Hubbard und Miles Davis, aber auch Sting, Peter Gabriel oder Bruce Springsteen gewissermaßen einer der blaublütigsten Jazzer, geht der Ruf voraus, eigenwillig zu sein. Für Journalisten ist es schwer, ein Interview zu kriegen, Veranstalter berichten von harten Verhandlungen mit seinen Agenten. In Europa ist er hauptsächlich auf den großen Festivals zu sehen, nach Ottobrunn kam er nun wohl vor allem dank seiner alten Freundschaft zum künstlerischen Leiter Cornelius Claudio Kreusch - und fand sich nicht nur zu einem sensationellen Konzert (siehe Kultur Bayern) am Freitag, sondern auch zu einem Workshop am Samstag bereit.

Wie man hörte, war auch da um jede Minute gefeilscht worden, schon weil Garrett abends ein Konzert in Österreich zu geben hatte. Als der auratische 55-Jährige dann aber im Ratssaal pünktlich vor die 14 Workshop-Teilnehmer trat, war von Divenhaftigkeit nichts zu spüren. Aufgeräumt, freundlich und konzentriert machte er sich an die Arbeit. Ließ sich zunächst dem Flügel in die Mitte rollen und von jedem einzelnen der im Halbkreis darum versammelten "Schüler" vorspielen. Fragte gezielt nach Mundstücken, Blättern oder Übungsroutine, korrigierte hier die Haltung, da den Ton. Um die Profis - darunter fertig studierte Saxofonisten aus China und Lettland - kümmerte er sich ebenso gewissenhaft wie um junge Anfänger und spätberufene Laien. Es war offensichtlich, dass es hier einzig um die Musik ging, nicht um ein Ego.

Schnell kam Garrett da zum Wesentlichen, zu den Basics, die jeder späteren Phrasierungskunst und dem eigenen Ton vorausgehen: Einen klassisch ausgebildete Sopransaxofonisten ließ er ein Lick nachspielen. "Kennt ihr das? fragte er. Es war ein berühmtes Motiv von Charlie Parker, das er anschließend gemeinsam spielen ließ. "Man braucht die Tradition, um etwas Neues spielen zu können", lautete die vielleicht wichtigste Botschaft, die er auch am Klavier - das er exzellent beherrscht und abseits der Bühne oft spielt - demonstrierte: Man braucht eine Fülle von verinnerlichtem, abrufbarem Klangmaterial, wenn man musikalische Freiheit gewinnen will. Vor allem harmonisch muss man mitgehen können, ohne nachdenken zu müssen, das erfuhren einige Teilnehmer hautnah, als Garrett sie mit einer Phrase durch die Tonleitern schickte. Mit Verweis auf die eigene Jugend empfahl er, mehr Platten nachzuspielen als nach Büchern zu arbeiten - auch das ein Rat, der im Jazz völlig zu Unrecht aus der Mode gekommen ist.

In zwei Stunden wird niemand musikalisch neu geboren. Und doch ist eine bestimmte persönliche Begegnung mit einem der Großen für viele junge Musiker eine entscheidende Erfahrung gewesen - so wie es Garrett recht witzig von seinem ersten Treffen mit Miles Davis berichtete. Alle Teilnehmer sprachen hinterher von einer großen Inspiration.

Garrett selbst schien mindestens ebenso inspiriert: Kurz vor Schluss fragte er: "Braucht Ihr eine Pause?", bis er die weit über das vorher Vereinbarte fortgeschrittene Zeit realisierte. Und sich trotzdem noch Zeit ließ, zu signieren, Selfies mit den Teilnehmern zu machen und dem jüngsten Teilnehmer sogar kurz Einzelunterricht zu geben. Da wurde der angeblich Schwierige also ein Star zum Anfassen. Zumindest solange, bis ihn das Management wieder in seine abschirmenden Arme bekam.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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