München:Gemälde aus Phantasien

Edgar Ende war ein Pionier des deutschen Surrealismus. Die Galerie im Schlosspavillon widmet dem Vater des Schriftstellers Michael Ende eine Ausstellung

Von Franziska Gerlach

Ismaning - Vermutlich liegt es an seinem Sohn, dass nicht jeder ad hoc parat hat, was es mit Edgar Ende auf sich hat. Wie modern und vielseitig interessiert dieser in Hamburg-Altona geborene Künstler war, der sich vor rund hundert Jahren dem in Frankreich aufblühenden Surrealismus näherte, ohne Kontakte zu dessen Vertretern zu unterhalten. Also eigentlich Grund genug, Edgar Ende als einen Pionier des deutschen Surrealismus zu kennen. Doch Michael Ende ist eben ein Name, der vieles überstrahlt. Die Verfilmungen seiner Jugendbücher waren Kassenschlager. In den Bavaria-Filmstudios wurde Mitte der Achtziger "Die unendliche Geschichte" gedreht, noch heute können Kinder in Grünwald wie die Helden des Romans auf dem Rücken des Glücksdrachen Fuchur durch Phantásien reiten, das Land der Steinbeißer und Nachtalben, des Elfenbeinturms, des Haulewalds, der Sümpfe der Traurigkeit. Fliegen über jenes Land, das Michael Ende durch "das Nichts" bedroht sah.

Sein Vater Edgar Ende, der bildende Künstler, sei leider nicht so bekannt, wie er es verdient hätte, sagt Gisela Hesse, Leiterin der Galerie im Schlosspavillon Ismaning. "Edgar Ende (1901 bis 1965). Ölbilder und Zeichnungen" lautet der Titel der Ausstellung, die dort nun bis zum 3. Juli seine Werke präsentiert. Die Arbeiten stammen aus dem Nachlass des Künstlers, um den sich Roman Hocke kümmert, der Vorsitzende von "Labyrinthe", der Gesellschaft für phantastische und visionäre Künste. Vermittelt hatte den Kontakt Fritz Hörauf, der die Ausstellung in Ismaning kuratiert. Und man muss sich nur umsehen in der Galerie, um zu begreifen, wie visionär und fantastisch dieser Edgar Ende wirklich war: Die Zeichnung eines Fußes, der am Strand die Sonne zwischen gestreiften Felsen verdeckt. Eine blinde Märchenerzählerin. Ein nackter Milchmann. Ein Taucher, der pfeilgerade ins Wasser stößt, den Körper von einem kunstvollen Netz aus Adern und Venen überzogen. Ein Pferd, das einen Krug balanciert. Und dann "Der große Hermaphrodit", das Wesen der Zweigeschlechtlichkeit, das Ende 1960 vor bergseegrünem Hintergrund in Öl malte, mit statischen Brüsten und kräftigen Beinen. Mitunter skurrile Bildwelten, aus denen der junge Michael Ende vermutlich nicht nur Inspiration, sondern auch die Erkenntnis zog, dass Fantasie keine Grenzen kennt. Wenn man sich denn traut.

München: "Der Milchmann" ist eines der Bilder von Edgar Ende, die in Ismaning gezeigt werden.

"Der Milchmann" ist eines der Bilder von Edgar Ende, die in Ismaning gezeigt werden.

(Foto: VG Bild Kunst)

Und Edgar Ende traute sich: Er hatte Dekorationsmaler gelernt, war aber auch an Alchemie und Esoterik interessiert, an Religion und Philosophie, befasste sich mit Sigmund Freud und der Traumdeutung und den Lehren Rudolf Steiners. Keiner der wilden Kreativen, würde man heute sagen, die stets mit einer noch verrückteren Idee um die Ecke kommen. Eher der besonnene Typ."Ich gehe Skizzen machen", zitiert Michael Ende den Vater in einem Text. Dieser habe sich daraufhin in sein abgedunkeltes Atelier zurückgezogen, wollte leer sein, alle Gedanken abstreifen, alle Vorstellungen ausschalten, bis aus dem Inneren eine visuelle Idee emporstieg. Danach malte er nicht gleich los. Es konnten Jahre vergehen, ehe aus einer Skizze ein Ölbild wurde.

Anfang der Dreißiger musste sich Ende dann einer Bedrohung erwehren, die für seine Künstlergeneration ähnlich vernichtend war wie für Phantásien "das Nichts", das seine zerstörende Kraft aus der zunehmenden Fantasielosigkeit der Menschen zieht. Der junge Künstler hatte gerade etwas Bekanntheit erlangt, nahm etwa 1927 an der Ausstellung "Europäische Kunst der Gegenwart" in der Hamburger Kunsthalle teil, da erklärten die Nazis seine Werke als entartet, verweigerten ihm den Zugang zu Papier und Farben. Ende malte trotzdem weiter, beschaffte sich das Material anderswo. Über befreundete Künstler vielleicht, vermutet Gisela Hesse.

München: "Der Taucher, das Spiegelbild" hat Edgar dieses Bild genannt.

"Der Taucher, das Spiegelbild" hat Edgar dieses Bild genannt.

(Foto: VG Bild Kunst)

Er hat einen Weg gefunden. Anders ist die Produktivität Endes kaum zu erklären. Geschätzt 1200 Arbeiten hatte er geschaffen, als er 1965 nach einem Herzinfarkt starb. Erhalten ist nur wenig. Etliche Arbeiten seien bei einem Bombenangriff auf München zerstört worden, auch die Nationalsozialisten hätten einiges beschlagnahmt, so Hesse. Das Ölgemälde "Der gefesselte Saturn" entstand erst einige Jahre nach dem Krieg, zu einer Zeit, als Ende an der Biennale teilnahm und zum künstlerischen Leiter der Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst gewählt wurde. Anders als Goya, der 1820 festhielt, wie der mit Kronos gleichgesetzte Gott mit irrem Blick eines seiner Kinder verschlingt, hat Endes Saturn die Hände im Rücken gefesselt. Sein Kopf ist verhüllt, um ihn herum liegen Kinder, die friedlich schlafen. Wer weiß: Vielleicht träumen sie sogar. Von einer Welt, in der die Berge gestreift sind und Pferde Krüge auf dem Rücken balancieren.

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