Mag sein, dass Redundanz nicht zu den Kronen der Kommunikationstheorie gehört, aber es war klar, dass dieser Satz im Laufe der Jurysitzung mehrfach fallen würde: "Eigentlich würde jeder einen Preis verdienen." Ob nun SZ-Redakteurin Sabine Reithmaier dies über die Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis sagte oder der als Juror erfahrene Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler ("Jeder ist geeignet. Aber irgendeine Lösung muss man ja finden") - trotz des Redundanzverdachts kann man diese Aussage wohl gar nicht oft genug widerholen. Sie stimmt einfach.
Zum zehnten Mal vergibt das Lokalressort der Süddeutschen Zeitung den Tassilo-Preis an Künstler und Kulturschaffende aus der Region München, und passend zum Jubiläum war das Angebot diesmal noch vielfältiger als sonst. Denn erstmals standen auch Kandidaten aus dem Stadtgebiet zur Auswahl, bislang waren mit dem im Jahr 2000 erstmals vergebenen Preis nur Künstler aus den Landkreisen rund um München prämiert worden.
Das machte die Kür natürlich nicht einfacher für die siebenköpfige Jury, die im 26. Stock in der Panorama-Lounge des SZ-Hochhauses tagte: neben Reithmaier und Göttler die BR-Kulturchefin Anke Mai, die früheren Tassilo-Gewinner Axel Tangerding, Leiter des Meta-Theaters in Moosach, Agnes Jänsch, Künstlerin aus Dachau, und Martin Schmitt, Jazzpianist aus Hechendorf sowie SZ-Redakteur Rudolf Neumaier. Von den 118 in den SZ-Lokalausgaben vorgestellten Kandidaten waren nach einer Vorauswahl noch rund 60 übrig geblieben: Dabei ging es um junge Künstler, Kulturschaffende, die in ihren Landkreisen wirken, Veranstalter, Protagonisten, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden oder sich für den Tassilo-Sozialpreis eigneten.
Der Bühnenbildner Thomas Goerge hat die Siegfried-Sage nach Hallbergmoos geholt: Zusammen mit jungen Flüchtlingen, Jugendlichen aus dem Ort sowie Menschen mit und ohne Behinderung, ein rundum inklusives Projekt.
Barbara Reimold macht ihren Garten im Ickinger Ortsteil Irschenhausen seit zehn Jahren zur Bühne: "Gesellschaft unterm Apfelbaum" heißt ihr Theaterfestival, das Publikum aus dem ganzen Umland anzieht.
Die Starnberger Künstlerin Elena Carr, hier vor einem ihrer Gemälde, baut ihre Installationen oft wie Versuchsanordnungen auf. Sie macht den Betrachter ihrer Kunstwerke auch gern zum Akteur.
Weil es in Gröbenzell kein kommunal unterstütztes Kulturhaus gibt, hat Thomas Breitenfellner beschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen. Seit 2010 organisiert er im "Stockwerk" 50 Veranstaltungen pro Jahr.
Die Bigband Dachau, 2010 unter dem Dach der Knabenkapelle gegründet, spielt einen ziemlich wilden, aber sehr überzeugenden Stilmix und setzt sich aus Laien und einigen wenigen Profis zusammen.
Annette Reindel und den Mitgliedern des Vereins Zeitreise Gilching ist es gelungen, in nur fünf Jahren ein Museum für Gilching einzurichten. Schwerpunkt: der Übergang von der spätrömischen zur bajuwarischen Besiedlung.
Wir sind Paul - so nennen sich Lina und Alice Homann, Lena Heilein, Annika Wenzel und Ines Bugner. 2017 haben sie ein Wochenende lang mit dem "White Paper Festival" eine Industriebrache in Dachau bespielt.
Zu den jungen Preisträgern zählt der Dirigent Maximilian Leinekugel. Der 22-Jährige aus Vaterstetten hat ein Kammerorchester gegründet, das die Menschen jenseits der großen Säle ansprechen möchte.
Unter dem Namen "Movie Jam Studios" drehen diese Gymnasiasten aus Taufkirchen und Unterhaching viel beachtete Dokumentarfilme - über Bayerns Bildungssystem oder über die Opfer des Anschlags am OEZ.
Der Künstler Florian Hüttner hat in Bad Tölz aus einer Zwischennutzung eine Institution gemacht: In der einstigen Wandelhalle der Kurstadt veranstaltet er Ausstellungen mit großer Strahlkraft.
Seit 1982 schon firmieren Hedwig Rost und Jörg Baesecke als "Die Kleinste Bühne der Welt". Die Objekttheater-Künstler aus Pullach vermitteln ihre Geschichten mit leiser Poesie und fantasievollen theatralen Mitteln.
Wachgeputzt: Anja Uhlig hat das ehemalige Männer-Pissoir an der Großmarkthalle München 2008 erst sauber geschrubbt und es dann als "Klohäuschen" in einen schillernden, abwechslungsreichen Kunstort verwandelt.
Wer weltberühmt ist, hat keine Chance, die Auszeichnung zu erhalten, die nominell inspiriert ist vom kunstsinnigen bayerischen Herzog Tassilo III. Junge Filmemacher, wilde Bigbands, originelle Installationskünstlerinnen, Initiatoren ungewöhnlicher Festivals - das ist es, was die Jurymitglieder begeistert. Wenn die Projekte dann noch so entzückende Namen wie "Gesellschaft unterm Apfelbaum" tragen oder als Frauenkollektiv "Wir sind Paul" firmieren, erleichtert das die Entscheidung ein wenig. Unterstützung boten die anwesenden Kulturredakteure, etwa wenn die Jury vor solch essenziellen Fragen wie "Klohäuschen oder Wandelhalle?" stand. Gewonnen haben in diesem Fall übrigens beide Kulturprojekte, das an den Münchner Großmarkthallen wie das in Bad Tölz. Dass die Diskutanten mitunter Präferenzen äußerten, weil sie die Kandidaten schon auf der Bühne oder bei anderen Anlässen erlebt hatten, erwies sich als hilfreich. "Befangenheit gibt's am Landgericht, hier nicht", sagte Neumaier . So kristallisierten sich im diskursiven Aussiebe-Verfahren peu à peu die Preisträger heraus. Und man war sich am Ende einig: Bei dieser zehnten Auflage waren nicht nur die gekürten Kandidaten, sondern auch die nicht prämierte Konkurrenz ein ganz besonderer Jahrgang.
Die Tassilo-Preisträger: Bigband Dachau (Lkr. Dachau), Movie Jam Studios (Lkr. München), Anja Uhlig (München), Thomas Breitenfellner (Lkr. Fürstenfeldbruck), Elena Carr (Lkr. Starnberg), Florian Hüttner (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen), Kollektiv "Wir sind Paul" (Lkr. Dachau), Maximilian Leinekugel (Lkr. Ebersberg), Annette Reindel (Lkr. Starnberg), Barbara Reimold (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen), Hedwig Rost und Jörg Baesecke (Lkr. München), Thomas Goerge (Lkr. Freising). Wer welche Auszeichnung erhalten hat, wird erst bei der Preisverleihung am 14. April im Technikum, München, Grafinger Straße, bekannt gegeben.