München:Eine dramatische Nacht

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Im September verändert sich auch die Lage im Landkreis München dramatisch - in Keferloh werden Tennishallen binnen weniger Stunden in eine Notunterkunft für Flüchtlinge umgebaut. Es folgen das Quartier in Dornach und eine anhaltende Welle der Hilfsbereitschaft

Von Martin Mühlfenzl

In nur einer Nacht zeigt der Landkreis exemplarisch auf, zu welchen Leistungen er in der Lage ist - gleichermaßen aus humanitärer und organisatorischer Sicht. Es ist die Nacht vom 1. auf den 2. September, als sich auch für den Landkreis München die Lage dramatisch verändert. Landrat Christoph Göbel (CSU) hat am Dienstagvormittag, das ist der 1. September, der stellvertretenden Regierungspräsidentin von Oberbayern Maria Els das Angebot gemacht, die Hallen des Tenniscenters in Keferloh spontan als Notunterkunft nutzen zu können; und Els schlägt diese Offerte natürlich nicht aus. Denn am Münchner Hauptbahnhof kommen Tausende Menschen von Budapest aus an - und sie müssen bis zu ihrer Weiterverlegung zumindest ein halbwegs festes Dach über dem Kopf finden.

Und dann geht alles ganz schnell: Binnen weniger Stunden verwandeln mehr als 100 Ehrenamtliche, koordiniert vom Grasbrunner Feuerwehrkommandanten Johannes Bußjäger, die Hallen in eine provisorische Herberge - und noch ehe der neue Tag anbricht, der 2. September, erreichen die ersten Flüchtlinge vom Münchner Hauptbahnhof mit Bussen das Tenniscenter, in dem einst Ivan Lendl in den Achtzigerjahren für seine großen Erfolge trainierte. "Diese Hallen sind besser, als im Hauptbahnhof oder gar im Freien schlafen zu müssen", sagt Landrat Göbel in dieser Nacht in Keferloh.

Dieser humanitäre Einsatz hat nicht nur gezeigt, zu welchen Leistungen der reiche Landkreis München und all seine professionellen Helfer, Ehrenamtlichen und die vielen Freiwilligen, die sich vor allem über soziale Netzwerke organisieren, fähig sind - er hat exemplarisch aufgezeigt, dass sich die Region verändern wird. Am Ende dieses Jahres geht das Landratsamt aufgrund der Schätzungen der Regierung von Oberbayern davon aus, dass die 29 Kommunen im kommenden Jahr bis zu 9000 Menschen eine Heimat wird bieten müssen - mindestens. Denn nicht zuletzt der Landrat betont immer wieder, dass diese Zahl nicht in Stein gemeißelt ist; sie wurde vielmehr im Laufe des Jahres 2015 mehrfach nach oben korrigiert. Das stellt nicht zuletzt die Städte und Gemeinden vor enorme Herausforderungen, stehen sie doch in der Verantwortung, Wohnraum für die Schutzsuchenden zu schaffen. Sie sind es, die die Hauptlast der Integrationsarbeit zu leisten haben. In ihre Verantwortung fällt es freilich auch, den sozialen Frieden dauerhaft zu sichern.

Die Willkommenskultur im Landkreis München ist immer noch eine sehr besondere, eine offene und von viel Anteilnahme getragene . Das hat auch viel mit der Arbeit von Landrat Göbel und seiner Stellvertreter Ernst Weidenbusch (CSU), Annette Ganssmüller-Maluche (SPD) und Otto Bußjäger (Freie Wähler) zu tun, die auf jeder öffentlichen Veranstaltung betonen, wie wichtig das Miteinander, die Begegnung und auch das Abbauen von Ängsten ist. Doch natürlich gibt es auch im Landkreis München kritische Stimmen: Deutlich wurde dies etwa Mitte September, als auf der Informationsveranstaltung im Aschheimer Bürgerhaus viele Bürger ihren Unmut über die Errichtung einer Notunterkunft mit Platz für bis zu 2500 Flüchtlinge im Dornacher Gewerbegebiet Luft machten - in dem Ortsteil mit etwa 1400 Einwohnern gab es insbesondere Sicherheitsbedenken und die Sorge, die Gemeinde könne mit der Integrationsaufgabe überfordert sein. Es gab aber auch ein überwältigendes Maß an Hilfsbereitschaft innerhalb der Bevölkerung - an manchen Tagen fiel es den Johannitern, die für die Unterkunft verantwortlich zeichnen, nicht leicht, alle Hilfskräfte tatsächlich einzusetzen. Mittlerweile ist aus der Notunterkunft eine sogenannte Überbrückungsunterkunft geworden, in der bis zu 450 Menschen eine Bleibe finden können. Die Regierung von Oberbayern hat mit der Gemeinde und dem Landkreis vereinbart, die Unterkunft in dem Bürogebäude bis mindestens Ende Februar zu betreiben.

Das Ziel des Landkreises aber ist es weiterhin, für jene Menschen, die hier bleiben werden, feste Unterkünfte zu finden - und vor allem zu errichten. Ende September hat der Landrat eine Wohnungsbauoffensive für die Region ausgerufen und den Bau "Tausender neuer Wohnungen" in Aussicht gestellt. Dies aber, sagte Göbel, könne freilich nur in Kooperation mit den Kommunen geschehen. So plant etwa die Gemeinde Ottobrunn, dem Unternehmen Feel Home ein Grundstück anzubieten, auf dem bis zu 13 Holzhäuser für mehrere Hundert Menschen entstehen können. Bis dahin aber, das wurde deutlich, wird der Landkreis weiterhin Traglufthallen nutzen müssen. Unterkünfte dieser Art gibt es bisher in Grünwald, Oberhaching, Unterhaching, Neubiberg, Unterföhring und Taufkirchen.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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