Heiligabend mit Demenzpatienten:An Weihnachtslieder erinnern sich alle

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Foto: privat (Foto: N/A)

Der Arzt Michael Athen arbeitet seit Jahren an Heiligabend in der Psychiatrie in Haar. Dabei hat er immer wieder berührende Erlebnisse.

Von Markus Mayr, Haar

Was für andere ein Albtraum ist, ist für Michael Athen kein Grund, sich aufzuregen. Er muss an Heiligabend arbeiten. Doch der Arzt blickt den Weihnachtstagen gelassen entgegen. Sein Lebenspartner und er haben keine eigenen Kinder, sondern nur Neffen und Nichten. "Für die ist es nicht so entscheidend, ob ihre Onkels da an Weihnachten etwas früher oder später auftauchen", sagt der 48-Jährige. Seine Schwester richtet das Fest für die gesamte Familie aus. Wenn er mit seinem Mann erst am 25. Dezember dazustößt? Halb so wild. Dann tauschen sie halt erst tags darauf ihre Geschenke aus.

So wie Athen sein Privatleben angeht, so hält er auch sein berufliches, besonders an Tagen wie Heiligabend: "Wir müssen flexibel sein für das, was das Leben so bringt", sagt der Oberarzt der gerontopsychiatrischen Abteilung des Haarer Isar-Amper-Klinikums. Das sei wichtig bei seiner Arbeit mit depressiven Menschen und älteren, die von Demenz geplagt und verwirrt sind. Und gerade letztere halten für Athen Jahr für Jahr eine besondere Überraschung bereit.

"Weihnachten ist tief verankert beim Menschen"

"Weihnachten ist tief verankert beim Menschen", sagt der Mediziner. Die weihnachtliche Dekoration, der Duft von Zimt und frisch gebackenen Plätzchen, und gerade der Klang der alt bekannten Lieder, lösen etwas aus. Selbst bei alten Leuten, deren Demenz so weit fortgeschritten ist, dass sie kaum noch sprechen können: Beim gemeinsamen Singen blühen die verwirrten Geister plötzlich auf und singen den im Kindesalter gelernten Text. "Fünf oder sechs singen sie auswendig mit", sagt Athen, "und merken, dass sie das können. Das finde ich jedes Weihnachten tief berührend."

Für seine Patienten versucht Athen mit seinem Team, das jeweils Bestmögliche am Heiligabend herauszuholen. In den Tagen zuvor, oder spätestens während der Visite am Vormittag versuchen sie herauszufinden, wie die einzelnen Patienten die Feiertage verbringen wollen. Viele werden für wenigstens ein paar Stunden die Station verlassen, um bei ihren Familien zu sein.

Doch manche wollen erfahrungsgemäß dableiben und fragen die Ärzte, wie sie das am besten ihren Angehörigen erklären. Für die, die auf der Station bleiben, stellen die Klinikmitarbeiter freilich einen Christbaum auf, reichen Plätzchen und Tee, und die Küche serviert "was Schönes", wie Athen sagt.

Man weiß vorher nie genau, was passiert

Doch alles in allem empfindet der Oberarzt den Krankenhausbetrieb an Weihnachten "nicht anders als an anderen Tagen". Viele Patienten behandeln er und seine Kollegen ambulant. Und die Leute werden nun mal auch an Feiertagen krank. Der Dienst sei schlecht planbar, sagt er. "Man weiß es vorher einfach nicht so genau."

Der Psychiater erinnert sich an einen Dienst an Silvester. Um 22 Uhr, erzählt er, legte er sich hin. "Ruh dich aus", hat er zu sich gesagt, "wer weiß was in dieser Nacht noch so passiert." Um 7 Uhr am Neujahrsmorgen holte ihn der Wecker aus dem Schlaf. "So einen ruhigen Dienst hatte ich selten", sagt er.

© SZ vom 21.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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