SZ-Serie "Macht hoch die Tür":Die vergessene Kapelle

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Der Pressesprecher des Klinikums, Henner Lüttecke (im Bild), und Flächenmanager Dieter Wachinger gewähren einen seltenen Einblick in die Kapelle. (Foto: privat)

Den Gebetsraum für die Patienten der Quarantänestation im Keller des Haarer Klinikums hat bis zu seiner Wiederentdeckung jahrelang niemand betreten.

Von Bernhard Lohr, Haar

Als Dieter Wachinger irgendwann im Jahr 2005 oder 2006 die Tür zu dem vergessenen Kellerraum öffnete, traute er seinen Augen nicht. Spinnweben zogen sich quer durch den Türrahmen. Und dahinter sah er im Licht schmaler Buntglasfenster Kirchenbänke und dann schließlich einen Altar samt Altarbild, auf dem die Kreuzigungsszene dargestellt ist. "Das war wie bei Dornröschen", sagt der Mann, der am Isar-Amper-Klinikum in Haar fürs Flächenmanagement zuständig ist und auf dem ausgedehnten Gelände jeden Winkel kennt. Doch die Kapelle im Keller von Haus 72 hatte sogar er nicht auf dem Schirm. Irgendwer hatte Anfang der Siebzigerjahre die Tür zugesperrt. Und das war's.

In dem Gebäude befindet sich heute eine Mutter-Kind-Station

Das riesige Klinikgelände der ursprünglich getrennten Anstalten Eglfing und Haar mit deren aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammenden Gebäuden ist ein Dorado für alle, die gerne in alten Gemäuern auf Entdeckungsreise gehen. Natürlich sind sie nicht frei zugänglich, auch wenn derzeit vieles leer steht in Haar II, also dem Teil, der mal die Anstalt Haar bildete und der vor Jahren an Investoren verkauft wurde, die jetzt Wohnungen in den ehemaligen Klinikgebäuden schaffen wollen.

Auch Haus 72 befindet sich in dem Teil des Klinikgeländes, das bis Februar geräumt wird. Noch ist dort eine Mutter-Kind-Station untergebracht. Wie Wachinger recherchiert hat, befand sich in dem aus dem Jahr 1958 stammenden Gebäude anfangs eine Quarantänestation für Patienten, die etwa unter offener Tuberkulose oder anderen ansteckenden Krankheiten litten. Damit diese an einem Gottesdienst teilnehmen konnten, ohne in die Kirche Maria-Sieben-Schmerzen gehen zu müssen, schuf man im Keller die Kapelle.

Buntglasfenster und Altarbild weisen den Raum als Kapelle aus. (Foto: privat)

Die sechs Kirchenbänke in Mahagoni-Optik weisen auf den Stil der Sechzigerjahre hin. Eine Glasscheibe trennt die letzte Reihe ab, dort konnten die schwer Erkrankten sitzen. Die schlichte, wohl mit Gips auf eine Spanplatte aufgezogene Altardekoration in Blau- und Goldton fügt sich ebenso in das Gesamtbild wie die zwölf einfachen Metallkreuze mit Kerzenhalterung an der Wand. Halterungen an den Bänken zeigen, wo einst Heiligenfiguren platziert waren. Ähnlich wie damals, als Wachinger den Raum wiederentdeckte, ist alles mit einer feinen Staubschicht überzogen. Spinnweben gibt es zuhauf. Indirektes Licht fällt auf den betonierten Altar durch die Fenster und durch Glasbetonsteine an der Seite. Wie in einem Traumszenario dringt leise Klaviermusik in den Raum. Das komme von oben von der Station, sagt Dieter Wachinger.

Einmal im Jahr gibt es auf dem Gelände eine Grusel-Rallye für Mitarbeiter

So nah ist die Kapelle an den Menschen dran, die in dem auch sonst durchaus ungewöhnlichen Keller von Haus 72 über Jahrzehnte kein Mensch mehr im Blick hatte. Auch damals nicht, als in den Achtzigerjahren in den benachbarten Kellerräumen eine Krankenstation für Notfälle aufgebaut wurde, um im Fall eines Krieges oder eines Ausfalls einer bestehenden Krankenstation aus welchen Gründen auch immer die Patienten dort unterbringen zu können. Jetzt hat das Psychiatrie-Museum Teile seines Fundus überall im Keller zwischengelagert. Bald muss alles weg, weil Haar II ja von der Klinik geräumt wird. Die Klinikgeschichte auf dem Areal endet dann.

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In den Siebzigerjahren hatte irgendjemand die Tür zugesperrt.

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(Foto: privat)

Dahinter verbergen sich zwischen...

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(Foto: privat)

...Spinnweben schmale Buntglasfenster und Kirchenbänke.

Dieter Wachinger erzählt, dass er einmal im Jahr für Mitarbeiter eine Halloween-Grusel-Rallye auf dem Gelände veranstaltet. Ein beliebter Ort bei diesen Events war zuletzt auch immer die Kapelle, die davor freilich ordnungsgemäß entweiht worden war. Als Wachinger die Kapelle vor zwölf oder 13 Jahren entdeckte, waren noch Reliquien in einer Aussprung des Altars eingelassen. Die wurden natürlich mit allem Respekt behandelt und im Auftrag des Ordinariats abgeholt. Selbst die Pfarrer in Haar-Eglfing hätten die Kapelle völlig vergessen gehabt, sagt Wachinger.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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