Kirchheim:"Es ist Nebel im Kopf"

Lesezeit: 3 min

Demenzerkrankte fühlen sich vor allem bei Angehörigen noch wohl und finden in der Familie Halt. (Foto: Oleksandr Latkun/Imago)

Immer mehr Menschen erkranken an Demenz und vor allem auf die Angehörigen kommt es dann an. Die Alzheimer-Gesellschaft im Landkreis München bietet Unterstützung an.

Von Carla Augustin, Kirchheim

Eine schwarze Fußmatte wird zu einem unüberwindbaren Loch, der Schatten einer Topfpflanze zu einem Menschen und die Leute aus der Talkshow sitzen auf einmal im eigenen Wohnzimmer. Das alles sind Situationen, die bei an Demenz erkrankten Personen durchaus vorkommen können. Sabine Kaufmann, Geschäftsführerin der Alzheimer-Gesellschaft im Landkreis München, versucht mit einer Demenz-Partner-Schulung in Kirchheim den Zuhörern und Zuhörerinnen einen Leitfaden für solche Alltagssituationen an die Hand zu geben. Und viele aus dem Publikum hatten bis zu dem Zeitpunkt noch keinen persönlichen Kontakt zu Demenz. So auch Felicitas Heuer, die Kaufmanns Ausführungen folgte. Sie nutzte den Vortrag als Vorbereitung: "Mit dem Thema muss man sich auseinandersetzen."

Gerade im Umgang mit Betroffenen müsse man laut Kaufmann sehr sensibel sein. Die Sprache sei hierbei ein Schlüsselelement. "Manche haben das Gefühl, es ist Nebel im Kopf", sagt die 34-Jährige. Die Erkrankten könnten besser mit klaren Sätzen und knappen Ja-Nein-Fragen umgehen als mit komplizierter Sprache und zig Antwortmöglichkeiten.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Man solle den oft älteren Menschen zudem viel Zeit zum Antworten lassen und bei einem Gespräch eine Umgebung mit Hintergrundgeräuschen oder Nebengesprächen vermeiden. "Menschen mit einer Demenz werden sehr misstrauisch", sagt Kaufmann. Sie könnten dem Dialog nicht länger folgen und würden schlussfolgern, dass über sie gesprochen wird. Wichtig sei allgemein, die Betroffenen trotz allem für voll zu nehmen und ihnen etwas zuzutrauen. Das nehme selbstverständlich viel Zeit in Anspruch, sei aber für die erkrankten Personen von großer Bedeutung. Für eine demenzkranke Person seien die größten Wünsche soziale Einbindung und das Gefühl nützlich und hilfreich zu sein.

Auch die Rolle der Familie sei sehr wichtig. Laut Kaufmann sind die Angehörigen oft die einzigen, bei denen sich Demenzkranke noch sicher fühlen. Zudem könnten sie bei der Diagnostik hilfreich sein. Erkrankte nähmen den Wandel in sich zwar selbst wahr, könnten ihn aber oft nicht einordnen oder wollten ihn nicht wahrhaben. Schwierig werde es vor allem, wenn Betroffene eine Diagnose verweigern. "Es gibt auch ein Recht auf Nicht-Wissen-Wollen", erklärt Kaufmann. Das Thema gehe allerdings alle etwas an, nicht nur Angehörige. Auch in Alltagssituationen könne man mit Demenz bei Fremden konfrontiert werden. "Wir alle sollten aufmerksam sein, wir alle können hilfreich sein", so Kaufmann.

In Haar gibt es am Isar-Amper-Klinikum eine Gedächtnisambulanz

Anzeichen für eine Demenz können Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sein. Halten diese länger als sechs Monate an, sei eine Demenz wahrscheinlich. Unterscheiden müsse man jedoch klar zwischen einer normalen Altersvergesslichkeit oder einer Demenz. Kaufmann empfiehlt die Diagnose bei einem Facharzt stellen zu lassen, da dieser meist eine differenzierte Diagnose stellen könne, als ein Hausarzt. Spezielle Kliniken können auch eine Frühdiagnose stellen, die sogenannten Gedächtnisambulanzen. Im Landkreis München ist das zum Beispiel das KBO-Isar-Amper-Klinikum in Haar.

Petra Eistel von der Gemeinde Kirchheim betont, dass diese eine "demenzfreundliche Gemeinde" sei. Kaufmann zeigt sich mit dem ganzen Landkreis zufrieden: "Der Landkreis München ist sehr gut aufgestellt mit Angeboten." Die 34-Jährige ist seit drei Jahren bei der Alzheimer-Gesellschaft im Landkreis München und hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Öffentlichkeit mehr für die Krankheit zu sensibilisieren. Dies sei allerdings schwierig, da "jeder in seiner eigenen Blase ist". Dabei könne es jeden und jede treffen. Kritik äußerte sie auch an der Politik: "Die Pflegesituation ist schon ein Thema." Demenzkranke bräuchten eben einen besonderen Umgang, der auch mal mehr Zeit in Anspruch nimmt.

In Deutschland gibt es derzeit etwa 1,8 Millionen Betroffene. Die Dunkelziffer liegt jedoch höher. Man muss jedoch mit einem Anstieg der Zahl der Erkrankten rechnen. Forscher gehen von 2,8 Millionen Demenzkranken in 2050 aus. Auch die Anzahl der Erkrankten bei den unter 65-Jährigen steigt an.

Ferdinand Kaiser zeigte sich am Ende des Vortrags zufrieden. Der Hörgeräteakustiker hat sowohl privat als auch beruflich mit Demenzkranken zu tun. Der Vortrag hätte ihm klargemacht, dass er schon vieles richtig mache, und auch, dass Demenz kein "Todesurteil" sei. "Auch mit Demenz kann man ein lebenswertes Leben haben, wenn man richtig damit umgeht."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGesundheit
:Rezept gegen eine Mangelerscheinung

Die erste Erkältungswelle ist da, die Grippe naht - und die Sorge vor einem Medikamenten-Engpass wächst. Die Arnika-Apotheke in Unterhaching greift zur Selbsthilfe und stellt unter anderem Fieberzäpfchen im eigenen Labor her. Über Risiken und Nebenwirkungen des deutschen Rabattsystems.

Von Sophia Coper

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: