Konzert:Mit großer emotionaler Kraft

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Das Ensemble Haar ist an Silvester via Live-Stream zu erleben. (Foto: Claus Schunk)

Ob reizvoller Barock oder leidenschaftliche Romantik - das Ensemble Haar überzeugt im Bürgersaal und entlässt sein Publikum mit dem dankbaren Gefühl musikalischer Sättigung

Von Julian Carlos Betz, Haar

Wer das ursprüngliche Programm für diesen Abend im Haarer Bürgerhaus gekannt hat, musste sich erst mal wundern: Weder Joseph Haydns Sinfonie Nr. 23 noch Wolfgang Amadeus Mozarts Violinkonzert in B-Dur finden sich in der Broschüre, die durch den Abend leiten soll. Konzertmeister und Leiter des Ensembles, Winfried Grabe, schickt sich gleich zu Beginn an, diesen Umstand zu erklären. Leider seien ihnen relativ kurzfristig die zugesagten Mittel "zusammengestrichen worden." Daher habe man leider auf die eingeplanten Bläser verzichten müssen und damit auch auf das ursprünglich angedachte Konzertprogramm. Auf Nachfrage erklärte Grabe später, es gehe konkret um eine Kürzung der Zuschüsse von Seiten der Gemeinde Haar um etwa 17 Prozent, von der das Ensemble erst Anfang des Jahres erfahren habe. Nun, also ein Abend ohne Bläser. Stattdessen präsentieren die Streicher des Ensembles Haar ein umfangreiches Paket aus barocken Stücken, mit Johann Christian Friedrich Bach, François Couperin, Pergolesi und Vivaldi, sowie einem romantischen Zweiteiler nach der Pause mit Edward Elgar und Gustav Holst.

Dabei zeigte sich schnell, mit welcher Professionalität das Ensemble bei seiner Darbietung vorgeht. In der Interpretation der reich ornamentierten Barockmusik präsentierte sich das seit mehr als 40 Jahren bestehende Ensemble jedenfalls reif und gelassen. Mit einem soliden Einstieg über Johann Christian Bachs d-Moll-Sinfonie, der wegen seines beruflichen Wirkens am Hof Bückeburg im Fürstentum Schaumburg-Lippe auch "Bückeburger Bach" genannt wird, und einem gemächlichen Andante amoroso beginnt der Abend. Weiter geht es mit François Couperin, Hofkomponist von Ludwig XIV, und seinen "Pièces en concert". Hier darf der erste Cellist Klaus Kämper nach vorne rücken und die führende Stimme übernehmen. Kämper, der als freier Musiker tätig ist, versieht das Stück mit einer nachdenklichen Aura und hält dabei das Ensemble geschlossen hinter sich zusammen. Mit der Plainte ("Klagelied") erklingen schön austarierte Violin-Tutti, während Kämper sich zwischen gemessener Geschwindigkeit und überraschend zurückgenommenen Tempi bewegt.

Mit klarer Stimmführung und temperamentvoller Dynamik kommt anschließend Pergolesis Stück zum Ausdruck, besonders Grabe an der Geige kann mit markanten Obertönen und nur unmerklich hingeworfenen Trillern überzeugen. Ein feines Largo mit elegisch schwankendem Tutti sowie das Allegro mit einem taktilen Solo von Violinist Grabe runden das Stück ab. Vivaldis Doppelkonzert mit dem sinnigen Titel "Il proteo o sia il mondo al rovescio", frei übersetzt: Proteus oder die Welt im Spiegel, veranschaulicht kompositorisch und musikalisch reizvoll die historische Beliebtheit von Spiegelkabinetten und eine damals virulente Diskussion um das Thema Programmmusik. Proteus als mythologische Gestalt ist der Gestaltwandler, was Vivaldi in der Vertauschbarkeit der Soli von Violine und Violoncello ausdrückte. Die beiden Instrumente klingen spiegelbildlich gegeneinander an und tauschen immer wieder die Rollen.

Das gelingt auch Grabe und Kämper gut, wobei der Cellist naturgemäß etwas mit dem hohen Tempo der agileren Geige zu kämpfen hat. Im Allegro entsteht der bisher homogenste Gesamteindruck des Abends, die spiegelnden Effekte bilden eine Art pittoreske Naturlandschaft, die im Largo durch ein idyllisches Gespräch ergänzt wird. Das zweite Cello schwebt leise, fast wie eine anhaltende Stille, hinter dem Dialog zwischen Grabe und Kämper, ein besonders inniger Part. Das Finale, wieder im Allegro, ist gezeichnet von furiosen Sechzehntelketten, die beide Solisten kraftvoll erklingen lassen.

Mit der Streicherserenade von Edward Elgar stößt das Ensemble schließlich nach der Pause gleichsam zu seinem Spezialgebiet vor. Das 1896 uraufgeführte Stück lebt von seiner melodiösen, romantischen Getragenheit, eigentümliche Bratscheneinsätze im ersten Satz eingeschlossen. Im Larghetto scheint die Erfahrung Grabes als Filmkomponist durchzuklingen: der Satz könnte auch eine monumentale Romanze begleiten. Die auf Empfindsamkeit bedachte Klangfarbe erinnert ein wenig an Mahlersches Pathos, aber mit mehr Sehnsucht und weniger Tragik.

Zum Abschluss erfreut das Ensemble seine Zuhörer mit der enthusiastischen und sehr filmisch wirkenden "St. Pauls Suite" von Gustav Holst aus dem Jahre 1922. Das von Vitalität und Aufbruchsstimmung durchsetzte Stück gerät unter der Leitung von Grabe zu einem leidenschaftlichen Schlussakkord des Abends. Kompositorisch ist besonders spannend, wie im Ostinato das Surren der Geigen von einem Instrument zum anderen wandert, sodass es kaum verortbar scheint. Das in der Zugabe wiederholte Finale wartet noch einmal mit großer emotionaler Kraft auf, bildlastig und wie die Feier einer Ankunft beschenkt es das Publikum mit dem dankbaren Gefühl musikalischer Sättigung.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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