Eigentlich fällt es kaum auf. Wie ein kleiner Knopf sitzt sein Hörgerät im Ohr. Man muss schon genau hinsehen, um es überhaupt zu bemerken. Doch ohne könnte Colin Müller wohl nicht so leben, wie er es heute tut. Jede normale Unterhaltung würde er nur als ein leises Flüstern wahrnehmen.
Der 23-Jährige aus Kirchheim ist hochgradig schwerhörig. Und er ist Weltmeister, Juniorsportler des Jahres. Als Sportschütze, Disziplin Kleinkaliber liegend, holte er bei Weltmeisterschaft der Gehörlosen im russischen Kasan die Goldmedaille und stellte dabei einen neuen Weltrekord auf. Gemeinsam mit Werner Lackerbauer, der ebenfalls Gold gewann, allerdings mit der Zentralfeuerpistole, durfte er sich in das Goldene Buch der Gemeinde Kirchheim eintragen.
Die Ohren sind beim Schießen wichtiger, als man meinen könnte
Beim Schießen, denkt jetzt vielleicht der ein oder andere, ist es doch gar nicht so unpraktisch, etwas weniger von dem ganzen Geknalle zu hören. Doch tatsächlich ist es auch in diesem Sport ein Handicap, wenn die Ohren nicht richtig funktionieren. Denn das Gleichgewichtsorgan ist beeinträchtigt. Das macht es schwieriger, das Ziel zu treffen. "Mit Koordinationsübungen kann man den Gleichgewichtssinn trainieren. Aber so ganz normal wird es trotzdem nicht", sagt Müller. Ein weiterer Nachteil: Gehörlose bekommen statt einer Ansage ein Lichtsignal als Zeichen, wann sie losschießen dürfen. Auf das Lämpchen müssen sie achten, bis es los geht, während sich Schützen mit einem intakten Gehör in der Zeit schon auf das Ziel fokussieren können.
Müller sagt von sich, dass er gerade so an der Grenze sei, bei den Gehörlosen überhaupt mitmachen zu dürfen. "Die Technik wird immer besser. Die Geräte werden immer kleiner, immer feiner", sagt er. Schon als Kind bekam er so gute Hörgeräte verschrieben, dass er heute nur bei Zischlauten Probleme hat, sie zu verstehen. Bei dem 51-Jährigen Werner Lackerbauer ist das anders. Er hört bloß manche Geräusche und kann sich nur mit Gebärdensprache verständigen.
Angeboren ist die Behinderung nicht. Als Säugling erlitt er eine schwere Krankheit und wurde taub. Zum Schießen kam Lackerbauer erst mit 36 Jahren, doch Sport war schon immer ein wichtiger Teil seines Lebens. 2001 nahm er als Leichtathlet an den sogenannten "Deaflympics", der Olympiade der Gehörlosen, teil. Dort beobachtete er die Sportschützen und war fasziniert. Schnell war ihm klar, dass er den Sport auch gerne selbst einmal ausprobieren würde. Inzwischen hat der 51-Jährige mit seiner Zentralfeuerpistole schon fast alles gewonnen, was man gewinnen kann.
Er war deutscher Meister, Europameister, Sieger bei den Olympischen Spielen. Eine Altersgrenze nach oben gibt es bei den Sportschützen nicht, man kann solange mitmachen, wie man es körperlich schafft. "Aber so ein Gewehr wiegt sechs Kilo, man muss es 40 Mal in der Stunde hochheben und das ist natürlich körperlich anstrengend", sagt Marco Baron. Er lebt genauso wie Müller und Lackerbauer in Kirchheim und wurde bei der Weltmeisterschaft Sechster in der Disziplin Kleinkaliber liegend.
Auch Müller ist eher durch Zufall zum Schießen gekommen. Freunde haben ihn als Jugendlichen mit zum Training gekommen. "Und es hat gleich gut geklappt." Ziemlich gut sogar: vergangenes Wochenende kürte ihn die Deutsche Sporthilfe in Bonn zum Juniorsportler des Jahres im Gehörlosensport. Die Stiftung unterstützt Nachwuchstalente finanziell. Müller bekommt jetzt 2000 Euro im Jahr und den gleichen Betrag noch einmal als Prämie oben drauf, wenn er bestimmte Ziele erreicht. Das Geld kann der 23-Jährige gut gebrauchen - "Munition und Gewehre sind teuer", meint er.
Die Sportler unterstützen sich gegenseitig
70 Sportler aus der ganzen Welt haben an der Weltmeisterschaft in Kasan, 800 Kilometer östlich von Moskau, teilgenommen. Für die Kirchheimer Müller, Baron und Lackerbauer war das eine besondere Erfahrung. Besonders, was die Verständigung betrifft. Gebärdensprache ist nämlich nicht auf der ganzen Welt gleich - es gibt ganz verschiedene Dialekte.
"Man muss sich viel Zeit nehmen und überlegen, was das heißen könnte", erklärt Lackerbauer. Für Müller gibt es noch einen anderen Grund, warum er die WM noch lange in Erinnerung behalten wird: "Alle haben sich gegenseitig geholfen, auch die Gegner haben sich unterstützt." Warum das so ist? "Vielleicht ist das bei uns so wie bei den Fischen. Der große weiße Hai kommt alleine zurecht, aber die ganzen kleinen Fische müssen zusammenhalten."