Integration der Flüchtlingskinder:Ganz normale Mitschüler

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An der Mittel- und Wirtschaftsschule Oberhaching besuchen Jugendliche aus verschiedenen Ländern eine Übergangsklasse. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Ein Jahr nach dem enormen Zuzug von Flüchtlingen sind zumindest die Kinder der Schutzsuchenden in ihrer neuen Heimat angekommen. Mehrere hundert besuchen den Unterricht in Übergangs- oder herkömmlichen Klassen.

Von Bernhard Lohr, Landkreis

Die Schüler wollten noch ein paar Plakate malen. Ein Willkommensgruß sollte schon sein. Doch dann war keine Zeit mehr dafür. Alles ging im Mai 2015 ganz schnell. Als die Schüler der Josef-Breher-Mittelschule nach den Ferien zurückkamen, teilten sie sich das Schulgelände mit etwa hundert jungen Männern vorwiegend aus Afrika.

Die sind längst wieder weg. Heute sind die Flüchtlinge an der Pullacher Schule ein paar Jahre jünger. Und sie sind keine Gäste auf Zeit. Sie sind Mitschüler. Sie besuchen eine Übergangsklasse und sitzen in den Regelklassen.

Rektor Werner Mitterreiter schwärmt, wie gut es läuft. Sie sollen möglichst lang bleiben. "Ich möchte, dass aus den Kindern etwas wird", sagt Mitterreiter.

Die Perspektive hat sich in der Flüchtlingsfrage verändert. Die Zeit der Notunterkünfte und Notlösungen ist erst einmal vorbei. In den Turnhallen wird wieder geturnt und nicht campiert. Und die Schulen im Landkreis haben es geschafft, alle schulpflichtigen Kinder aus Flüchtlingsfamilien in Klassen unterzubringen. Wenn Kinder drei Monate in Deutschland sind und im schulpflichtigen Alter, dann müssen sie auch in die Schule gehen. So wie deutsche Kinder auch. Schulamtsdirektorin Evelyn Sehling-Gebranzig hat die üblicherweise etwas hektischen Anfangswochen im neuen Schuljahr überstanden. Sie antwortet betont entspannt auf die Frage, ob die Integration in den Schulen funktioniert habe.

"Es ist ein Kraftakt", sagt die Schulamtsdirektorin

Nach den vorliegenden Zahlen besuchen 281 Schüler an Mittelschulen im Landkreis gesondert eingerichtete Übergangsklassen und 64 Schüler an Grundschulen. In etwa noch einmal so viele Schüler mit Migrationshintergrund, schätzt Sehling-Gebranzig, sind bereits soweit, dass sie ganz normal im Unterricht mitmachen. Die "paar hundert Schüler" seien zu bewältigen, sagt sie. Bei 18 000 Schülern an Grund- und Mittelschulen im Landkreis falle das nicht so ins Gewicht. Die Leistung der Schüler und der Pädagogen freilich will sie damit nicht schmälern. "Es ist ein Kraftakt", sagt sie.

Bevor die Flüchtlingskinder kamen, waren Ü-Klassen, in denen Kinder mit Deutsch-Defiziten gezielt unterrichtet werden, eine Seltenheit im Landkreis. Vergangenes Jahr wurden sie in der Hochphase des Zuzugs von Flüchtlingen auch mal auf die Schnelle unter dem Jahr geschaffen. 26 Ü-Klassen gab es, nun sind es, weil auch die Zahlen bei den Schülern mit Migrationshintergrund schon wieder gesunken sind, nur noch 22 Klassen. Laut Sehling-Gebranzig wurden neue Lehrerstellen geschaffen, um die Kinder zu unterrichten. Lehrer kamen aus dem Ruhestand zurück. Auch so genannte "Drittkräfte", also etwa Künstler, werden mittlerweile beschäftigt, die mit den Kindern Schulprojekte machen.

Schülerpaten der Arbeiterwohlfahrt

Engagierte Bürger aus den Asyl-Helferkreisen unterstützen Kinder bei den Hausaufgaben. Tanja Schulz, Leiterin des Projekts Schülerpaten der Arbeiterwohlfahrt, vermittelt an Grundschulen in Hohenbrunn und Ottobrunn etwa 20 Ehrenamtliche an Kinder mit Deutsch-Defiziten. Das Angebot gilt auch für Kinder, die hier geboren wurden. Schulz sucht gerade wieder neue Helfer, die ein Jahr Verantwortung für ein Kind übernehmen wollen. Die Hausaufgabenhilfe findet im "geschützten Raum" der Schulen statt. Die Schulen schätzen das. "Das wird sehr wohlwollend angenommen", sagt Schulz.

Die einmalige Herausforderung, Kindern aus Syrien, Afghanistan oder Afrika, die manchmal kein Wort Deutsch sprechen, eine gute Ausbildung zukommen zu lassen, hält die Schulamtsdirektorin letztlich für eine "gesellschaftliche Aufgabe". Wie von vielen Stellen die Sache angegangen wurde, macht Schulleiter Mitterreiter in Pullach einigermaßen stolz. Als die Flüchtlingskinder, die dann nicht mehr in der Turnhalle lebten, sondern in der Burg Schwaneck eine Unterkunft hatten, in die Klassen kamen, war erst einmal Platz zu schaffen. Denn seine Schule war wegen der neu angebotenen vorbereitenden Klassen für die Mittlere Reife stark an Schülern gewachsen. Dann kamen noch welche dazu. Räume mussten her. Die Volkshochschule, die Musikschule und das Blasorchester hätten mit an einem Strang gezogen, sagt Mitterreiter. Auch die staatlichen Stellen hätten sehr flexibel reagiert. Zwei Lehrer seien extra zugeteilt worden, freilich nicht mit vollem Wochenstundensatz.

Wenn man Schulleiter Mitterreiter auch mal danach fragt, wo es Probleme gibt mit den Schülern aus fernen Ländern und fremden Kulturen, die ja oft auch eine belastete Kindheit mit Kriegserfahrung hinter sich haben, dann weicht er nicht aus. Manche hätten Probleme mit der Pünktlichkeit, das regulierte Leben in Deutschland müssten sie verinnerlichen. Man könne in die Schüler nicht reinschauen, sagt er, doch er sei überrascht, wie gut schon das Zusammenleben mit den anderen funktioniere. Beklagen sich auch mal Eltern von anderen Kindern, dass der Fokus zu sehr auf die Flüchtlinge gerichtet sei? Offen nicht, sagt Mitterreiter. Unterschwellig habe er so was aber schon gehört.

In Erinnerung bleibt anderes. So wie etwa die Geschichte mit dem Mädchen, das zunächst erlebte, dass es in der Flüchtlingsunterkunft unterrichtet werden sollte und dann darauf pochte, eine ganz normale Schule besuchen zu dürfen. Und die Zwölfjährige aus Syrien, die anfangs nur mit großen Augen zuhörte, und dann irgendwann anfing zu reden. Sie sagte: "Herr Mitterreiter, jetzt bin ich eine ganz normale Schülerin." Solche Schüler will der Pullacher Rektor am liebsten bis zum Abschluss begleiten. Doch das ist nicht so leicht. Notunterkünfte werden aufgelöst, Flüchtlinge gehen nach Anerkennung ihres Asylantrags in andere Städte. Von zwei Ü-Klassen, die Mitterreiter Anfang dieses Schuljahrs hatte, ist eine geblieben.

Für Flüchtlingskinder und Kinder mit Migrationshintergrund sucht die Awo-Nachbarschaftshilfe in Hohenbrunn Schülerpaten. "Lernen kann ja tatsächlich Spaß machen, vorausgesetzt man versteht, worum es geht", schreibt der Verband. Er sucht deshalb Ehrenamtliche, die Kinder bei den Hausaufgaben und beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützen. Die Patenschaften seie so die Nachbarschaftshilfe, n oft erfolgreich. Ein Kind aus Ungarn habe zum Beispiel nun den Übertritt auf das Gymnasium geschafft. Wer anderen dabei helfen möchte, kann sich bei der Awo telefonisch melden (Telefon: 089/99 01 66 96).

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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