Fachkräftemangel:"Wo sind die alle hin?"

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Keine Busfahrer, keine Ingenieure und Bedienungen: Unternehmer im Landkreis München schlagen Alarm, weil sich die Personalnot nach der Corona-Pandemie zuspitzt.

Von Bernhard Lohr, Kirchheim

Bernhard Kolles hat die paar Meter zum Treffen des Regionalausschusses der IHK am Steuer eines Busses zurückgelegt. Der Chef der VBM Busreisen GmbH hat wenig Zeit. Er muss bald weiter, eine Gruppe an der BMW-Welt in München abholen. Aber er will wenigstens kurz dabei sein, wenn die Unternehmer-Vertretung im Landkreis München über das Thema spricht, das viele Firmeninhaber beschäftigt wie kein anderes: den Fachkräftemangel. 32 Busfahrer habe er vor der Corona-Pandemie gehabt, sagt Kolles am Rande des Treffens der Industrie- und Handelskammer, jetzt seien es sechs. Deshalb muss er sich selbst öfter hinters Lenkrad setzen. Viele Betriebe werden derzeit auf ähnliche Weise ausgebremst, weil nicht nur Busfahrer fehlen, sondern auch Ingenieure, Programmierer, Maurer, Bäcker und die Bedienung im Gasthaus.

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Das Problem ist gerade im Landkreis München mit seiner seit Jahren herrschenden Vollbeschäftigung nicht neu und belastet viele Firmen nach dem Auslaufen der Corona-Pandemie doch besonders. Sie wollen jetzt durchstarten und können nicht. "Das Thema ist für uns elementar", sagt der IHK-Ausschussvorsitzende Christoph Leicher, während er im Garten seines Unternehmens im Heimstettener Gewerbegebiet erstmals wieder mit einer größeren Runde von Firmenchefs beisammensitzt. Leicher: "Wir haben keine Leute, wir brauchen Azubis, wir brauchen Mitarbeiter."

Der Personalmangel ist laut einer Umfrage das größte Problem der Unternehmen

Bei einer IHK-Befragung nannten Unternehmer Anfang des Jahres bayernweit den Fachkräftemangel als größtes Problem, noch vor den Schwierigkeiten bei der Lieferkette. Seitdem kam mit dem Krieg in der Ukraine manche Sorgenfalte dazu. Doch gerade im Landkreis München stellt sich die Personalfrage aktuell mit neuer Schärfe. Bei Erzieherinnen und Erziehern, Pflegekräften und anderen durchschnittlich bezahlten Berufen können Stellen schon längst kaum noch besetzt werden, weil Wohnraum so teuer und knapp ist. Jetzt kommen große Lücken im Einzelhandel, im Handwerk, in der Gastronomie und bei Kraftfahrern dazu. "Wo sind die alle hin?", fragt Magnus Harlander, Gründer und Vorstand der Isar AG, einer Gesellschaft für nachhaltige Beteiligungen, der bei der Personal-Akquise eigentlich ganz woanders unterwegs ist.

Wilfried Hüntelmann, Chef der Arbeitsagentur München, sieht eine zentrale Aufgabe in der Fortbildung von Beschäftigten. (Foto: Robert Haas)

Die direkten Adressaten für solche Fragen sitzen dieses Mal mit am Tisch. Elfriede Kerschl ist Referatsleiterin bei der IHK München und Oberbayern. Sie spricht die demographische Entwicklung an. Viele Beschäftigte hätten sich in der Pandemie umorientiert. Manche seien in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Wilfried Hüntelmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München, sieht neue Herausforderungen, auch für seine Behörde. "Früher waren wir Arbeitsvermittlung. Das reicht nicht mehr, das geht nicht mehr." Die Ausbildung sowie die Fort- und Weiterbildung in Kooperation mit der Agentur sei das "A und O". 45 Prozent der arbeitslos gemeldeten Personen verfügten über keinen Berufsabschluss.

Potenzial erkennen Arbeitsagentur, IHK und Betriebe noch im Ausland. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz reichen laut Kerschl seit 2020 ein Qualifikationsnachweis und der Arbeitsvertrag für die Einreise. Die IHK bietet wie die Agentur spezielle Dienste an. Man prüfe Zeugnisse und Zertifikate aus anderen Ländern zügig. Geflüchtete aus der Ukraine dürften ohnehin arbeiten. Viele seien gut qualifiziert und sprächen Englisch. Einer IHK-Erhebung zufolge wollten 35 Prozent der Firmen Fachkräfte aus dem Ausland anwerben.

Das Potenzial im Ausland ist teilweise auch schon erschöpft

Doch in der Praxis bleiben Schwierigkeiten. Die Firmen müssen zum Beispiel den Mechatroniker mit Zertifikat in Brasilien immer noch selbst ausfindig machen. "Das ist in der Tat nicht ganz einfach", sagt Kerschl. Philipp Bryxi, Prokurist beim Hightech-Dienstleister IABG mit etwa 1000 Beschäftigten in Ottobrunn, beklagt Hemmnisse bei Fortbildungen im Betrieb. Eine Personalsuche im Ausland binde viele Ressourcen und am Ende wisse man nicht, ob der Mitarbeiter zu einem passe. Ausschuss-Sprecher Leicher pocht auf mehr direkte Hilfestellung von IHK und Agentur. "Kann ich einfach beim Arbeitsamt anrufen?", fragt er. Gebe es für Chefs eine Durchwahl zum Referatsleiter?

Christoph Leicher hätte sich schon vor Jahren einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt gewünscht. (Foto: Claus Schunk)

Florian Schardt, IT-Unternehmer und Vorsitzender der Kreis-SPD, fordert gerade mit Blick auf den Landkreis Druck auf die Politik, damit in Familien Männer wie Frauen arbeiten gehen können. Ihm zufolge ist es fatal, wenn in Ottobrunn in einer Kindertagesstätte eine Gruppe schließen muss. Wenn für 25 Kinder eine Betreuung ausfalle, "haben wir 25 Fachkräfte weniger". Ein hoher Prozentsatz an Betreuungsplätzen könne gar nicht belegt werden. Elfriede Kerschl mahnt, auch bei der Pflege Familien den Rücken freizuhalten. Ein vom Regionalausschuss installierter Arbeitskreis steht mit dem Landratsamt wegen solche Fragen im Kontakt. Zu alldem kommen Sondereffekte in manchen Branchen. Viele Firmen haben angesichts der technologischen Revolution schlicht ein dickes Auftragspolster.

Kerschl wirbt dafür, die EU als einen Arbeitsmarkt zu verstehen. Wenn man einen Mitarbeiter aus der Ferne zu sich hole, ziehe der einen Bekannten nach. Der gute Job in Deutschland spreche sich herum. Busunternehmer Kolles freilich kennt das alles. Die Busfahrer aus Rumänien oder Kroatien: Dieses Reservoir ist für ihn nahezu erschöpft. Er kämpft an allen Fronten. Beim ihm sei, sagt er, bevor er frühzeitig zum Bus eilt, längst "Land unter".

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