Biotop:Bauplatz im Sumpf

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Das Biotop auf dem Gelände des einstigen Hohenbrunner Weihers ist wild bewachsen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Gemeinde Hohenbrunn will die neue Realschule und Wohnungen in einem Biotop westlich des Ortes errichten, in dem seltene Tiere und Pflanzen leben. Das ruft Naturschützer auf den Plan.

Von Stefan Galler, Hohenbrunn

Wer aus dem Gestrüpp zurückkommt, sollte sich erst einmal gründlich auf Zecken untersuchen. Und falls er unter einer Gräserallergie leidet, muss er sich über ein paar rote Flecken auf der Haut und eine laufende Nase nicht wundern. Denn das Gebiet im Westen von Hohenbrunn ist ziemlich wild bewachsen. Es handelt sich um ein Biotop, in dem es nicht nur einen natürlich gewachsenen Baumbestand gibt, sondern auch zahlreiche Tierarten, darunter Feldhasen und mehrere Bienenvölker, die von Imker Günter Oberhauser gepflegt werden. Laut dem Verein Natur und Umwelt Südost (Nuso) können hier auch jede Menge Vögel, etwa Sumpfrohrsänger, Gelbspötter, Schlagschwirl, Mönchsgrasmücke, Dorngrasmücke, Bachstelze, Goldammer oder Schwanzmeise, ungestört leben.

Mit dieser Idylle könnte es schon bald vorbei sein. Weil die Gemeinde plant, auf insgesamt 14 Hektar das Baugebiet "Westlich der Bahn" zu entwickeln und auch die Fläche des Biotops nördlich der B 471 und westlich der Hohenbrunner Straße zum Teil zu bebauen. Gemeinbedarfsflächen für Realschule, Montessorischule und großzügige Sportstätten sowie nicht weniger als 40 000 Quadratmeter Wohngebiet weist ein erster grober Entwurf des geänderten Flächennutzungsplanes aus. Das aktuell ungefähr 25 000 Quadratmeter große Biotop würde zusammenschmelzen auf etwa ein Viertel der aktuellen Größe. Und das ruft Umweltschützer auf den Plan, speziell der Bund Naturschutz kritisiert das Vorhaben vehement: Man sei "in größter Sorge" und befürchte "eine erhebliche Ausdehnung des Flächenverbrauchs, die wir angesichts einer immer schneller und dramatischer verlaufenden Klima- und Biodiversitätskrise für nicht vertretbar halten", sagt Maxi Königer-Reuß, die Vorsitzende der Ortsgruppe Ottobrunn-Neubiberg-Hohenbrunn-Putzbrunn. "Eine abwechslungsreiche, schöne Landschaftsstruktur, ein einmaliges Rückzugsgebiet mit zahlreichen Baum- und Buscharten und insgesamt vielfältiger Vegetation, wie wir es in ausgeräumten Agrarlandschaften immer seltener finden, soll verschwinden."

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Der Kampf um dieses Stück Natur dauert schon einige Jahrzehnte an. Zwischen den Büschen und Bäumen ist es immer noch feucht, hier wachsen teilweise Schilfpflanzen, was daran liegt, dass in den späten Sechzigerjahren durch die Entwässerung einer größeren Fläche der "Hohenbrunner Weiher" entstanden war, der nach einer umfangreichen Reinigung von Unrat seit Ende der Siebzigerjahre vom Verein Nuso gepflegt wurde. Auch das Anpflanzen einer 120 Meter langen Hecke entlang der Hohenbrunner Straße 1983 konnte den Weiher aber nicht schützen, diverse landwirtschaftliche Aktivitäten im unmittelbaren Umkreis sorgten dafür, dass der Wasserstand immer mehr absank, Rettungsversuche des Vereins hatten nur vorübergehend Erfolg. Dennoch blieb das Biotop ausreichend feucht, um den wilden Wuchs weiterhin zu gewährleisten, entsprechende Beschilderungen als "Amphibienschutzgebiet" sorgten zumindest dafür, dass hier kaum Abfall abgeladen wurde.

Doch nun ist all das in akuter Gefahr: Konkreter Anlass der nun deutlich beschleunigten Umsetzung des schon seit Jahren angedachten Bauvorhabens ist der Zuschlag für eine neue Realschule. Ursprünglich sollte sie in Höhenkirchen-Siegertsbrunn gebaut werden, doch der dortige Gemeinderat wählte als Standort nicht ein Areal neben dem Gymnasium am Bahnhof, sondern eines fast einen Kilometer von der S-Bahnstation entfernt am Ortsausgang. Deswegen revidierte der Zweckverband weiterführende Schulen im Südosten des Landkreises München seine Entscheidung und vergab die Realschule an Hohenbrunn.

Der dortige Bürgermeister Stefan Straßmair (CSU) weiß, dass er und seine Gemeinde jetzt unter Zeitdruck stehen. Da die Realschule in Neubiberg an der Grenze ihrer Kapazität angekommen ist, muss Hohenbrunn so schnell wie möglich anfangen zu bauen. Und so ging der Rathauschef zügig ans Werk, die Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern im Bereich des S-Bahnhofs Hohenbrunn kamen offenbar schnell zu einem guten Abschluss.

Die größten Flächen dort gehören der Bayerischen Städtebau, einem Teil der Doblinger Unternehmensgruppe. Deren Tochter Dibag Industriebau hat die Entwicklung des Gebietes übernommen und in Person von Sebastian Kuhlen, dem Leiter der Standort- und Projektentwicklung, bereits Ende April im Gemeinderat einen ersten Überblick gegeben. Kuhlen sagte damals, dass die Baugebiete "ökologisch und nachhaltig" realisiert werden sollten und betonte, dass seine Firma von der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen für einzelne Bauprojekte bereits Gold-Zertifizierungen erhalten habe.

Mittlerweile sind jedoch nicht nur Naturschützer besorgt: Der Entwurf des Flächennutzungsplanes sieht mehr Wohnbebauung vor als ursprünglich geplant, größere Gemeinbedarfsflächen für die Schulen würden laut dieser Skizze auf Kosten des Biotops gehen. Der Bürgermeister selbst berichtete in der Mai-Sitzung, einige Hohenbrunner seien "schockiert" und hätten ihn und eine Reihe von Gemeinderäten gebeten, nicht für diese Planung zu stimmen. Noch sei nichts endgültig festgelegt, wiederholt Straßmair gebetsmühlenartig, es werde eine umfangreiche Bürgerbeteiligung geben. Angesichts der Größe des Gebiets, das für Wohnbebauung vorgesehen ist, müsse man allerdings mit bis zu tausend Neubürgern rechnen, gab die Gemeinderätin Pauline Miller von der Wählergruppe Bürgerforum zu bedenken, das wäre ein enormes Wachstum für die 9000-Einwohner-Kommune.

Das Biotop bietet Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen und beherbergt auch die Bienenstöcke des Imkers Günter Oberhauser. (Foto: Sebastian Gabriel)

Zudem ist eine neue Ortsverbindungsstraße geplant, die die B 471 in nordöstlicher Richtung mit dem Ortsteil Riemerling verknüpfen soll, die Hohenbrunner Straße wiederum soll für den Durchgangsverkehr geschlossen werden.

Die lokalen Vertreter des Bundes Naturschutz bezeichnen die Realisierung einer Realschule als "wohl begründete Änderung des Flächennutzungsplanes", sehen das Vorhaben insgesamt jedoch kritisch. Die Planungshoheit liege "voll und ganz bei der Gemeinde, Bauerwartungen von Grundstückseigentümern sind nicht maßgebend und müssen auch nicht entschädigt werden", sagt Maxi Königer-Reuß. Ein kaum verklausulierter Hinweis darauf, dass es aus ihrer Sicht keine Kompensation für den preisgünstigeren Verkauf des Schulgeländes geben dürfe, etwa in Form eines nachträglich größer dimensionierten Wohngebiets.

Fraglich ist noch, inwiefern sich die Fraktionen im Gemeinderat tatsächlich für einen weitgehenden Erhalt des Biotops stark machen. Der Grüne Rolf Kersten hatte sich im Mai entsprechend positioniert und erklärt, seine Fraktion sei gegen eine massive Anordnung der Außensportanlagen der Schule zuungunsten des "kleinen Urwalds".

Die Wohnbebauung wird dagegen von den Gemeinderatsmitgliedern nur zaghaft in Zweifel gezogen, auch deshalb, weil sozialgerechte Bodennutzung und zeitgemäße Wohnformen Teil der Umsetzung sein sollen - und auf diesen Gebieten hat Hohenbrunn enormen Nachholbedarf. Für der Bund Naturschutz ist das kein Argument: "Wir haben in einem Schreiben an den Bürgermeister und die Gemeinderäte dringend gebeten, die Planänderung noch einmal zu überprüfen", sagt Königer-Reuß. "Wir fordern die Gemeinde Hohenbrunn auf, von einer Bebauung westlich der Hohenbrunner Straße gänzlich abzusehen." Das gesamte Biotop müsse unberührt bleiben. "Und für Wohnungsbau stehen ausreichend Flächen südlich der B 471, seit über 20 Jahren ungenutzt, zur weiteren Ortsentwicklung bereit."

© SZ vom 30.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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