Historie:Ein Prost auf die Garchinger Geschichte

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Rudi Naisar führt als Gowirich auf einem historischen und kulinarischen Streifzug durch die Universitätsstadt, die lange Zeit ein Dasein als Heidedorf fristete

Von Julian Betz, Garching

Mit offiziellem Kostüm und einem geschälten Haselstecken ausgestattet steht Rudi Naisar, alias "Gowirich", seines Zeichens Namensgeber der Stadt, neben einem gedeckten Buffet, auf dem sich die ersten Häppchen nebst Sekt und Getränken befinden. Bei goldenem Herbstwetter mit Sonne und warmen Temperaturen beginnt Naisar, der auch Vorsitzender im Verein "Garchinger Geschichte" ist, mit seiner Führung über verschiedene Stationen durch die Garchinger Mitte.

Organisiert wurde das Ganze von Ingrid Stanglmeier und Brigitte Betzner, die den Spruch "Hier gibt es ja sowieso nichts Altes" einfach nicht mehr hören konnten. Nach dieser Behauptung hatten die beiden Rentnerinnen entschieden, einem kleinen Kreis von Interessierten die Stadtgeschichte näherzubringen, denn: "Wir lieben unser Garching", sagt Stanglmeier stellvertretend für sie beide. Dass schließlich beim Ticketverkauf dann sogar einige leer ausgegangen sind, hätte Betzner, so gibt sie lachend zu, nun wirklich nicht erwartet.

Bis 1900 hat sich nicht viel verändert

Los geht's bei der rostbraunen Skulptur des Namensgebers "Gowirich" am Rathausplatz. Den gut gelaunten Gästen wird jetzt einiges geboten. Die erste Chronik der Stadt unter den Arm geklemmt mit dem Titel "Der Lehrer auf der Heimatscholle", von Hans Stieglitz aus dem Jahr 1909, berichtet Naisar von den römischen Anfängen und betont, dass es bereits in der Bronzezeit Siedlungen gegeben habe.

Bis in das Jahr 1900 habe sich jedoch nicht viel verändert, die Einwohnerzahl sei konstant um die 600 bis 1000 Einwohner geschwankt und erst im 20. Jahrhundert habe sich dann etwas getan. Seitdem wächst Garching rasant, das wissen auch die Garchinger selbst, von denen einige schon zu Beginn über die großen Pendlerströme diskutieren. Von 20 000 Einpendlern hatte Bürgermeister Dietmar Gruchmann erst kürzlich gesprochen.

Nach einem ersten Zwischenhalt beim Neuwirt, wo es wieder eine kleine Versorgung mit Speis und Trank gibt und auch auf das denkmalgeschützte Gebäude verwiesen wird, zieht man dann weiter zur Kirche St. Katharina. Dort wird der beinah verloren gegangene Grabstein des "berühmten" Garchinger Bürgers Jakob Danzer besichtigt, den Naisar als "Münchhausen von Garching" bezeichnet.

Die belustigte Gruppe darf sich also einige Anekdoten dieses sagenhaften Lügners anhören. So auch die vom früher schiefen Kirchturm. Der sei Vorbild für den schiefen Turm von Pisa gewesen, habe Danzer erzählt und noch gleich eine abenteuerliche Rutschpartie den schiefen Kirchturm runter draufgepackt. Schließlich wurde noch die Kirche selbst besichtigt. Ihre Baugeschichte reicht bis in die Romanik zurück, sie gilt damit als ältestes Gebäude der Stadt.

Spätestens hier wird aus den Erzählungen Naisars deutlich, dass es rund um Garching lange Zeit nicht viel gegeben hat, jedenfalls nichts außer Heideland. Den Spruch eines Historikers "Vom Heidedorf zum Atomzentrum" könne er dennoch nicht ganz bestätigen, denn schließlich gebe es ja auch noch einiges anderes hier, erklärt Naisar den schmunzelnden Zuhörern.

Früher ging ein oder zwei Kinder aus der Klasse aufs Gymnasium

Während die Führung sehr harmonisch und nicht zuletzt dank der vielfältigen Verpflegung in alten Gastwirtschaften wie dem Neuwirt und dem Augustiner, der im früheren Gesindehaus der Poststation untergebracht ist, für die Teilnehmer alles andere als strapaziös verläuft, deutet sich hin und wieder auch Kritik an. Beispielsweise als es um das Freizeitheim geht, welches früher als Schule diente. Naisar erzählt, wie "zu seiner Zeit" noch ein oder zwei Kinder aus der Klasse ins Gymnasium gingen, während heutzutage 80 Prozent diesen Weg einschlügen.

Die Kinder seien heute offenbar sehr viel schlauer als sie damals, merkt Naisar ironisch an. Oder als es um ein Emblem der alten Poststation und Tafernwirtschaft geht, welches beinahe verschwunden wäre und nun wieder nach längerem Bemühen an seinem Bestimmungsort angebracht werden soll, an der Stelle, wo sich heute ein griechisches Lokal befindet. Hier fragt sich eine der Teilnehmerinnen, wie so ein Relikt überhaupt in den Hintergrund geraten kann.

Am Ende, als es noch Kaffee und "Austeilnudeln" gibt - also Schmalzgebäck, das schon vor 150 Jahren auf der Speisekarte stand - scheinen jedenfalls alle Teilnehmer zufrieden zu sein, zumal sie weder mit zu viel historischem Wissen überfordert wurden noch sich überessen mussten. Kleine Schmankerl eben, sowohl in sinnlicher als auch geistiger Hinsicht.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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