Handy-Mitschnitt beim Brunner-Prozess:90 grauenvolle Sekunden

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"45. Sekunde, männliche Täterstimme: Du Bastard." Beim Solln-Prozess wertet eine Gutachterin einen Handy-Mitschnitt aus. Die Aufzeichnung dokumentiert den brutalen Angriff auf Dominik Brunner.

Christian Rost

Als das Band eine Minute und 32 Sekunden gelaufen ist, sagt ein Mann: "Lieber Gott!" Eine Frau ruft: "Einen Notarzt!" In diesem Moment reißen auch die dumpfen Geräusche endlich ab. Gut eineinhalb Minuten sind am Dienstag im Saal 101 des Münchner Landgerichts diese grauenvolle Geräusche zu hören. Und man weiß, es sind die Tritte und Schläge, an deren Folgen Dominik Brunner gestorben ist. Dazwischen sind Schmerzenslaute des Opfers zu hören: "Ahhh", kommt es immer wieder vom Band.

S-Bahn-Station Solln: Am 12. September 2009 war Brunners Handy während der Attacke eingeschaltet - eine Gutachterin hat die Aufnahme nun vor Gericht vorgetragen. (Foto: dpa)

Während der Manager am 12. September 2009 am Sollner S-Bahnhof von zwei Jugendlichen zusammengeschlagen wurde, konnte die Polizei das Geschehen mithören und aufzeichnen. Brunners Handy, das er vermutlich in der Hosentasche trug, war während der Attacke eingeschaltet und mit der Polizeieinsatzzentrale verbunden. Ob die Telefonverbindung von Brunner absichtlich oder durch Schläge oder Tritte gegen das Handy hergestellt wurde, ist nicht mehr festzustellen.

Der achte Verhandlungstag im Prozess um den gewaltsamen Tod von Dominik Brunner war beklemmend. Zunächst erzählte seine ehemalige Lebensgefährtin von der gemeinsamen Zeit. Dann schilderten Rettungssanitäter und Notärzte ihre verzweifelten Versuche, das Leben des Mannes zu retten, der nach der Attacke am Sollner Bahnsteig einen Herzstillstand erlitten hat. Sechs Wiederbelebungsversuche mit dem Defibrillator haben die Sanitäterin Monika F. und ihre Kollegen unternommen - ohne Erfolg. Eine Patientenverfügung, die in Brunners Geldbeutel gefunden wurde, sei nicht mehr relevant gewesen, sagt ein Notfallmediziner als Zeuge aus. Brunner starb um 18.20 Uhr, zwei Stunden nach dem Gewaltexzess, im Schockraum des Klinikums Großhadern.

Markus Sch., 19, und Sebastian L., 18, müssen sich vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts wegen Mordes verantworten. Ein Beweisstück ist das Tonband der Polizei, und es dürfte wohl einzigartig in der Münchner Justizgeschichte sein, dass eine Gewalttat auf diese Weise dokumentiert wurde. Die Aufzeichnung ermöglicht es, sich ein exaktes Bild vom Geschehen am Bahnhof zu machen. Ohne die Hilfe einer Phonetik-Expertin vom Landeskriminalamt (LKA) allerdings wären die Töne nicht zu deuten.

Schon wegen der Frequenzüberlagerungen und der Schabgeräusche, die beim Kontakt des Handymikrophons mit dem Stoff in Brunners Hosentasche entstanden, ist es für Laien nahezu unmöglich, auch nur einzelne Worte zu verstehen. LKA-Expertin Raphaela Lauf konnte zwar die einzelnen Stimmen den Beteiligen nicht genau zuordnen, es gelang ihr aber, Satzfragmente aus der Aufzeichnung herauszuhören und aufzulisten. Vor allem die geschrienen Worte vermitteln einen Eindruck, wie rasend vor Wut die Jugendlichen - Markus Sch. war mit 1,46 Promille schwer betrunken - auf ihr Opfer eingedroschen haben müssen.

Die Sachverständige hat das Sekunde für Sekunde protokolliert und liest vor: "45. Sekunde, männliche Täterstimme: Du Bastard." Oder: "1 Minute 7 Sekunden, männliche Täterstimme: 'Mir scheißegal'." Oder: "1 Minute 24 Sekunden, männliche Täterstimme: 'Du Motherfucker'." So geht es weiter, bis Zeugen nach einem Notarzt rufen. Auch Brunner sind neben Ächz- und Stöhnlauten Worte zuzuordnen. Er sagt mehrmals: "Oan nimm i mit" (Einen nehme ich mit).

Nach dieser Einspielung ist Brunners Stimme noch einmal im Gerichtssaal zu hören. Die Gutachterin legt ein anderes Band ein. Die Polizei hat auch Brunners ersten Anruf aus der S-Bahn, wo er vier Schüler vor den Jugendlichen in Schutz nahm, aufgezeichnet. "Da sind zwei, die andere ausrauben wollen", sagt Brunner. "Ich steig' in Solln aus und nehm die jungen Leut' mit." Der Polizist antwortet: "Wir kommen, machen Sie sich bemerkbar." Als die Polizei dort eintrifft, liegt Brunner schon bewusstlos am Boden.

© SZ vom 28.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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