Umzug am Isar-Amper-Klinikum Haar:Patienten auf Reisen

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Die Psychiatrie in Haar gibt ihr Stammareal zur Hälfte auf. Als eine der letzten zieht die Station für "Alter und Sucht" in Neubauten um. Der Umzug in die neuen hellen Räume verläuft so reibungslos, dass die Patienten entspannt dabei bleiben.

Von Bernhard Lohr, Haar

Zwei kräftige Männer schieben vollgepackte Rollkörbe über den Flur. Eine Altenpflegerin bugsiert Nachtkästchen zu einer Sammelstelle in einem Eck. Das passiert fast unbemerkt. Auf Station 61 AE geht zwischen gestapelten Umzugskisten und den Koffern, die man durch offene Türen in Patientenzimmern sieht, an diesem Morgen kurz nach 9 Uhr das gewohnte Leben weiter.

Eine Gruppe von Senioren nimmt in dem durch Scheiben abgetrennten Gemeinschaftsraum an einer Therapiestunde teil. Pflegekräfte stehen im Stationszimmer beisammen. Bald gibt es Mittagessen. Danach aber verlassen die 19 Patienten der Gerontopsychiatrie-Abteilung das historische Gemäuer. Es geht 800 Meter weit rüber in Neubauten des Isar-Amper-Klinikums in Haar I.

Für die Patienten der Station für "Alter und Sucht" soll der seit Monaten akribisch geplante Umzug möglichst reibungslos ablaufen. Ein Ortswechsel ist gerade für sie keine Kleinigkeit. Für die Klinik freilich auch nicht. Denn sie räumt damit vollends die Hälfte des Klinikareals, das über Jahrzehnte aus der einst eigenständigen und 1905 eröffneten Heil- und Pflegeanstalt Eglfing und der 1912 eröffneten Anstalt Haar bestand. Die frühere Anstalt Haar, die als Haar II bezeichnet wurde, wird zum Wohngebiet. Haar I ist künftig Klinik.

Zwischen den Möbelpackern und den Pflegekräften macht sich auf Station 61 AE Irmgard Steiner nützlich. Im Juni ging sie in Rente und sagte: Wenn ihr beim Umzug Hilfe braucht, dann komme ich. Nun steht sie im Flur, hat sich Gummihandschuhe übergestreift und trägt einen Papierkorb. Sie habe dabei sein wollen, wenn es ans Räumen gehe, sagt sie. Der Kontakt sei bis heute eng zur Belegschaft. "Ich war seit 1971 im Haus, ich habe hier gelernt und bin hier geblieben. Immer Geronto." Steiner erinnert sich, wie früher die Patienten noch in zwei Krankensälen untergebracht waren. Privatsphäre gab es nicht. Dann kam der Umbau im Altbau, mit Zwei- und Dreibettzimmern. Die Klinikatmosphäre mit weißen Wänden und dunklem Flur blieb.

Die wollen die Verantwortlichen der Isar-Amper-Klinik wie der neue Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin, Jens Benninghoff, jetzt gerne zurücklassen. Benninghoff schwärmt regelrecht von den Möglichkeiten in den neuen, modernen Gebäuden, die für insgesamt mehr als 100 Millionen Euro im Herzen von Haar I errichtet wurden. Als er am Umzugstag auf Station 61 AE vorbeischaut, spricht er davon, wie geschützte Bereiche stärker geöffnet werden sollen und erwähnt das Konzept des Potsdamer Tischs, das so heißt, weil es an einer Potsdamer Klinik erstmals umgesetzt wurde. Das Prinzip: Ablenken statt Absperren. Eine Pflegekraft sitzt an einem Tisch an der Stationstür und verwickelt verwirrte Patienten, die die Räume verlassen wollen in ein Gespräch und bringt sie auf sanftem Weg zurück. Auch technische Möglichkeiten wie Uhren am Handgelenk, die anzeigen, wenn ein Patient eine Station verlässt, will Benninghoff stärker nutzen.

Schon früh packten die Patienten ihre Sachen

Die Patienten der Station 61 AE betrifft das, anders als die auf anderen gerontopsychiatrische Stationen, nicht. Sie befinden sich wegen altersspezifischen Erkrankungen und Suchtproblemen in der Klinik und können ihre Station verlassen. Ein alter Mann, unrasiert, aber mit freundlichem Lächeln im Gesicht, schlurft mit einer Zeitung unter dem Arm heran und beginnt zu erzählen, inmitten von Packern und Schwestern, die Sachen zum Ausgang bringen. Er beklagt die wachsende Armut im Land und schwenkt plötzlich um. "Um 12 Uhr kommt der Bus, dann fahr ich rüber zur neuen Station", sagt er. Er freue sich. Dann muss er noch ein Lob loswerden: "Ich habe tiefsten Respekt für alle, die hier gearbeitet haben." Tobias Zangl ist einer der Pfleger, die Patienten auf den großen Tag vorbereitet haben. Er wirkt entspannt. Alles sei seit Monaten geplant, sagt er. Man habe mit den Patienten schon früh die persönlichen Sachen gepackt, damit sie das Gefühl bekämen, alles gehe seinen geregelten Gang. Der Umzug selber sei kein großes Ding. "Die Patienten nehmen das ganz gut auf", sagt er.

Um 14 Uhr ist das meiste vollbracht. Die Patienten sind in ihren neuen Zimmern. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Grüne Wände, rotbrauner Boden, dazu große Fensterflächen - es ist hell. Beim Betreten der Station C4 in Haus 56 E, wie sie jetzt heißt, könnte man sich auch in eine Hotellobby mit Empfang versetzt fühlen. In der Ecke stehen graue Sitzmöbel, der Blick fällt in einen Aufenthaltsraum. Auch dort sind die Sessel mit Stoff bezogenen. Im neuen Haus geht es hektischer zu. Techniker diskutieren und Umzugsplaner mit Schreibpads in der Hand geben Anweisungen. Kisten stehen im Flur, aus denen Drucker und Bildschirme ragen. Dazwischen bewegen sich traumwandlerisch, wie es scheint, die Patienten.

Stationsleiter Hans Eittinger legt bei alldem die notwendige Gelassenheit an den Tag. "Bis in acht Tagen findet alles seinen Platz", sagt er. Er hat vor einem Jahr den Umzug von Stationen von Haar in das Isar-Amper-Klinikum Fürstenfeldbruck gemeistert - eine alleine schon wegen der Entfernung kompliziertere Angelegenheit. Eittinger hat auch noch die Zeit der Schlafsäle erlebt. Jetzt gibt es nur noch Ein- und Zweibettzimmer. Er freut sich über den neuen "Dorfplatz" auf der Station, wo Patienten zusammenfinden und es sich auf den Sitzmöbeln bequem machen können. Ein Wermutstropfen für die Mitarbeiter sind kleinere Personalräume und Büros. Angeblich hat sich manche Pflegekraft nur schwer von dem alten Gebäude getrennt.

Die Station für "Alter und Sucht" ist die erste, die im letzten Umzugsschwung Haar II verlässt. Bis Mitte Januar räumen 127 Patienten der Gerontopsychiatrie ihre Zimmer; dazu Patienten der Psychosomatik-Station und einer Einheit der allgemeinpsychiatrisch ausgelegten Klinik-Ost. Dann ist auf dem 22,5 Hektar großen Areal die Klinik Geschichte. Investoren lassen in den alten Gebäuden Wohnungen schaffen und auf der Wiese Neubauten errichten.

© SZ vom 20.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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