Integration:Semmelknödel und andere Probleme

Lesezeit: 3 min

Nabintou Drame (Mitte) ist glücklich bei ihrer neuen Familie. Ihre Patin Marylin Knüppel (links) trägt zum Wohlbefinden bei. (Foto: Claus Schunk)

Als Familienpatin hilft Marilyn Knüppel einer 17-jährigen Senegalesin, sich in ihrer neuen Heimat Haar einzuleben. Die Rentnerin hat selbst vor langer Zeit ihr Zuhause in weiter Ferne zurückgelassen. Sie weiß genau, wie sich das anfühlt.

Von Christina Hertel, Haar

Marilyn Knüppel weiß, was es bedeutet, fremd zu sein. Sie kommt aus den USA. Vor etwa 40 Jahren wanderte sie aus, zuerst in die Schweiz, später hierher in den Landkreis. Heute sagt sie: "Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal machen würde." Trotzdem ist Haar in all den Jahren ihr Zuhause geworden, irgendwie. "Sich in einem fremden Land einzuleben, ist wirklich ein Kampf", findet sie. Wie das trotzdem gelingen kann, versucht sie weiterzugeben an Nabintou Drame. Denn Marilyn Knüppel ist ihre Familienpatin.

Nabintou ist 17 Jahre alt. Vor etwa einem Jahr hat sie alles hinter sich gelassen. Ihre Mutter, ihre Geschwister, ihre Freunde. Nabintou kam aus dem Senegal nach Deutschland. Ihr Vater lebt schon seit fast zehn Jahren hier. Immer war es ihr Traum, bei ihm zu sein. Ihre Patin hilft ihr dabei, diesen Traum, nachdem er Wirklichkeit wurde, auch zu leben.

Acht Patenschaften in der Gemeinde

Die Familienpaten werden in Haar von Heike Heidenstecker koordiniert, die für die örtliche Nachbarschaftshilfe arbeitet. Insgesamt gibt es in der Gemeinde momentan acht Patenschaften. "Wir sind aber immer auf der Suche nach neuen Paten", sagt Heidenstecker. Die Aufgaben, die diese übernehmen, seien verschieden. Häufig komme es jedoch vor, dass sie entweder bei Alleinerziehenden oder bei kinderreichen Familien eingesetzt werden. Ein Pate ist dann meist für ein Kind zuständig, so wie Knüppel für Nabintou. Etwa einmal in der Woche sollen sie sich treffen. "Das Wichtigste ist, ein offenes Ohr zu haben und ein kleiner Fels in der Brandung zu sein," sagte Heidenstecker. Ziel ist es, große Krisen in den Familien mithilfe der Paten gar nicht erst entstehen zu lassen.

Alles ist neu für Nabintou, auch die Familie

In ihrer Heimatstadt im Senegal ist vieles anders als in München. Staubsauger, Ampeln an quasi jeder Kreuzung - das alles ist neu für Nabintou. Deutsch ist eine Fremdsprache. Und ihre Familie waren anfangs lauter Fremde. Da ist Verena Hayn, die Freundin ihres Vaters. Sie war hochschwanger, als Nabintou ankam, inzwischen ist das Baby auf der Welt. Da ist Samuel, ihr Stiefbruder, Hayns Sohn aus erster Ehe. Und da ist ihr Vater, Papa Samba Drame. Ihn hat sie zehn Jahre lang nur einmal im Jahr gesehen.

Mittlerweile spricht Nabintou gut Deutsch. Nur manchmal sagt sie: "Ich verstehe nicht." Und schaut dann zu ihrer Stiefmutter. "Wir haben uns am Anfang mit Händen und Füßen verständigt", sagt diese. "Irgendwie hat es aber recht schnell geklappt." Hayn ist Anfang 30, fröhlich und aufgeschlossen. Ihr war immer klar, dass ihr Freund seine Tochter zu sich holen will. Alle Kinder gehören zur Familie.

Dass mittlerweile alles so gut klappt, liegt auch an Marilyn Knüppel. Es gab mehr zu regeln, als Hayn und Drame zunächst dachten. Integrationskurs, Schule, Behördengänge, Deutschlernen. Knüppel unterstützte die Familie bei allem. Am wichtigsten war ihr aber, dass sich das Mädchen langsam in Haar wohlfühlt.

Bei ihrem ersten Treffen ging Knüppel mit Nabintou zum ersten Mal in einen Supermarkt. Knüppel hielt Käsepackungen, Äpfel und Schokolade hoch und sagte Nabintou, wie man all das in Deutschland nennt. "Man kann sich Wörter besser merken, wenn man ein Bild vor Augen hat", sagt Knüppel. Sie ist Rentnerin, früher hat sie an der Staatsoper die Sologeige gespielt. "Ich habe die tollste Musik erlebt, die ein Mensch hören kann." Mit Nabintou singt sie manchmal Weihnachtslieder.

"Frau Knüppel war unser rettender Engel"

"Frau Knüppel war unser rettender Engel", sagt Verena Hayn. "Es dauert, bis man zusammenwächst und es gibt auch manchmal Tränen." Einmal kochte Hayn Semmelknödel für ihre Familie. Nabintou schmeckten sie nicht, aber anstatt das zu sagen, verkroch sie sich in ihr Zimmer. "Ich habe erst hinterher verstanden, dass Nabintou einfach anders erzogen wurde", sagt Hayn. Zu sagen, das schmeckt mir nicht, hätte bei ihr zu Hause als respektlos gegolten.

"Es ist sehr, sehr schwer, seine eigene Kultur zu verlassen", sagt Knüppel. Wenn man Flüchtlinge fragen würde, so glaubt sie, würden 80 Prozent gerne zurück, wenn sie könnten. "Es hat bestimmt acht Jahre gedauert, bis ich mich in Deutschland Zuhause gefühlt habe." Mittlerweile könnte sie nicht mehr zurück. "Ich habe in den USA ja niemand mehr, ich wüsste gar nicht, in welchem Land ich leben sollte."

Zurückgehen ist keine Optiopn

Zurückgehen ist auch für Nabintou keine Option. Weil sie immer hierher wollte. Weil sie sich in ihre neue Familie eingelebt hat. Und weil sie inzwischen auch ein paar Freunde gefunden hat. "Ich bin ein bisschen schüchtern", sagt sie. Aber seitdem sie an der Volkshochschule ihren Hauptschulabschluss nachholt, hat sie ein paar Leute kennengelernt.

"Wann treffen wir uns eigentlich nächste Woche?", fragt Knüppel. Sie hat einen langen Kalender in Hand, Nabintou ihren Stundenplan. Die beiden überlegen hin- und her. Irgendwann sagt Knüppel: "Die junge Frau ist beschäftigt, wir treffen uns erst in zwei Wochen."

Wer Interesse an einer Patenschaft hat, kann Heike Heidenstecker unter Telefon 089/46 20 44 39 anrufen.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: