Grundwasser-Flut in der Region:Druck von unten

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Erst der Regen, dann die Grundwasser-Flut: Die starken Schauer der vergangenen Wochen machen sich noch auf andere Weise bemerkbar. Hausbesitzern laufen die Keller voll.

Martin Bernstein und Walter Gierlich

"Ich trage dich, Mutter, durch die Flut / Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut." 201 Jahre ist es her, dass Johann Wolfgang von Goethe diese Zeilen dichtete. In der Echinger Goethestraße wird man sie eher nicht so gerne rezitieren. Seit 28 Jahren gibt es dort den Grundhochwasserverein. Und der Name sagt alles: Immer wieder mal bekommen die Eigenheimbesitzer im Echinger Dichterviertel nasse Füße - zumindest, wenn sie in ihre Keller gehen. Deshalb haben sie eigene Messpegel eingerichtet. 20 Zentimeter fehlten gestern noch zum Alarmpunkt.

Luxusprobleme für Allacher und Obermenzinger, Feldmochinger und Gröbenzeller. Und gar für die Karlsfelder. Dort braucht derzeit niemand einen Grundwasserpegel - dort steht das Wasser in den Kellern und auf den Feldern. Bis einen Meter unter die Erdoberfläche reicht in Karlsfeld im Dachauer Moos normalerweise das Grundwasser. Am Montag waren es noch 20 Zentimeter. Und das bedeutet: Jede Menge Arbeit für die Karlsfelder Feuerwehr. Von Freitagabend, als die ersten Keller vollliefen, bis Sonntagnachmittag wurde sie zu 120 Einsätzen gerufen, um das Grundwasser abzupumpen. Eine solche Situation habe es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben, sagt der Zweite Bürgermeister Wolfgang Offenbeck. Das gesamte Gemeindegebiet sei davon betroffen, berichtet der Lokalpolitiker, der von Beruf Landwirt ist. Sogar auf einigen seiner Felder stehe derzeit Grundwasser, nachdem der ohnehin schon hohe Wasserspiegel durch die Regenmengen von bis zu 100 Litern in 24 Stunden Ende voriger Woche noch weiter angestiegen sei.

Karlsfeld, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Kolonisten erbaut wurde, die das Dachauer Moos trockenlegten, hatte in der Vergangenheit stets mit hohen Grundwasserständen und überfluteten Kellern zu kämpfen. Das änderte sich schlagartig, als vor den Olympischen Spielen 1972 wenige Kilometer nordöstlich die Ruderregattastrecke angelegt und im Westen des Gemeindegebiets der Waldschwaigsee ausgebaggert wurde. Da fiel der Grundwasserstand erheblich, und in der Folge blieben die meisten Keller trocken. Umso mehr sind die Menschen erschrocken, die am vergangenen Freitag nach Jahrzehnten erstmals wieder nasse Keller hatten. "Wir haben an der Messstelle Rothschwaige einen Höchststand über die letzten zehn Jahre", erklärt Marion Duschl vom Wasserwirtschaftsamt München. Ursache für die Überflutungen seien ein extrem gesättigter Boden in diesem "insgesamt sehr nassen Sommer", der Dauerregen von Donnerstag bis Samstag und das Hochwasser der Würm. "Für die Natur kann keiner was", betont sie.

Das sieht ihr Chef Klaus Arzet ähnlich. Nein, sagt der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes, dass der Grundwasserspiegel generell steige, könne er nicht bestätigen. Und auch die Regenmengen in diesem schon eher feuchten August seien nicht so exorbitant hoch - ungewöhnlich aber sei die Intensität, mir welcher der Regen herunterrauscht. "100 Liter pro Quadratmeter in wenigen Stunden, das ist schon extrem", sagt Arzet. Das überfordert dann auch einen Fluss wie die Würm, die - weil sie Feinpartikel in größerer Menge mit sich führt - eigentlich ganz gut nach unten, zum Grundwasser hin abgedichtet sei. Seit Tagen liegt der Würmpegel in Obermenzing konstant 50 Zentimeter über dem Normalwert, in Leutstetten im Landkreis Starnberg sogar fast 70 Zentimeter. Das sind Pegelmarken wie beim Pfingsthochwasser vor elf Jahren. Da drückt dann Wasser aus dem Fluss in tiefere Schichten, das Grundwasser steigt. Keine Seltenheit in anderen Flüssen übrigens, auch nicht an der Isar. Die Isaranrainer können ein Lied davon singen - auch die Menschen im Echinger Dichterviertel.

Das wiederum gibt den Betroffenen immer wieder Anlass zu Spekulationen: Irgendwer muss doch schuld sein, dass Keller, die jahrzehntelang trocken waren, auf einmal leergepumpt werden müssen. In München verdächtigen Isaranrainer ebenso hartnäckig wie unberechtigt die Renaturierungsmaßnahmen, schuld an der Misere zu sein. In Feldmoching glauben die Betroffenen, dass der Nordwest-Sammelkanal wie eine Staumauer im Boden wirke. In Karlsfeld argwöhnen die Betroffenen, die Flut im Eigenheim könnte etwas mit den Bauarbeiten zur Fernwärmeversorgung zu tun haben. In Gröbenzell liefen am Wochenende die Pumpen ohne Pause - und ohne irgendwie identifizierbaren Schuldigen.

Fakt ist: An vielen Grundwasserpegeln ist die Marke derzeit hoch wie schon lange nicht mehr. In Feldgeding im Dachauer Moos stand das Grundwasser seit Beginn der Aufzeichnungen vor neun Jahren 2,6 Meter unter dem Gelände - jetzt sind es nur noch 1,9 Meter. Olching: dreißigjähriger Mittelwert 3,1 Meter, aktuell 2,4 Meter; Gröbenzell: 1,5 Meter unter Gelände im Durchschnitt der vergangenen 40 Jahre - derzeit nur noch 60 Zentimeter. "Ich muss davon ausgehen, dass wir so eine katastrophenartige Situation seit Jahrzehnten nicht mehr hatten", sagt der Karlsfelder Wolfgang Offenbeck. Grundwasserstände wie derzeit in Karlsfeld, das bestätigt auch Klaus Arzet, sind "eher selten". Manche Messstellen in der Schotterebene gibt es schon seit rund 100 Jahren. Und die zeigen laut Klaus Arzet, dass die Grundwasserstände langfristig "eher wieder durchschnittlich normal" sind.

Was den Karlsfelder, Allacher, Gröbenzeller, Feldmochinger oder Echinger, der mit den Wasserschäden im eigenen Keller fertig werden muss, aber wohl eher nicht tröstet. Zumal es besser wäre, die Pumpen noch nicht aufzuräumen. Denn die Pegel der Flüsse, die aufs Grundwasser drücken, sinken nur ganz langsam, wenn überhaupt. Am Oberlauf der Würm gilt immer noch die zweithöchste Meldestufe 3. In Gauting wird gerade die Flutmulde fit gemacht für ein erneutes Hochwasser. Im Abstimmung mit der Einsatzleitung im Starnberger Landratsamt hat die Gemeinde die am Freitag geöffnete Lücke im Würmdamm am Montag mit Sandsäcken wieder geschlossen und mit Plastikplanen abgedichtet. Der Zweck der Übung: Das Wasser in der Flutmulde soll nun versickern, damit diese Vertiefung im Notfall erneut als Reservoir zur Verfügung steht.

Denn der nächste Dauerregen kommt bestimmt. "Von Donnerstag an rechnen wir mit neuen Niederschlägen", sagt Klaus Arzet, "am Freitag werden die Pegel erneut steigen." Und das heißt dann auch: Bewohner von älteren Gebäuden werden wieder Probleme mit dem Grundwasser bekommen. Klaus Arzet: "Damit werden wir noch eine ganze Weile leben müssen." Goethes hoffnungsvolles: "Das Wasser sinkt, das Land erscheint..." wir wohl noch eine Zeitlang Dichtung bleiben.

© SZ vom 11.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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