Freilufttheater auf dem Tollwood:Die Kinder des Olympiabergs

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Von Sonne verwöhnt, verspielt und verzaubernd: Ein Tag auf dem Tollwood mit Dingdarstellern, katalanischen Clowns und einer lebenden Brunnenfigur.

Sabine Leucht und Petra Hallmayer

Das Wetter ist vermutlich die größte Sensation des diesjährigen Sommer-Tollwood. Bei gleißender Sonne und Saharahitze am vergangenen Wochenende kann man gar schon von einer Übererfüllung seiner Rolle sprechen. Fast sehnte man sich manchmal nach den kühlen Pfützen vergangener Jahre. Prima Zeiten also für die Umsonst- und Draußen-Performances, die auf dem Schauplatz am Haupteingang und im an die linke Geländeflanke gepressten Amphitheater zum Längerverweilen einladen.

Künstlerisch wertvolle Nippesfiguren: die "Companyia La Tal" mit ihrem Glockenspielstück "Carilló" auf dem Tollwood. (Foto: Tollwood / oh)

Die akustische Konkurrenz aus Biergärten und Musikzelten ist verschmerzbar, weil Tuig, Inko'nito und Co. weitgehend stumm ihr Publikum zu fesseln suchen. Und in die Marktstand- und Kunsthandwerker-Umgebung reiht sich das Gros der artistischen und performativen Outdoor-Darbietungen nahtlos ein.

Zumal das Glockenspiel Carilló, das die spanische Companyia La Tal mit drei Akteuren bestückt, gut auch als künstlerisch wertvolle Nippesfiguren käuflich erwerbbar sein könnten. In steifen Pappmachékostümen mit viel aufgemalter Patina sind sie Dingdarsteller, die riesige Staubwedel, Schlüssel, allerlei Schießwerkzeug und Hämmer schwingen (oder auf die Köpfe bekommen), blechern verstärkte Knutscher austauschen und ihre Münder auf- und zuklappen, während verfremdete Gesangsstimmen Melodien aus Bizets Carmen - nun ja: herausquetschen.

Gemacht ist das tadellos, und doch oder eben deshalb: Das Uhrwerk der grotesken Clowns bindet die Aufmerksamkeit nicht viel länger als das Glockenspiel am Marienplatz.

Die Verpflegungslage rund ums Amphitheater ist allerdings weit besser, Stühle und Böschung sind hinreichend bequem; und überhaupt scheint das Tollwood-Gelände dieser Tage ein Platz für glückliche Menschen zu sein. Ob der Grund dafür nun der endlich angekommene Sommer ist, das Ende der WM-Euphorie oder der tadellose Ruf der Farbe Blau, mit dem Tollwood in diesem Sommer alles verkauft: vom uralten Blues übers Wasserspiel bis zur ewig zerdehnten Blauen Stunde?

Tollwood 2010
:11 Freuden

Die hübsche Norah Jones, die legendären Pet Shop Boys oder ein streitendes Paar auf der Bühne: Das sind die Highlights auf dem Tollwood-Festival.

Wenn die katalanischen Clowns der Cia. La Tal abends wieder mitten in diese hineinlaufen, hat sich die immense Erheiterungsbereitschaft einiger Zuschauer noch einmal gesteigert.

In Démodés haben La Tal und Leandre ihren gesamten Hausrat in einen alten Karren gesteckt. Ja, die Jungs sind gefeuert, verfeuern ihrerseits das Plakat vom letzten gemeinsamen Auftritt und haben in dieser dunklen Stunde einige Mühe, ein provisorisches Lager aufzuschlagen. Erst sabotieren sie sich gegenseitig mit flinken Beinen und schwermütigen Hundeblicken. Dann schüttelt einer eine Bierdose so lange, bis lustige Fontänen herausspritzen.

Es ist schön zu sehen, wie die Frust bedingten Feindseligkeiten immer unbeschwerter und artistischer werden. Aber ob es gleich ein Riesenbrüller ist, wenn ein Clownsschuh brennt? Démodés, was so viel heißt wie "altertümlich" oder "anachronistisch", ist eine hübsche kleine Demonstration des menschlichen Überlebenswillens unter widrigen Bedingungen.

Verglichen damit ist es nachgerade unverschämt, über das schöne Wetter zu jammern. Allein, wer nicht als Beduine oder Bratapfel auf die Welt gekommen ist, ringt an manchen Nachmittagen mit dem Tod durch Schmelzen. Angesichts der Gluthitze finden sich auf dem schattenlosen Spielfeld zu Les Apostrophés nur wenige Neugierige ein, doch zusehends zieht das von einem Akkordeonspieler angeführte liebenswerte Wandertheater einen wachsenden Rattenschwanz an Zuschauern durch die Tollwood-Gassen.

Bei jeder Station präsentieren die charmanten Franzosen eine neue Slapstickszene. Ein blasierter Kellner schüttet - "Et voilà!" - im improvisierten Bistro den Wein rücklings über die Schulter ein, ein Mann kämpft chaplinesk mit Krawatte, Hosenträgern und Schuhen, ein anderer wiegt zur Musik hingebungsvoll ein Baguette in den Armen, das flugs ebenso wie ein Besen oder eine Mütze zur Jonglage dient, ehe die Artisten zum Abschluss in einem skurril-witzigen Kreistanz erotische stierkämpferwilde Machoposen parodieren.

Wenig später lockt das britische Trio Mimbre mit Until now wieder ins Amphitheater, wo es in einer Mischung aus fließend choreographierter Akrobatik, Tanztheateranleihen und kunstgewerblich gefälliger Poesie kleine Geschichten über das Abschiednehmen erzählt.

Auf der mit Koffern bedeckten Bühne bilden Emma Norin, Lina Johansson und Silvia Fratelli neben einem in drei Richtungen führenden Wegweiser Körperpyramiden und verschachtelte Sitzgruppen, schlingen ihre Glieder umeinander und wirbeln sich mit den Füßen durch die Luft.

Aus einem der Koffer schnellt eine Hand mit einem Brief, ein anderer enthüllt eine Blumenwiese. Von Zeit zu Zeit versucht eine der Akteurinnen aufzubrechen, hält inne und kehrt zurück, bis sie sich denn doch trennen. Das alles ist reizend inszeniert, wenngleich etwas gar zu lieblich.

Taubenblau liegt schließlich die Abenddämmerung über dem Platz, als Mädir Eugster von der Schweizer Formation Rigolo für seine Performance Tausendwasser aus einem Rundcontainer klettert.

Zu arabisch anmutenden, mit Jodlervariationen und lustigem Babeldibabalidi-Kauderwelsch angereichertem Gesang lässt er aus seinen behandschuhten Fingern Wasserfontänen aufsteigen, die er zum Tanzen bringt, verwandelt sich in eine lebende Brunnenfigur, entfaltet von entzückten Kinderschreien begleitet aus seinen Ärmeln glitzernde Sprühfächer, zeichnet flüssige Ornamente in den Himmel und spannt einen Schirm aus Tropfenketten über sich auf.

"Boah! Geil!" ruft ein Junge immer wieder und stupst seinen mit offenem Mund staunenden Freund an. Dass bei dieser wunderhübschen jahrmarktsgauklerischen Wasserzauberei nicht alle Zuschauer trocken bleiben, mindert die Freude daran nicht. "Jetzt machen wir aber einen ganz großen Applaus", verkündet der Junge am Ende strahlend. Das tun wir. Einen schöneren Ausklang für einen Freiluftheatertag als dieses Wasserfeuerwerk hätte man sich kaum wünschen können.

© SZ vom 15.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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