Gastronomie:"Man schmeißt den Leuten das Essen hin"

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Mahlzeit. Im Ayinger Brauereigasthof werden Köstlichkeiten aufgetragen. Doch nicht allen in der Gastronomie schmecken die Arbeitsbedingungen - und vor allem Gewerkschafter und Angestellte klagen über die Arbeitsbelastung und niedrige Löhne. (Foto: Claus Schunk)

Die Corona-Pandemie hat den Fachkräftemangel im Gaststättengewerbe verschärft. Wirte finden kein Personal, Beschäftigte klagen über Zeitdruck und niedrige Löhne.

Von Yannik Schuster, Landkreis

Seit fast drei Jahrzehnten arbeitet Roman Moser in der Gastronomie und kennt nicht zuletzt als Betriebsratsvorsitzender seines Betriebs in der Landeshauptstadt die Schattenseiten seiner Branche. "Wir arbeiten für zwei. Das geht auch auf die Gesundheit", sagt Moser, der im Landkreis wohnt, mit Blick auf den anhaltenden Personal- und Fachkräftemangel.

Er selbst sei zwar noch fit, kenne aber einige Kollegen, die am Ende seien. "Wenn man dann mal zwei Tage frei hat, dann geht man zum Arzt oder muss sich erholen", sagt der Österreicher. Auch auf die Kunden habe das negative Auswirkungen. "Der Gast wartet länger. Es entwickelt sich immer mehr zum Schleuderservice. Man schmeißt den Leuten das Essen hin und muss sofort weiter. Das mach keinen Spaß mehr."

Viele Menschen in der Gastronomie arbeiten bis spät in die Nacht, und doch ist das Bankkonto am Ende des Monats meist leer. Die Arbeit im Gastgewerbe ist hart und wenig ertragreich. Das Fehlen eines Tarifvertrags kommt erschwerend dazu.

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Eine Analyse der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet hat, zeigt: Das mittlere Monatseinkommen eines Vollzeitangestellten im Gastgewerbe im Landkreis liegt bei 2138 Euro. Branchenübergreifend liegt der Median bei Vollzeit bei etwa 4500 Euro. Erfasst wurden dabei Köche, Kellner, Servicekräfte und Hotelangestellte. Insgesamt arbeiten demnach im Landkreis 6752 Menschen im Gastgewerbe.

Bereits jetzt fehlen der Branche in ganz Bayern etwa 50 000 Arbeitskräfte. "Wenn Hotel- und Gastro-Beschäftigte nur halb so viel verdienen wie der Schnitt, dann darf sich keiner darüber wundern, dass sie sich in Zeiten der Corona-Krise einen neuen Job suchen", sagt Tim Lünnemann, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) für die Region München. "Denn viele von ihnen mussten monatelang mit dem Kurzarbeitergeld auskommen, ein Teil der Beschäftigten ist noch immer darauf angewiesen." Das seien harte Einbußen bei einem ohnehin niedrigen Einkommen", so der Gewerkschafter.

Auch der Hotel- und Gaststättenverband Bayern (Dehoga) beobachtet den Personalmangel im Gastgewerbe mit Sorge. Dieser sei allerdings nicht auf schlechte Löhne zurückzuführen. "Es stimmt nicht, dass schlecht bezahlt wird", sagt Angela Inselkammer, Präsidentin des Dehoga Bayern und Chefin des Brauereigasthofs in Aying. Die Gründe für den akuten Personalmangel könne sie aber nicht benennen. Womöglich sei dieser dem demografischen Wandel geschuldet, man beobachte einen Fachkräftemangel schließlich in allen Branchen.

Es müsse mehr Öffentlichkeit für die Branche geschaffen und die Attraktivität der Berufe in den Vordergrund gestellt werden. Die Corona-Pandemie sei in dieser Hinsicht ein schwerer Schlag gewesen. Die Zeit der Kurzarbeit habe erheblichen Schaden verursacht, schließlich seien in den zehn Jahren Ausbildungszahlen gestiegen, sagt Inselkammer.

Doch auch vor der Pandemie lag einiges im Argen. Daten des DGB Bayern zeigen, dass das Niedriglohnrisiko im Gastgewerbe zwischen 2016 und 2018 bei 57 Prozent lag. Das Risiko in der Gesamtwirtschaft belief sich im gleichen Zeitraum auf lediglich 18 Prozent. Auch der Dehoga stellte in einem Positionspapier zur Fachkräftesicherung aus dem Jahr 2018 fest, dass 70 Prozent der Betriebe Schwierigkeiten hätten, offene Stellen, über alle Qualifikationsniveaus hinweg, zu besetzen.

Im Portemonnaie macht sich die doppelte Arbeit kaum bemerkbar, am Körper dagegen schon. Viele Kollegen Mosers klagen über Knie- oder Bandscheibenprobleme. Er kenne Kollegen, welche die Branche gewechselt haben und jetzt Lkw-Fahrer sind oder auf dem Bau arbeiten. "Denen geht es jetzt besser", sagt Moser. Er wisse nicht mehr, was er seinen Kollegen erzählen soll. Es fehle schlicht die Perspektive: "Das ist der Untergang der Gastronomie."

"Vor allem fehlen die jungen Leute."

Auch er habe schon über einen Berufswechsel nachgedacht. Als Betriebsratsvorsitzender fühle er sich aber seinen Kollegen gegenüber verpflichtet. Langfristig dafür zu sorgen, dass die Menschen zurückkommen, dass gehe nur mit einem ordentlichen Lohn, sagt Moser. Dabei ist die Nachfrage nach Personal groß. Fast jeder Betrieb stelle Leute ein, es komme schlicht keiner. "Vor allem fehlen die jungen Leute."

Viele ehemaligen Kollegen seien aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen, sich umzuorientieren. "Es ist finanziell schwierig. Wenn mal eine neue Waschmaschine anfällt, dann überlegt man dreimal", sagt Moser. Dabei gebe es durchaus Menschen, die sich eine Rückkehr in die Gastronomie vorstellen können, es sich aber schlicht nicht leisten könnten, so Moser. Auch eine Rückkehr in seine Heimat Österreich sei für den 48-Jährigen eine Option. Dort würden Beschäftigte im Gastgewerbe besser entlohnt werden und erhielten auch mehr Wertschätzung.

Toni Roiderer, Wiesnwirt und Inhaber des Gasthofs zum Wildpark in Straßlach, blickt indes optimistischer in die Zukunft: "Wenn wir Arbeitsbedingungen schaffen, die lebenswert sind, dann wird das schon." Gute Leistung könne man schließlich nur bringen, wenn das Umfeld passt. Er habe keine Probleme bei der Personalsuche. Damit dürfte Toni Roiderer aber eher die Ausnahme als die Regel darstellen.

Einen Tarifvertrag gibt es in der Branche aktuell nicht. Die letzte Vereinbarung für den Freistaat Bayern lief im April 2020 aus, seit dem ist wenig passiert. Die erste Runde der Tarifverhandlungen, die für den 4. Oktober angesetzt war, wurde unlängst vertagt. Der Dehoga wirft der NGG vor, keine konkreten Forderungen zu stellen. Sebastian Wiedemann vom NGG-Landesbezirk Bayern weist diese Vorwürfe zurück. Man habe bereits im März sowie im August vergangenen Jahres Forderungen gestellt, vielmehr komme kein konkretes Angebot der Arbeitgeber.

Er ist sich sicher: Der Dehoga spielt auf Zeit. Dieser warte nämlich auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin und die damit verbundene Veränderung beim Mindestlohn. "Wenn wir Fachkräfte halten wollen, dann können wir nicht über den Mindestlohn diskutieren. So wird man die Branche nicht retten", sagt Wiedemann. Die NGG kritisiert zudem einen Trend zu Mitgliedschaften im Branchenverband ohne Tarifbindung. "Die Beschäftigten brauchen nach dieser schwierigen Zeit endlich eine Perspektive. Die Unternehmen tun gut daran, sich jetzt zu tariflichen Standards zu bekennen", sagt Gewerkschafter Lünnemann. "Dazu gehört auch, dass eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nur dann möglich ist, wenn die Tarifverträge akzeptiert werden, die man gemeinsam ausgehandelt hat."

Angela Inselkammer sagt: "Ich halte Tarife für wichtig. Sie bilden eine gute Richtschnur. Die damit verbundenen Automatismen sind aber nicht immer gut." Notwendig sei es vor allem, nachhaltig an Unternehmenskulturen zu arbeiten. Man müsse Talente fördern und das Miteinander stärken. Zwischen dem Dehoga und der NGG spüre man kein Vertrauensverhältnis. Dennoch sagt Inselkammer: "Wenn alle interessiert sind, dass es eine Einigung gibt, dann wird es auch eine geben. Wir sind es jedenfalls." Die Tarifverhandlungen zwischen Dehoga und NGG gehen am 8. November in die nächste Runde.

© SZ vom 08.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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