Bürgerversammlung in Ottobrunn:Argumente gegen Ressentiments

Lesezeit: 4 min

Landrat, Bürgermeister und Polizeichef versuchen in Ottobrunn, Anwohner zu beruhigen, die sich gegen eine Flüchtlingssiedlung wehren. Doch die Ängste können sie nicht zerstreuen.

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Mit einem Lächeln im Gesicht und bestimmt betritt Christoph Göbel am Mittwochabend den Festsaal des Wolf-Ferrari-Hauses in Ottobrunn - aber festen Gangs und gut gelaunt ist der CSU-Landrat eh meistens unterwegs.

Gefragt, ob diese Informationsveranstaltung zum Bau einer Siedlung für Flüchtlinge in der Gemeinde ein schwerer Abend für ihn werden könne, sagt Göbel: "Der Tag war schon schwer für mich." Der Abend in Ottobrunn wird nicht leichter.

Bis zu zehn Sporthallen im Landkreis sollen neu belegt werden

Untertags hatte der Landrat bereits mehrere Kommunen darüber informieren müssen, dass erneut Flüchtlinge in Turnhallen untergebracht werden müssen. Dies sei unausweichlich, sagte Göbel in Ottobrunn, der Landkreis könne andernfalls die Unterbringung in Notquartieren nicht garantieren und müsse wieder in den Notfallplan einsteigen. Es werde, sagte Göbel, aber auch diesmal keine dauerhafte Belegung von Sporthallen geben - diese sei nur auf mehrere Woche ausgelegt. Göbel sprach von bis zu zehn Sporthallen, derzeit werde noch geprüft, welche Turnhallen in Frage kämen. Ausgewählt würden dabei Gemeinden, in denen es bisher noch keine Notunterkünfte gebe und die ihre Quote bisher nicht erfüllten, teilte Landratamtssprecherin Christine Spiegel am Donnerstag mit.

In Ottobrunn wird keine Turnhalle vorübergehend für die Unterbringung von Flüchtlingen gesperrt - dementsprechend wenig Aufsehen erregten Göbels Aussagen in diese Richtung. Vielmehr wird in der Gemeinde derzeit weit über die kurzfristige Notfallhilfe für Schutzsuchende hinaus gedacht - der Gemeinderat plant ein Projekt, das es in dieser Form und Größenordnung im Landkreis bisher noch nicht gibt. Und darüber informierten Bürgermeister Thomas Loderer (CSU), Landrat Göbel und zwei Vertreter der Firma Feel Home aus Starnberg am Mittwochabend mehr als 300 Bürger. Zur Wohlfühlveranstaltung aber geriet die außerordentliche Bürgerversammlung nicht.

Anwohner warnten in einem offenen Brief vor einer "Ghettoisierung"

Bereits vor der Veranstaltung hatten mehrere Bürger - allen voran Anwohner aus der Umgebung des Kathi-Weidner-Wegs in der sogenannten Pöttinger Siedlung - heftigen Widerstand gegen die geplante Errichtung von 13 Häusern mit einer Kapazität von bis zu 416 Menschen angekündigt. In einem offenen Brief hatten sie sich an den Gemeinderat gewandt und eine deutliche Verkleinerung der neuen Siedlung angemahnt, gar rechtliche Schritte angedroht - und immer wieder vor einer "Ghettoisierung" gewarnt.

Informationsveranstaltung in Ottobrunn
:"Wir wollen alle mitnehmen"

Anwohner wehren sich gegen eine Siedlung für Flüchtlinge. Bürgermeister Loderer setzt auf Information Aufklärung, weiß aber auch: "Es gibt zwei Sichtweisen."

Von Martin Mühlfenzl

Dieser Begriff fiel auch am Mittwochabend. Er wurde mehrfach von Bürgern in einer von vielen Emotionen getragenen Diskussion zur Sprache gebracht - in einer Auseinandersetzung, die oft von Zwischenrufen, Applaus und auch Gelächter unterbrochen wurde. Doch es gab auch diesen einen Moment, als es ganz still wurde. Als die Scham über das soeben Gesprochene alle erfasste - Befürworter und Kritiker der Siedlung für Flüchtlinge. Von der Empore schallte es - just als es wieder um ein befürchtetes Ghetto ging - in den Saal: "Das haben schon andere gemacht vor 70 Jahren." Schweigen.

Der Bürgermeister verweist auf 572 unterzubringende Flüchtlingen

Das war der Tiefpunkt einer heftigen Auseinandersetzung, die so sachlich begann. Bürgermeister Thomas Loderer erläuterte die Beweggründe des Gemeinderates und der Verwaltung, ausgerechnet am Kathi-Weidner-Weg eine Siedlung für mehr als 400 Menschen bauen zu wollen. Er sprach davon, dass es eigentlich keine Alternative gebe - zum Unmut vieler Bürger, die forderten, auch alle anderen gemeindlichen Grundstücke auf deren Tauglichkeit zu prüfen. Loderer verwies auf die Quote, nach der Ottobrunn im Jahr 2016 mindestens 572 Menschen eine festen Unterkunft wird bieten müssen, auf den zeitlichen Druck, der auf der Gemeinde laste - und auf den Platzmangel in der flächenmäßig kleinsten Kommune des Landkreises.

"Das ist das qualitativ beste Grundstück, das wir für so ein Projekt haben", sagte Loderer. Michael Ehret und Konstantin von Abercron von der Firma Feel Home, die das Grundstück anmieten, die Hauser errichten und dann an den Freistaat weiter vermieten soll, präsentierten ihre Pläne für das Areal und stellten den Ottobrunnern die hellen und architektonisch ansprechenden Häuser in einer Präsentation vor - und erhielten dafür Applaus.

Standardhaus für Flüchtlinge
:Quadratisch, wohnlich, rentabel

Der Projektentwickler Ehret & Klein aus Starnberg hat ein Standardhaus für Flüchtlinge entwickelt und ist damit in eine Marktlücke gestoßen. In vielen Gemeinden des Landkreises wird der zweigeschossige Holzquader demnächst ganze Siedlungen prägen.

Von Bernhard Lohr

Der Rest war verbaler Kampf um die Deutungshoheit. Und er wurde von den Anwohnern erbittert geführt. Armin Ganserer, Chef der Polizeiinspektion 28 in Ottobrunn, musste sich mehrmals den Vorwurf gefallen lassen, die Polizei manipuliere Kriminalitätsstatistiken - "das weiß man ja nicht erst seit Köln", argumentierte ein Bürger in Anspielung auf die Vorfälle in der Silvesternacht. Ganserer konterte, präsentierte bisher noch nicht veröffentlichte Zahlen für das Jahr 2015 und sagte etwa, in der Neubiberger Traglufthalle habe es bei 300 Bewohnern in den vergangenen vier Monaten gerade einmal 13 Straftaten gegeben.

"Alle untereinander oder mit einem Sicherheitsbeamten", sagte Ganserer. "Sie sehen die Gefährdung ihres Eigentums erst, seitdem Migranten da sind", sagte Ganserer zu den Kritikern. "Aber wenn es um Einbrüche geht, geht es um ganz andere Tätergruppen. Und wir werden alles tun, um ihre persönliche Sicherheit zu garantieren." In der Feel-Home-Siedlung sollen stets zwei private Sicherheitskräfte anwesend sein - die Streifen, sagte Ganserer, würden angewiesen, häufig und auch unangemeldet nach dem Rechten zu sehen.

Der Helferkreis kündigt an, ein Konzept zu erarbeiten

Neben der Sicherheit wurde von den Kritikern immer wieder die Integration ins Spiel gebracht - diese sei doch in dezentraler Unterbringung viel besser zu bewerkstelligen. Landrat Göbel entgegnete, dass es nur in großen Unterkünften möglich sei, ausreichend feste Stellen etwa zur sozialpädagogischen Unterstützung zu schaffen; der Helferkreis kündigte an, ein Konzept zu erarbeiten.

Die Angst vor dem Fremden vermochten diese Ankündigungen nicht zu beseitigen. "Ich bin in Neuperlach aufgewachsen und habe mich hier nach Ottobrunn hochgearbeitet, um nicht nur unter Ausländern zu leben", sagte ein Besucher. "Und jetzt soll ich unter noch mehr Fremden leben." Bürgermeister Loderer fand hingegen ganz andere Worte: "Wir siedeln hier Menschen an. Und wir werden uns größte Mühe geben, diesen Menschen unsere Wertschätzung zu zeigen."

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: