Oberhaching:Und dann war da die Stille

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Setzten den "Mythos Titanic" musikalisch und rhetorisch auf der Bühne um: Isabel Lhotzky und Dominic Raacke. (Foto: Claus Schunk)

Der Untergang der Titanic - von den Erinnerungen der Überlebenden bis zu den erloschenen Stimmen der Ertrunkenen - steht im Mittelpunkt beim Auftaktabend des Festivals für Kammermusik, Literatur und Weltmusik.

Von Carla Augustin, Oberhaching

Frauen und Kinder zuerst! Ida Straus steigt dennoch, oder gerade deshalb, wieder aus ihrem sicheren Platz im Rettungsboot. Sie will zu ihrem Mann. "Wir haben zusammen gelebt und wir werden zusammen sterben", sagt sie. Sie und ihr Mann Isidor legen sich nebeneinander auf Liegestühle an Deck. Und sterben. Hand in Hand.

"Wir sollten nicht mitfahren, das ist das Schiff, von dem sie sagen, dass es unsinkbar ist", sagte Esther Hart. "Das ist das Schiff, das unsinkbar ist!", entgegnete ihr Mann Benjamin. "Das heißt, Gott herauszufordern, das Schiff wird niemals die andere Seite erreichen!" Benjamin wird die Fahrt mit der Titanic nicht überleben, seine Frau und Tochter schon.

Dominic Raacke leiht den Passagieren auf der Titanic im Oberhachinger Bürgersaal seine Stimme. Der Schauspieler, ehemals Berliner Tatort-Kommissar, erzählt am Donnerstagabend die Geschichten der Überlebenden der Titanic. Und auch der Toten. Dabei spielt er bei der Auftaktveranstaltung des dreitägigen Festivals für Kammermusik, Literatur und Weltmusik in Oberhaching geschickt mit Tonlagen, steht an besonders dramatischen Stellen von seinem Hocker auf, deutet auf die imaginären Eisberge. Oder imitiert perfekt die Funksprüche, die mit Morsegeräuschen unterlegt werden.

Raacke, der in seinem Anzug mit Fliege selbst perfekt auf die Titanic gepasst hätte, wird von Festivalleiterin Isabel Lhotzky am Flügel und E-Piano begleitet. Mit Klängen von Maurice Ravel, Philip Glass und Antonín Dvořák untermalt sie passend den unaufhaltbaren Untergang. Mal fröhlich, mal bedrohlich, mal hektisch, aber immer sehr dramatisch.

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Als die ersten Eiswarnungen eingingen, sagte Joseph Bruce Ismay, der Direktor der Reederei White Star Line: "Wir machen einfach noch mehr Dampf, um dem Eis zu entkommen." Und so rauschte die Titanic, auf Plakaten damals als die Königin der Ozeane beworben, mit 22,5 Knoten auf ihr Unglück zu. Um 23.40 Uhr am 14. April 1912 rammte das Schiff den Eisberg. Später wird einer sagen: "Wir bauten das Schiff so, dass es schwimmen konnte, nicht, dass es gegen einen Eisberg fahren konnte."

Die zweieinhalb Stunden, die von da an noch blieben, bis das Schiff im eiskalten Wasser versank, wurden keinesfalls effizient genutzt. Hilfesignale wurden zu spät gesendet und die Besatzung nicht über die Schwere des Vorfalls informiert. Auch die Evakuierung verlief schleppend. Raacke lässt das Publikum den Kopf schütteln, als er aus dem Untersuchungsausschuss erzählt. Dort kommt die Frage auf, warum manche Rettungsboote nur halb gefüllt waren, warum die Kapazitäten nicht ausgeschöpft wurden. Auch beim reichsten Mann der Welt, John Jacob Astor, wurde keine Ausnahme gemacht. Er muss das "Männerspiel" mitspielen, und darf nicht mit ins Boot zu seiner schwangeren Frau steigen. Frauen und Kinder zuerst! Das Boot war halbleer.

Ein Schauspieler und ein Gentleman: Dominic Raacke hätte stilistisch gut an Bord des Luxusdampfers gepasst. (Foto: Claus Schunk)

Die berühmte Kapelle der Titanic spielte weiter bis zum Untergang, um die Passagiere zu beruhigen. Von ihnen überlebte keiner. "Musik ist im Katastrophenfall eine stärkere Waffe als eine Pistole", soll Wallace Hartley, der Leiter der Kapelle, gesagt haben. Mit den 1517 Menschen, die in jener Nacht starben, gingen auch 1000 Austerngabeln, zahlreiche Zimmer aus Mahagoni und elektrische Kamele aus dem Fitnessraum im Atlantik unter - das Schiff war eines der Superlative.

Unter dem Titel "Mythos Titanic - der versunkene Palast der Meere" hat die frühere Kulturamtsleiterin Eva Hofmann über ein Jahr lang zahlreiche Texte, Interviews, Bücher und Berichte von Passagieren zusammengetragen und verschiedene Blickwinkel eingefangen. Sie alle haben die Katastrophe anders erlebt und überlebt. Die Erzählstränge springen von Person zu Person, wie das Chaos, das sich parallel auf dem Schiff entfaltet.

Komponist Hans von Chelius lässt mit passenden Sounds das Ambiente erstehen. Da scheinen die Wellen an die Wände des Bürgersaals zu schlagen, und die Möwen über den Köpfen der Zuschauer umherzuziehen, die Schiffshupe dröhnt. Nach dem dramatischen Untergang hört man ein Keuchen in den Wellen, das irgendwann erlischt.

Gab es einen Moment, der schrecklicher war als alles andere? "Ja", sagte Eva Hart, die Tochter von Esther, "die Geräusche der schreienden und ertrinkenden Menschen." "Aber hörst du noch die Stille? Die Stille, die dann folgte", fragte ihre Mutter. Die Musik klingt aus und das Licht erlischt. Sie hat es von Anfang an gewusst.

An diesem Samstag, 25. November, tritt noch das Trio La Fay mit seinem Musikprogramm "Flor azul" beim Festival in Oberhaching auf, Beginn 20 Uhr.

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