Pop-up-Galerie:Darf das weg oder wird das Kunst?

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Holger Thiel arbeitet arbeitet viel mit Holz. (Foto: Claus Schunk)

Holger Thiel stellt mit 14 anderen Künstlern in einer alten Industriehalle aus. Viele Werke sind aus Abfällen gestaltet.

Von Sophie Kobel, Brunnthal

Ikea, Metro, Lidl, ein Nike-Outlet und der Hagebaumarkt. Alles auf einer großen Asphaltfläche. Im Gewerbegebiet zwischen Ottobrunn, Taufkirchen und Brunnthal seine Zeit zu verbringen, mag für viele der Inbegriff von Stress und Menschenmassen sein. Dieser Tage allerdings gibt es einen schönen Grund, es doch zu tun: die Pop-up-Ausstellung "Art: Now!".

Leicht übersieht man das orange-blau-graue Gebäude mit dem flachen Dach. Es wurde 1945 gebaut, um die Triebwerke von Raketen zu testen, später zog ein Möbelhaus dort ein, in den vergangenen Monaten stand es leer. Bis Holger Thiel im April zufällig daran vorbei radelte. Denn der Ottobrunner war auf der Suche nach einer Räumlichkeit, in der er seine Kunst produzieren und lagern könnte. Eine Werkstatt hat er zwar nicht gefunden, dafür aber die perfekte Location für eine Ausstellung.

Innerhalb von zwei Monaten holte Thiel 14 weitere Künstler mit ins Boot, gemeinsam eröffneten sie am Freitagabend ihre Pop-up-Galerie mit einer Vernissage: Von Fotografien und Lichtinstallationen, über Industriedesign, Papierkunst und Acrylmalerei bis hin zu dreidimensionalen Projekten aus Holz ist alles dabei. Mehr als 350 Besucher kamen; der Andrang ist so groß, dass die ursprünglich dreitägige Ausstellung spontan verlängert wurde: An diesem Dienstag, 26. Juni, und am Donnerstag, 28. Juni, werden die Räumlichkeiten von 17 bis 20 Uhr erneut geöffnet sein.

Initiator Thiel strahlt, mit so viel Interesse hat er nicht gerechnet. Es ist das erste Mal, dass seine Werke ausgestellt sind. Der hauptberufliche Wirtschaftsingenieur ist ein Neuling in der Kunstszene. "In meinem Job arbeite ich viel mit neuen Informationen und treffe Entscheidungen. Ein plastisches Produkt kommt aber nie dabei raus. Das hat mir gefehlt", erzählt er und geht zu einem seiner Kunstwerke. Es besteht aus gerahmten Holzstreifen, die Thiel in unterschiedlichen Farben angemalt hat. An der Wand gegenüber sieht man alte Drahtkleiderbügel, die zu geometrischen Tierformen gebogen sind.

Das rechteckige Gebäude, in dem die Ausstellung stattfindet, hat große Glasfronten an der Vorderseite. Die Sonne strahlt auf die Acrylwerke im oberen Stockwerk. Ein paar Meter weiter hängen in Wachs eingegossene Papierstreifen von der Decke. Das Wachs ist von Rissen durchzogen und mit dunklen Ölfarben bemalt. "Freiraum" ist der Gegenstand von Karin Horemans Werken. An einen Ort des Industriegebäudes aber schafft es die Sonne nie hin: in Bruno Kiesels Ausstellungsraum. Die Wände sind schwarz gestrichen, die einzigen Fenster sind schmale Luken.

Bruno Kiesel hat sich auf Lichtinstallationen spezialisiert. (Foto: Claus Schunk)

Der Oberbayer bezeichnet sich selbst als "Luminist" oder Lichtarchitekt, möchte er jemandem seine Arbeit erklären. Sollen Küchenzeile, Badezimmer oder auch öffentliche Plätze außergewöhnlich beleuchtet werden, überlegt Kiesel sich ein Konzept. Sein neuestes Werk hängt alleine an einer der schwarzen Wände. Es stellt die Züge eines Gesichtes dar. Gefertigt hat Kiesel es aus Stahl, Aluminium und Holz, das von hinten angestrahlt wird. Der gelernte Elektriker und Beleuchter hält eine kleine Fernbedienung in der Hand: "Ich kann mir damit überlegen, ob ich heute lieber Pastelltöne, kräftigere Farbmischungen oder nur eine ganz schlichte weiße Beleuchtung haben möchte", erklärt er und lässt sein Werk in türkisen, violetten und rötlichen Tönen erstrahlen. Wer einen sogenannten "Jawlensky 2.0 Strich 1" kaufen möchte, zahlt dafür 1600 Euro.

Mit Summen solcher Höhe hat Nicole Gelhard beim Verkauf ihrer Kunst wenig am Hut. Ihre Rohmaterialien kosten sie auch nicht viel, denn die Ottobrunnerin recycelt für ihr Leben gern. "Trash to treasure" hat sie in bunten Farben und diversen Materialien auf eine Wand ihres Ausstellungsraumes geklebt. Das "T" beispielsweise ist aus den Buchstaben einer alten, vergilbten Tastatur gebastelt. Von der Decke hängt eine große, cremefarbene Kugel, die auf den ersten Blick wie mit Blumen verziert aussieht. Dabei sind es die aufwendig gefalteten Seiten alter Bücher, aus denen das Kunstwerk entstanden ist. Es schwebt einen Meter über Kerzenständern aus den abgeschnittenen Hälsen leerer Weinflaschen. "Bevor meine Familie Dinge wegwerfen möchte, fragen sie mich immer 'Darf das in den Müll oder brauchst du's?'", erzählt Gelhard und lacht.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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