Bildende Kunst:Plackerei und süße Droge

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Kunst macht Arbeit, aber auch süchtig: Auf ihrer Jahresausstellung im Rathaus der Gemeinde zeigen die Mitglieder des Kunstvereins Ottobrunn einen Querschnitt der kreativen Möglichkeiten

Von Julian Carlos Betz, Ottobrunn

Ein "Gegenzeichen", so nennt Ewald Mertes, Erster Vorsitzender des Kunstvereins Ottobrunn, die neu eröffnete Ausstellung im Rathaus. Denn entgegen einem von ihm zitierten Artikels aus einer Lokalzeitung könne er keinerlei "Kunstmüdigkeit" in Ottobrunn feststellen. Ebenso wenig auch Bürgermeister Thomas Loderer, der eine kurze Rede zur Eröffnung der Jahresausstellung des Kunstvereins hielt und auf die Wichtigkeit hinwies, nicht nur Kunst zu betrachten, "sondern auch selbst zu schaffen". Das taten auch drei Flötistinnen der Rosmarie-Theobald-Musikschule, die mit ihrer kompakten, musikalischen Darbietung die Vernissage stimmungsvoll bereicherten.

Christine Renner mit "1500 Grad". (Foto: Angelika Bardehle)

Ob nun aber im Sinne Bert Brechts tatsächlich "alle Künste beitragen zur größten aller Künste, der Lebenskunst", sei dahin gestellt, gleichwohl spiegelt sich in der Vielfalt der Werke, die jetzt in mehreren Etagen des Ottobrunner Rathauses zu sehen ist, sicher auch ein Teil der Vielfalt und Möglichkeiten des Lebens. Ölmalereien auf Leinwand, Fotografien hinter Glas, abstrakte Impressionen mit Titeln wie "Moondragon" oder "Waldsee III". Viele denkbare Impulse sind hier verwirklicht, sei es durch das einfache Betrachten eines Baumes, der durch die Jahreszeiten geht oder den düster-klaren Eindruck einer antarktischen Eisscholle, die scheinbar im Nichts treibt. Vroni Schattenmann jedenfalls kommt kaum zu einem Ende, wenn sie von den verschiedenen Stilrichtungen spricht, die ausgestellt werden. Sie ist künstlerische Leiterin des Kunstvereins und freut sich persönlich, dass auch wieder einmal Landschaftsmotive ihren Weg in das Oeuvre des einen oder anderen geschafft haben. Sie sieht "viele verschiedene Stile versammelt" und betont die "innere Anteilnahme", mit der diese Bilder entstanden seien.

Die Jahresausstellung des Kunstvereins Ottobrunn hat keinen thematischen roten Faden, sondern bietet den zahlreichen Mitgliedern einfach die Gelegenheit, sich zu präsentieren: Hier Gerhard Knell mit "Waldsee III". (Foto: Angelika Bardehle)

Naturalismus, Romantik, Neue Sachlichkeit, Action Painting: Ein Querschnitt der kreativen Möglichkeiten bietet sich dem Betrachter und hinter allem scheint sich die gewissenhafte Umsetzung eines inneren Antriebs zu zeigen. So eben jener "Waldsee III" von Gerhard Knell, dessen streng geteilte Sphären die Natürlichkeit des Motivs brechen, aber doch im horizontalen Gleiten von wellenförmigen Linien diese wieder einzuführen suchen, mit leisen Tönen komponiert und zwischen Dichte und lockerer Auflösung spielend. Oder Helmut Buchwitz' sich thematisch stark abhebendes "Future 2130", ein Fotodruck unter Acrylglas, auf dem sich wie bei einem Facettenauge kleine Ausschnitte eines Gebäudes in einem Raster spiegeln. Digitale Reproduzierbarkeit scheint hier auf und verknüpft sich mit dem modernen Motiv einer Großstadt, die aber nur subtil zum Tragen kommt und fein verästelt wiederum eine Illusion der Ordnung imaginiert.

Mit ihrer Bilder-Serie "Eintauchen" verführt Alessandra Motta-Rees auch den Blick des Betrachters zum Eintauchen. (Foto: Angelika Bardehle)

"Kunst macht uns sensibler", begründet Schattenmann in ihrer Rede die Notwendigkeit, Kunst zu sehen und zu schaffen. In dem Drang nach Wahrheit und Werten liege es am Künstler, sich dabei dem Verlangen nach Produktion auszusetzen und dabei die Kunst als das zu nehmen, was sie ist, also auch als ziemliche "Plackerei". Doch Kunst sei "eine süße Droge" und wer ihr einmal verfalle, kommt nicht so leicht wieder von ihr fort. Der sensible Blick auf scheinbar alltägliche Dinge zeigt sich so auch in figürlichen Motiven, wie dem von Bruno Kucan, der mit "Junge Frau" ein großformatiges Ölbild auf Leinwand präsentiert. Zu sehen ist das eindringliche Porträt einer schwarzhaarigen Frau mit traditionellem Kopfschmuck, vor einem intensiven, dunkelroten Hintergrund. Sie trägt eine knallgrüne Bluse und ihre Wangen sind mit leuchtend roten Flecken bemalt. Schattenmann verweist in ihrer Rede auf die technisch eindrucksvollen, figürlichen Darstellungen mancher Werke, die man so "nicht leicht woanders findet". Dazu gehören auch perspektivisch raffinierte Werke wie "Eintauchen" von Alessandra Motta-Rees oder Christine Renners versiert komponiertes Bild "1500 Grad".

Die Frage nun, was sich hinter dem Blick eines anderen Menschen, wie dem der jungen Frau, verbirgt, welche Unsicherheiten und Unkenntnis damit einhergeht, einfach weil man nicht der jeweils andere ist, offenbart sich oft erst durch die seltsam fesselnde Darstellung eines Künstlers. Jener Drang nach Wahrheit ist also auch ein Drang nach Wissen, das sich meist jedoch nicht dauerhaft niederlassen kann und stattdessen angewiesen bleibt auf die wiederholte Aktivierung durch den kreativen Impuls. Süße Droge Kunst.

Die Jahresausstellung des Kunstvereins im Ottobrunner Rathaus dauert bis zum 25. November. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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