Ausstellung in Brunnthal:Von Musen, Tauben und Kreisen

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Dionysische Liebesszene kontra aufgelöste Formensprache, der Stil der beiden Maler ist höchst unterschiedlich, aber beide sind auf ihre Weise genial. Eigentlich wollte Holger Weinstock Picasso mit Marc Chagall zusammenspannen, aber der Markt sei leergefegt, sagt der Galerist. (Foto: Sebastian Gabriel)

Zwei, die sich kannten und schätzten, müssen sich dem direkten Vergleich stellen: Die Galerie Kersten zeigt Grafiken der spanischen Maler Pablo Picasso und Joan Miró.

Von Franziska Gerlach, Brunnthal

Paris, 1958. Nicht Pablo Picasso selbst, sondern ein Mitarbeiter der Druckerei hat seinerzeit vermutlich Ort und Jahreszahl in die Platte aus Kupfer geritzt, nur einige Millimeter vom Gesicht Dora Maars entfernt. Die Augen und die Nase seiner wohl bekanntesten Geliebten und Muse hat der spanische Künstler kubistisch verschoben, die Haare sind eine dichte, dunkle Masse. Gefertigt nach einem Gemälde Picassos, verschwand die Vorlage für die Druckgrafik später in der Versenkung, in irgendeiner Kiste auf irgendeinem Speicher, wo sie dann einem Erben oder Kunsthändler in die Hände fiel.

Über welche Wege die Kupferplatte in die Ausstellung "Pablo Picasso und Joan Miró. Grafiken" der Galerie Kersten gefunden hat, die am Freitagabend eröffnet wurde, nun, da weist die Geschichte partiell doch Lücken auf. Macht aber nichts. Viel wichtiger ist ohnehin, dass man das Arbeitsgerät des Jahrhundertkünstlers überhaupt einmal aus der Nähe betrachten kann. Gut 70 Drucke von Pablo Picasso und Joan Miró vereint die Ausstellung. Etliche sind handsigniert, andere wiederum gar nicht, denn vor allem Picasso sei da bisweilen doch etwas nachlässig gewesen, erläutert Holger Weinstock, Inhaber der Galerie Kersten.

In jedem Fall aber treffen hier zwei Große der klassischen Moderne aufeinander, und es greift wohl nicht zu hoch, wer behauptet, dass man so etwas im beschaulichen Brunnthal doch nicht alle Tage sieht. Manche der Bilder beeindrucken auch, weil sie tatsächlich groß sind. Ein Picasso misst 70 mal 106 Zentimeter, ein großer Miró 63 mal 90 Zentimeter. ,,Da muss ich ehrlich sagen: So große hatte ich noch nie!", sagt Holger Weinstock, Inhaber der Galerie Kersten.

1925 waren Bilder von Picasso und Miró in einer Aussstellung zu sehen

Dora Maar darf der Ausstellung nicht fehlen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Weder von Miró noch von Picasso. Beide Ende des 19. Jahrhunderts geboren, der eine im katalanischen Barcelona, der andere in Málaga, waren die Künstler nicht nur Zeitgenossen. Sie setzten auch beide ganz bewusst die Vervielfältigung ihrer Werke durch Drucktechniken wie Radierungen oder Lithografien ein, um ihre Kunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 1925 waren Picasso und Miró zusammen in der ersten Ausstellung surrealistischer Maler in Paris zu sehen, auch wenn Picasso surrealistische Einflüsse später von sich weisen sollte. Im Übrigen, sagt Weinstock, hätten die Künstler einander nicht nur gekannt, sondern auch geschätzt. Freunde? So weit würde der Galerist dann doch nicht gehen, zumal es ja gar nicht so einfach gewesen sein soll, sich mit Picasso anzufreunden.

Zumindest miteinander vergleichen werden sich Miró und Picasso posthum in Brunnthal aber schon lassen müssen, denn Weinstock hat die Bilder jeweils in Paaren angeordnet. Gerade steht er vor einem solchen Duo, links ein Picasso, die feinen Linien einer dionysischen Szene aus nackten Leibern. Rechts davon hängt ein Miró, der hier ausnahmsweise einmal nicht mit Farben zu Gange war, sondern ein wildes, schwarzes Abstraktum geschaffen hat, das auf den ersten Blick jedenfalls keinerlei Rückschlüsse zulässt auf das, was der Künstler mit dieser Arbeit sagen wollte. "Miró war in seiner Formensprache viel fortschrittlicher, trotzdem ist Picasso natürlich genial!", sagt Weinstock.

Holger Weinstock präsentiert diesmal die ganz Großen, auch im Wortsinn, in seiner Galerie. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Ausstellung bietet denn einen ansehnlichen Querschnitt durch das Werk beider Maler: Da wären zum einem Mirós abstrakte Kompositionen in Schwarz, Grün, Rot, Gelb und Blau. Kreise, Rechtecke, und manchmal einfach nur etwas, was das Auge des Laien als Klecks bezeichnen würde. Doch wer einen Schritt zurücktritt von den Drucken, dann wieder einen darauf zu, der wird in manchen seiner mit infantilem Pinselstrich geschaffenen Bilder womöglich jene zauberhafte Interpretationen von Sonne, Mond und Sterne erkennen, die der Katalane zeit seines Lebens gemalt hat.

Ursprünglich wollte Weinstock Werke von Chagall zeigen

Demgegenüber blieb Picasso dem Gegenständlichen doch sehr verbunden, das zeigt sich auch in Brunnthal: Seine Friedenstaube von 1949 hat Weinstock etwa im Programm; dazu einige Variationen des Stierkampfs, mit dem Picasso sich beinahe so gerne befasst hat wie mit dem Motiv des Künstlers und seiner Muse. Und dann sind da noch die sogenannten "Portraits Imaginaires", diese märchenhaft-schaurigen Gesichter, bei denen man nie so genau weiß, ob Picasso ein Tier darstellen wollte oder einen Menschen oder eine krude Mischung aus beidem. 1969 schuf Picasso diese Serie in knalligen Farben auf Karton. Eines dieser Wesen trägt eine Halskrause, eine Reminiszenz an Shakespeare vielleicht, oder an Rembrandt, vermutet Weinstock. So genau weiß man das ja nie. Zumal es letztlich dem Betrachter überlassen bleibt, was er in einem Bild sieht.

Bleibt die Frage, wie Weinstock überhaupt an die zum Teil doch seltenen Drucke von Picasso gekommen ist? Ein ihm bekannter Händler habe sie ihm nach einer Ausstellung in einem kleinen Ortsmuseum in der Nähe von Heidelberg überlassen. Tolle Sache. Ihm sei aber gleich klar gewesen, sagt der Galerist, dass er neben Picasso noch einen zweiten Künstler zeigen wollte. Ursprünglich hatte Weinstock da gar nicht Miró im Kopf, sondern den verträumten Marc Chagall. "Doch da ist der Markt gerade leer gefegt."

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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