Astronomie:Dem Himmel so nah

Lesezeit: 3 min

Der Hobbyfotograf macht vom Observatorium aus Fotos. (Foto: Obermeier)

Der Unterschleißheimer Christian Obermeier arbeitet auf dem Wendelstein. Hier hat der Astrophysiker seinen eigenen Weihnachtsstern entdeckt.

Von Sophie Kobel

Von Weitem sind nur die Umrisse eines schweren dunklen Mantels zu sehen. Zu stark sind die Schneeverwehungen an der Bergstation des Wendelstein, um mehr von Christian Obermeier zu erkennen. Minus zwölf Grad hat es an diesem Dezembermorgen vor der Sternwarte auf dem Wendelstein, wo der Astrophysiker aus Unterschleißheim arbeitet.

Ihn dort um diese Jahreszeit zu besuchen, ist ein ganz spezielles Weihnachtserlebnis. Denn der 30-Jährige hat, wie er sagt, hier oben vor einigen Jahren seinen eigenen Weihnachtsstern entdeckt - einen Planeten, der nur am 25. Dezember zu sehen ist.

An sich hat der Naturwissenschaftler mit der Bibel nicht viel am Hut. Er beschäftigt sich lieber mit empirisch nachvollziehbarer Literatur, und doch kommt er seit der Entdeckung des Sterns nicht mehr an der Geschichte vorbei, die sich im Evangelium nach Matthäus folgendermaßen liest: "Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen."

Auf 1842 Meter liegt die Sternwarte

Auf dem Wendelstein betreibt die Ludwig-Maximilians-Universität ein Observatorium. (Foto: Obermeier)

Und ja, auch er wurde von großer Freude erfüllt, als er seinen Planeten entdeckte. "Ich war im Institut und habe die Daten von oben ausgewertet, als mir das erste Mal eine Unregelmäßigkeit in den Aufzeichnungen aufgefallen ist", erzählt Obermeier und rückt seine schwarze Brille zurecht. Mit "oben" meint er einen seiner drei Arbeitsplätze. Außer am Max-Planck-Institut in Garching und am Institut für Astronomie und Astrophysik in Bogenhausen verbringt der 30-Jährige eine Woche im Monat auf dem Wendelstein. Eine gute Autostunde von München entfernt liegt auf 1842 Metern die Sternwarte der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Bei der Begegnung oben am Berg ist Obermeier bestens gelaunt. Er streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Ich bin mit noch feuchten Haaren aus dem Haus, das war nicht so schlau von mir. Die sind hier oben nach ein paar Sekunden eingefroren", sagt er. Er geht den gewohnten Weg durch das Restaurant des Wendelsteinhauses und öffnet eine graue Tür im hinteren Teil der Wirtsstube.

"Dann weiß ich, wieso ich Wissenschaftler bin": Christian Obermeier beobachtet auf dem Wendelstein das Universum. (Foto: Kobel)

Vor mehr als 60 Jahren ließ die LMU dort einen Tunnel und an dessen Ende einen Aufzugschacht in den Berg schlagen. Bis heute ist das der einzige Zugang zum Observatorium. Dort, 130 Meter über der Bergstation, thronen wie in Puderzucker gehüllt drei Teleskope auf dem Felsenkamm.

"Das da hinten", sagt Obermeier und deutet auf die größte der drei verschneiten Kuppeln, "ist unser Fraunhofer-Teleskop. Mit dem habe ich K2-95b entdeckt". So heißt sein Weihnachtsstern. Selbst benennen darf ein Wissenschaftler seine entdeckten Himmelskörper nicht, die Namen setzen sich aus dem verwendeten Teleskop und der Planetenserie zusammen. "Ich sage zwar für mich, dass es mein Weihnachtsstern ist, aber eigentlich stimmt das gar nicht.

Der "Weihnachtsstern" ist eigentlich ein Planet

Es ist nämlich ein Planet, der sich jedes Jahr am 25. Dezember vor seinen Mutterstern schiebt und sich damit für uns Physiker vor dem Teleskop bemerkbar macht", erklärt der Unterschleißheimer und zeichnet mit Kugelschreiber eine Skizze des Sonnensystems auf.

Hier, in der Stube des Observatoriums mit der Eckbank unter den niedrigen Fenstern und dem Ikea-Schaukelstuhl neben der Heizung, sitzt er meistens um vier Uhr nachmittags. Da kocht er sich was, bevor die nächste Schicht beginnt. Heute gibt es Spinatrisotto mit Feldsalat, Obermeier greift nach der Parmesanreibe und erzählt: "Sich sein Essen für fünf Tage mitzunehmen, daran gewöhnt man sich. Viel schwieriger allerdings ist es für manche, ganz alleine hier oben zu sein, das ist schon ein besonderes Gefühl." Auch wenn es in der Sternwarte Stockbetten für bis zu 25 Personen gibt, ist der Wissenschaftler oft der einzige Bewohner.

Obermeier zieht die rot-weißen Vorhänge beiseite und schaut auf die benachbarten Gipfel. Seine Kamera liegt auf dem Esstisch. Er hat sie stets griffbereit, zu schön ist die Aussicht, die sich ihm tagsüber und vor allem nachts bietet. Durch seine Infrarotfotografie wurde das Unterschleißheimer Künstler-Quartett "Foku'sh" auf ihn aufmerksam, und seit einer gemeinsamen Ausstellung im Sommer ist der Astrophysiker festes Mitglied der Gruppe.

"Wenn alles gut läuft, ist es hier oben genial."

Sich einen Ausgleich zur Wissenschaft zu schaffen, war Obermeier schon immer wichtig, denn die Arbeit auf dem Wendelstein hat es in sich. Von Sonnenuntergang bis -aufgang geht eine Schicht: Kalibrationsmessungen stehen dann an, der Stickstofftank der Kamera muss nachgefüllt werden, die acht Bildschirme im Hauptraum sind im Blick zu halten.

Und ab minus 20 Grad kann es sein, dass Obermeier selbst Pumpen muss, wenn die Hydraulik nicht mehr will. Er sagt: "Wenn alles gut läuft, ist es hier oben genial. Wenn ich aber die Antwort auf ein physikalisches Problem nicht weiß, kann mir meistens niemand helfen. Das kann frustrierend sein."

Dann gibt es aber diese besonderen Momente. Den etwa, wenn er sich an einem Junimorgen um fünf Uhr früh auf die Kapuze seines Pullis in das taufrische Gras legt und zu Bruckners 7. Sinfonie die verblassenden Sterne beobachtet. Oder wenn er beim weihnachtlichen Nachtspaziergang seiner Familie den Mutterstern seines Planeten zeigen kann. Obermeier: "Dann weiß ich, wieso ich Wissenschaftler bin."

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: