Landgericht:Wie ein englischer Patient um eine Entschädigung kämpft

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Die Alpha-Klinik am Effnerplatz - ein Bild aus dem Jahr 2008. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Ein Brite wurde vor zehn Jahren in der orthopädischen Alpha-Klinik am Effnerplatz am Rücken operiert.
  • Für die Eingriffe gab es nach den Aussagen von Gutachtern keine medizinische Indikation - zudem wurden sie nach einem extrem hohen Satz abgerechnet.
  • Die Klinik hat vor vielen Jahren Insolvenz angemeldet - trotzdem versucht Joel C., eine Entschädigung dafür zu bekommen, dass er bis heute unter starken Schmerzen leidet und sich kaum bewegen kann.

Von Stephan Handel

Bald zehn Jahre ist es jetzt her, dass die Alpha-Klinik am Effnerplatz Insolvenz anmeldete. Noch lange nicht beendet ist allerdings die medizinisch-juristische Aufarbeitung dessen, was in der orthopädischen Spezialklinik angerichtet wurde. Das wurde am Montag in einem Prozess am Landgericht deutlich.

Joel C., englischer Staatsbürger und 37 Jahre alt, als er 2007 in die Alpha-Klinik kam, litt unter fürchterlichen Rückenschmerzen. Horst Dekkers, einer der Chefärzte der Klinik, traf als Diagnose: Spinalstenose, das ist eine Verengung des Rückenmark-Kanals in der Wirbelsäule. Der damit einhergehende Druck auf die Nerven verursacht Schmerzen. Dekkers hatte die passende Therapie auch gleich parat: eine Laminektomie. Dabei wird der Wirbelbogen entfernt, damit das Rückenmark wieder Platz hat. So geschah es bei Joel C., zweimal operierte Dekkers ihn und kassierte pro Operation 30 000 Euro frei vereinbartes Honorar - die gesetzliche Krankenversicherung erstattet für den gleichen Eingriff 5000 Euro.

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Heute, ziemlich genau zehn Jahre später, sitzt der Rücken-Spezialist Klaus Schnake als Gutachter im Gerichtssaal und sagt: "Es gab für die beiden Operationen keine medizinische Indikation. Sie waren grob fehlerhaft." Mit fatalen Folgen für den Patienten: Joel C. muss bis heute mit den Schmerzen leben, kann höchstens eine Minute lang gehen und ist teilweise auf den Rollstuhl angewiesen.

Seinen Beruf bei der UN-Flüchtlingskommission musste er aufgeben, auch seine Frau hat ihren Job gekündigt, um ihn zu pflegen - allerdings belastete die Situation die Beziehung so sehr, dass das Paar mittlerweile getrennt ist. "Eine Tragödie, die der Arzt aus Geldgier angerichtet hat", sagt Manfred Werthern, C.s Münchner Anwalt.

Der Engländer ist nicht der einzige Geschädigte - aber der erste, bei dem Werthern eine neue Strategie verfolgt, um für seinen Mandanten zumindest finanziell eine Entschädigung zu erreichen. Dekkers hat Insolvenz angemeldet. Theoretisch hätte C. Anspruch auf Leistungen aus Dekkers Berufshaftpflicht; darauf allerdings hält die Insolvenzverwalterin ihre Hand. Also verklagt Werthern nun diese Insolvenzverwalterin: Sie soll den Anspruch gegen die Versicherung nicht in die allgemeine Insolvenzmasse aufnehmen - was bedeuten würde, dass C. nur einen Bruchteil davon erhalten würde -, sondern ihn an den Patienten abtreten.

Eine Diskussion auf hohem juristischen Niveau

Der Rest der Verhandlung war eine Diskussion auf hohem juristischen Niveau - bis sogar Peter Lemmers, der Vorsitzende Richter, zu einer speziellen Frage meinte: "Haben Sie da Ahnung?", was Manfred Werthern freudig bejahte. Kompliziert wird das Ganze, weil es 2008 eine Gesetzesänderung gab und der Anwalt nun nach einen Weg sucht, diese für seinen Mandanten anwendbar zu machen.

Schließlich hörte das Gericht doch lieber noch den Sachverständigen an - der in seiner Beurteilung fest blieb und vernichtend für den Viel-Operateur Dekkers: Die beiden Eingriffe bei C. seien "schlicht unverständlich". Und als der Anwalt der Insolvenzverwalterin versuchte, dem Patienten eine psychosomatische Erkrankung ohne organische Ursache unterzuschieben, urteilte der Sachverständige trocken: "Dann hätte man ihn erst recht nicht operieren dürfen."

Das Gericht hatte bereits einen Vergleichvorschlag formuliert und forderte nun Kläger wie Beklagte auf, darüber doch noch einmal nachzudenken. Zeit dazu haben sie: Ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung ist erst für Ende Oktober angesetzt. Der Arzt, der das ganze Schlamassel angerichtet hat, wird auch bis dahin nicht greifbar sein: Er praktiziert mittlerweile in Armenien und, so Werthern, "operiert Oligarchen".

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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