Kurzkritik:Gezähmtes Chaos

Pop-Avantgardistin Julia Holter in den Kammerspielen

Von Martin Pfnür, München

Würde man einen Preis für die formschönste Bühnenanordnung ausloben, dürften sich Julia Holter und ihr Begleitquintett reelle Chancen ausrechnen. Wie ein mit dem Lineal gezogenes Dreieck stehen sie da auf der Bühne des Schauspielhauses. Holter am Keyboard vorne im Zentrum, flankiert von zwei Musikerinnen an der Violine, respektive an Trompete und Flügelhorn, dahinter ein Kontrabassist und ein Universalbegabter an Synthie und Dudelsack, gefolgt vom Schlagzeuger als Spitze. Das ergibt eine Symmetrie, die zwar nicht so recht mit der bisweilen kühn chaotischen Setlist der US-Amerikanerin zusammengehen will, die jedoch durchaus repräsentativ steht für den streng durchkomponierten Charakter ihrer Stücke.

So ist denn auch das kakofonische Stimmengewirr und das Chaos innerhalb des menschlichen Geistes, das Holter auf ihrem neuen Album "Aviary" umkreist, immer auch ein gezähmtes, auf Notenblätter gebanntes. Eines, das sie etwa im tollen "Turn the Light On" mittels wild durcheinanderklingendem Instrumentarium und björkscher Phrasierungskraft widerspiegelt, dabei jedoch stets einen gewissen harmonischen Rahmen wahrt. Mit großer Lust zur Transformation lässt sie auf der Bühne Entfesseltes und Getragenes, Kunstlied und Romantik, Sperrigkeit und Pop-Appeal aufeinanderprallen.

Wo sie in Songs wie der etwas arg verkünstelten Kammermusik "Chaitius" mit spitzen Schreien ihre fordernd-expressive Seite aufzeigt, lässt sie gleich darauf mit den Spinett-Klängen des sanft federnden "Feel You" einen Pop-Song von vollendeter Süße hören, um dann wieder mit dem edel aus der Abstraktion herausgeschälten "Underneath the Moon" einen Groove zu entspinnen, der auf schönste Weise demonstriert, was Avantgarde eben auch sein kann: höchst elegante, kraftvoll zum Crescendo heraufgeschraubte Überwältigungsmusik.

© SZ vom 05.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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