Kundgebung von Neonazis:Gegen die Feinde der Demokratie

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Hunderte Münchner blockieren friedlich einen Marsch von Neonazis durch Fürstenried. Ein Pfeifkonzert verhindert die Kundgebung.

M. Maier-Albang und S. Wimmer

Da ist etwa Katharina Fehlner, die sich am Samstag auf den Weg nach Fürstenried gemacht hat, zum dem Fest gegen die Nazis. Auf dem Platz an der Tischlerstraße, sonst eine Steinwüste vor der Asylbewerberunterkunft, ist heute eine Bühne aufgebaut.

Demonstraten haben am Samstag die Straße blockiert, auf der ein Aufmarsch von Neonazis geplant war. (Foto: Foto: dpa)

Der Geruch von Grillhähnchen weht über den Platz, Mädchen aus der Unterkunft tanzen zu irakischer Musik, später spielen die Blaskapellen aus Neuried und Fürstenried, die sich zu diesem Anlass zum ersten Mal zusammengefunden haben.

"Das bin ich meinem Vater schuldig"

Von Neuried, wo Katharina Fehlner wohnt, ist es zwar nicht allzu weit bis an die Tischlerstraße, doch die Seniorin müht sich mit ihrem Rollwagen über den Schotter. "Das bin ich meinem Vater schuldig", sagt sie.

Nach ihrem Vater Georg Gradel ist in Pasing ein Weg benannt, weil er sich nach dem Krieg um den sozialen Wohnungsbau verdient gemacht hatte. Zuvor hatten die Nazis ihn im KZ Dachau interniert - "er war bei der SPD und gegen den Hitler", sagt Fehlner.

Als Achtjährige ist sie nach Dachau geradelt, um dem Vater Essen zu bringen, und sie kann sich noch heute an die Angst erinnern, die sie hatte, als sie heimlich einen Hühnenschenkel ins Paket schmuggelte.

"Diese Saubuam"

Eine Bekannte, Irmgard Ebert, begleitet die Seniorin. Auch ihr Vater war im Konzentrationslager, ebenso wie sein Bruder, der die Strapazen nicht überlebte. "Und jetzt kommen diese Saubuam daher - da krieg ich eine Gänsehaut."

Die "Saubuam", wie Ebert sie nennt, sind Neonazis um Philipp Hasselbach, der am 8. Mai, dem Tag des Kriegsendes vor 65 Jahren, für die "Freien Nationalisten München" einen Demonstrationszug angekündigt hatte, diesmal am Rande der Stadt.

Der Zug sollte vom U-Bahnhof Fürstenried-West nach Großhadern führen, unterbrochen durch eine Kundgebung an der Kriegsgräberstätte am Rande des Waldfriedhofs. Auf der Route liegt die Asylbewerberunterkunft an der Tischlerstraße.

Rund 2000 Gegendemonstranten

Dass die Nazis hier vorbeimarschieren, war für die Bezirksausschüsse des Münchner Südens eine unerträgliche Vorstellung. So hatten sie mit der Initiative "Miteinander leben in Fürstenried" ein Fest mit dem Motto "München ist bunt" organisiert, um sich nicht nur symbolisch vor die Flüchtlinge zu stellen.

120 Menschen leben in der Unterkunft, viele Somalis erst seit einigen Wochen. "Die sind vom Krieg in ihrer Heimat traumatisiert", sagt Hans Lindenberger, der Chef der Caritas, die die Unterkunft betreut, in der an diesem Tag mit Erlaubnis der Regierung von Oberbayern ebenfalls gefeiert werden darf.

Einer der Somalis, Hassan Abdirahman, hat den Bewohnern erklärt, was Neonazis sind: "Feinde der Demokratie." Das hätten seine Landsleute verstanden. Bis zum Abend sind es laut Polizei rund 2000 Menschen, die sich bei der Unterkunft und entlang des Wegs einfinden. Darunter Vertreter aller demokratischer Parteien im Stadtrat, dazu Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Als sich die etwa 80 Neonazis gegen 18.30 Uhr in Bewegung setzen, sitzen die ersten Demonstranten auf Höhe der Unterkunft schon auf der Straße. Auf der Bühne waren zuvor gleich drei Münchner SPD-Oberbürgermeister gestanden: ein aktiver und die beiden Vorgänger von Christian Ude, Hans-Jochen Vogel und Georg Kronawitter.

Von einem "heiteren Fest" spricht Ude, das "zum Tag der Befreiung" passe und eine Absage sei an alle, "die aus der Geschichte nichts gelernt haben und die Opfer des Krieges mit den Tätern auf eine Stufe stellen wollen". Der 8. Mai, sagt Ude, sei kein ambivalentes Datum, sondern der Tag, an dem "das verbrecherische Regime beendet wurde und damit auch der Massenmord ein Ende hatte".

400 Bürger gegen 80 Neonazis

Dieses für die Demokratie so wichtige Datum solle man künftig "selbstbewusst feiern und nicht nur auf rechtsextreme Provokation reagieren." Hans-Jochen Vogel erinnert an die Opfer des Regimes: sechs Millionen Juden, und an die jungen Männer, die "der Tyrann" noch in den letzten Kriegstagen in den Tod schickte.

Bei der Einweihung der Kriegsgräberstätte an der Tischlerstraße war er selbst dabei. Die Erbauer, sagt Vogel, "wären empört, wenn sie mitbekämen, dass ausgerechnet die Neonazis dorthin gehen wollen".

So weit aber kommt es nicht. Immer mehr Menschen stellen sich auf der Straße den Rechtsextremen in den Weg. Am Ende stehen an die 400 Bürger auf der einen und etwa 80 Neonazis auf der anderen Seite.

Die Einsatzleitung lässt Polizeiautos zwischen Demonstranten und Neonazis fahren, um ein Aufeinandertreffen zu verhindern, denn laut Polizei haben sich auch etliche schwarzgekleidete Autonome grüppchenweise unter die Bürger gemischt. Die Polizei bietet dem Veranstalter des Zuges, Philipp Hasselbach, an, hier an Ort und Stelle eine Kundgebung abzuhalten.

21 Festnahmen

Die Worte des Neonazis gehen im Pfeifkonzert der Demonstranten unter. Die Straße für den Zug der Extremisten zu räumen sei "aus Gründen der Verhältnismäßigkeit" nicht in Frage gekommen, sagt Polizeisprecher Wolfgang Wenger. Schließlich machen die Rechtsextremen kehrt und marschieren zum U-Bahnhof Fürstenried West.

Dort fällt die geplante Abschlusskundgebung aus. Stattdessen verschwinden die Extremisten schlagartig in der U-Bahn. Und Hasselbach teilt dem Einsatzleiter mit, dass die Freien Nationalisten an diesem Tag eine weitere Versammlung und andere Aktionen planen.

Das reicht der Polizei: Da sie die öffentliche Sicherheit gefährdet sieht, werden die Neonazis "zur Gefahrenabwehr" vorläufig in Gewahrsam genommen. Sprich: Ein leerer U-Bahnzug wird bestellt, eskortiert von Spezialeinheiten steigen die Extremisten ein, am Marienplatz wieder aus. Dann wird das Häufchen Demonstranten durch die volle Fußgängerzone zum Präsidium bugsiert.

Dort werden sie nach Feststellung der Personalien peu à peu entlassen. Am Ende des Tages verzeichnet die Polizei 21 Festnahmen wegen Delikten wie Zeigen des Hitlergrußes, Vermummung oder Beleidigung.

© SZ vom 10.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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