Kulturzentrum:Kampf der Kreativen am Viehhof

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Die Kulturstadt "Bahnwärter Thiel" hat am Viehhofgelände vorübergehend einen neuen Standort gefunden - andere Nutzer des Areals sind davon nicht nur begeistert. (Foto: Stephan Rumpf)

Die kreative Subkultur auf dem Viehhof-Gelände muss zusammenrücken, weil dort das neue Volkstheater und Wohnungen gebaut werden. Und das bringt Ärger.

Von Laura Kaufmann

Dass im Viehhof etwas im Argen liegt, sagt Tuncay Acar, das sei ihm neulich aufgefallen, als er dort ein wandhohes Graffito las: "Bahnwärter Thiel angreifen". Acar hat mit dem Viehhof direkt gar nichts zu tun. Aber als Kulturveranstalter, der oft mit Zwischennutzung arbeitet, hat er seine Erfahrungen mit den schwindenden Freiflächen für die Kreativen in der Stadt. Und deshalb treibt ihn auch um, was da auf dem Viehhof los ist.

Auf dem Gelände, das früher einmal zum Schlachthof gehörte, wird gebaut. Bis 2021 sollen dort das neue Volkstheater sowie dringend benötigte Wohnungen entstehen. Deshalb muss die Subkultur, die sich angesiedelt hat, dicht zusammenrücken: Das Open-Air-Kino mit Nachtbiergarten hat sich im vergangenen Sommer schon verabschiedet, der Betreiber will auf das Großmarktareal umziehen. Eine Mauer voller Streetart-Kunstwerke ist niedergerissen. Der Bahnwärter Thiel, eine kleine, noch wachsende Kulturstadt aus alten Schiffscontainern, einem ausrangierten Bahn- und einem U-Bahn-Waggon, darf sich hier für die nächsten Jahre noch niederlassen, ein paar Meter entfernt von seinem früheren Winterstandort. An einer Mauer wird wild gegärtnert. Noch. Die Mauer wird aber über den Sommer saniert werden.

Der Viehhof war eines der letzten Refugien für eine sich frei entwickelnde Subkulturszene. Am Schrumpfen dieses Refugiums zeigt sich beispielhaft, welche Folgen das stete Wachstum der Stadt für freie Kreative hat. Und es tun sich neue Konflikte auf, wie kürzlich bei einer Diskussion im "404 - page not found" zu erleben war, einem von Tuncay Acar mitbetriebenen Bar-Café-Workspace-Veranstaltungsort an der Ecke Müller-/Corneliusstraße. An diesem Abend treffen sich hier einige Köpfe der Münchner Sprayer-Szene mit Daniel Hahn, der den Bahnwärter Thiel betreibt, zur Diskussion über das Zusammenleben auf dem Viehhof; Tuncay Acar moderiert.

Gehässige Sprüche über den Bahnwärter Thiel und Schmierereien über aufwendige Streetart tauchen in letzter Zeit immer häufiger auf. "Wir hatten immer die Idee, das Sprühen dort zu legalisieren, weil da in München ein großer Bedarf besteht", sagt Daniel Hahn. Dass einige sich den Bahnwärter nun als Feindbild rauspicken, findet er schade und "nicht besonders weit gedacht". Tags, Sprayer-Namenszeichen auf seinem Zelt, auf den Waggons, das habe es immer schon gegeben, aber keine gezielten Aktionen gegen sein Projekt. "Ich würde mir wünschen, dass wir uns nicht gegenseitig das Leben schwer machen." Ein Sprayer meldet sich zu Wort, sagt, er habe nichts gegen den Bahnwärter, aber man habe sich selbst bei der Stadt um das Gelände bemüht. Nur sei da ohne kommerzielle Interessen eben nichts zu holen - bloß Freiräume zu erhalten, das zähle anscheinend nicht.

Eine Runde junger Leute taucht auf, die nicht damit hinter dem Berg halten, warum sie sauer sind. "Deine Subkultur für zwölf Euro Eintritt ist genauso Teil von Gentrifizierung wie das Volkstheater", sagt einer zu Daniel Hahn. "Unkommerzielle, unkontrollierte Flächen in der Stadt verschwinden einfach." Loomit, Münchens bekanntester Street-Artist, bekommt von ihnen zu hören, er arbeite doch fleißig an der Gentrifizierung mit. Und überhaupt seien alle im Grunde bloß Teil des kapitalistischen Systems.

Die Älteren fühlen sich beinahe gerührt an ihre eigene Jugend erinnert, und die Jugend schreit empört auf bei dem Hinweis, dass sie ihre radikale Sichtweise mit der Zeit vielleicht noch abmildern werde. "Es muss doch diese Plätze geben, an denen man einfach nur abhängen kann in der Stadt, die frei bleiben von Kommerzialisierung", sagt eine junge Frau. "Diese Plätze sind einfach nicht mehr da." Der Viehhof ist auch nicht der einzige Ort, an dem es Konflikte gibt. Als etwa bekannt wurde, dass der Wannda-Zirkus, ein Kreativkollektiv mit Happenings im Zirkuszelt, im Mai an das Kreativquartier an der Leonrodstraße ziehen wird, wurde bei den dortigen Nutzern Unmut wegen möglicher Terminüberschneidungen laut. Auch wenn der Zirkus weitere Besucher anzieht. Die Plätze für Subkultur sind rar, einen Platz für sein Projekt zu finden gleicht einem Reise-nach-Jerusalem-Spiel.

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Neben dem Viehhof plant Veranstalter Daniel Hahn einen ganzen Kosmos rund um den Club: Mit Partys, Lesungen, Ateliers, Probenräumen, Kino - und einem echten Bahnwärterhaus.

Von Michael Zirnstein

Und nicht nur die Subkultur kommt durch die Nachverdichtung in Bedrängnis. In Au-Haidhausen etwa schlugen zuletzt die Sportvereine Alarm. 2 000 neue Wohnungen entstehen unter anderem auf dem alten Paulaner-Areal, aber mehr Raum für die Vereine gibt es nicht. Die einzige Dreifachturnhalle sei jetzt schon überlastet. Sportvereine haben Wartelisten, mit denen sie mehrere Mannschaften besetzen könnten, aber es scheitert am nicht vorhandenen Platz. Und so greift die Befürchtung um sich, München könne dramatisch an Lebenswert verlieren und zur Schlafstadt für Reiche verkommen.

Im 404 geht es schließlich darum, wie man sich auf dem verbliebenen Raum im Viehhof über die nächsten Jahre arrangiert. Das Areal ist eine wichtige Anlaufstelle für die Streetartszene, die in der Stadt kaum legale Möglichkeiten hat. Aber die Szene an sich ist sehr divers. "Wir müssen uns als Gemeinschaft einig werden, was wir uns wünschen für das Gelände, was gefordert wird", appelliert Sprayer Johannes Wirthmüller. Doch wie das klappen könnte, dass alle friedlich miteinander auf der schrumpfenden Fläche existieren, bleibt letztlich ungeklärt.

Wenn es um Freiraum für Subkultur in München geht, dann kommt oft das Schlagwort "Zwischennutzung" ins Gespräch. Und tatsächlich gab und gibt es ja viele spannende Orte: Vor Jahren das Puerto Giesing und bis vor kurzem schräg gegenüber das Flostern. Noch aktuell sind das Container Collective im Werksviertel und das Gans am Wasser im Westpark, um nur einige Beispiele zu nennen. Tuncay Acar vom 404, das zunächst auf ein Jahr befristet ist, hat bis vor kurzem das Import/Export mitbetrieben, erst in der Goethestraße, jetzt im Kreativquartier. Aber Acar kann auch davon erzählen, wie kraftraubend das ist: von jetzt auf gleich ein neues Programm zu stemmen, weil es kurzfristig doch noch eine Verlängerung gibt, nie Planungssicherheit zu haben. Er findet es grundsätzlich problematisch, dass die Subkultur in München heute vor allem auf Flächen mit befristeter Nutzung stattfindet.

Es ist eine schwierige Debatte, und Lösungen sind nicht in Sicht. Aber dass ätzende Schmierereien der falsche Weg des Umgangs miteinander sind, so viel steht am Ende des Abends dann doch fest.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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