Anti-Kriegskunst :3200 rote Mohnblumen auf dem Königsplatz

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Mindestens drei Wochen sollen die künstlichen, in Handarbeit gefertigten Mohnblumen halten. (Foto: Stephan Rumpf)

Am 11. November jährt sich das Ende des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Der Münchner Aktionskünstler Walter Kuhn wird dann den Königsplatz in ein Meer von Mohnblumen verwandeln, ein Mahnmal für den Frieden.

Von Sabine Buchwald

Es ist ein guter Tag für Walter Kuhn. Kein Regen, kein Wind. Auch die Sonne scheint nicht an diesem 1. November, aber das macht nichts. Denn es ist Herbst. Und der Sommer war groß. Fast hätte Walter Kuhn aufgegeben in diesem heißen Sommer, weil er krank wurde, sich lange nicht schmerzfrei bewegen konnte. Dann ständen jetzt keine Seidenblumen auf dem Königsplatz, und der Münchner Künstler hätte keinen Grund, fortwährend zu lächeln. 3200 Blumen sollen insgesamt hier bald im Boden verankert sein: 70 Zentimeter breite, rote Kreise aus dünnem Stoff mit einer samtenen, schwarzen Mitte.

Mit einem dicken Draht stabilisiert, wippen die Blüten auf ihren hüfthohen Stängeln. Sie sind in die Wiese gebohrt und mit Holzleisten verkeilt, nur mit ganz viel Kraft lassen sie sich pflücken. Sie sollen mindestens drei Wochen halten, diese künstlichen, in Handarbeit gefertigten Mohnblumen, die man auch Klatschmohn oder Klatschrose nennt. "Papaver rhoeas" heißen sie in der Fachsprache der Botanik, "Poppies" im englischsprachigen Raum. Walter Kuhn schaut durch seine getönte, ovale Brille auf die Blumen, die schon fertig sind. Unermüdliche Helfer versenken immer wieder die langen Spitzen der Bohrhammer in den Rasen vor der Antikensammlung, mehr und mehr leuchtend rote Poppies kommen dazu. Noch vor ein paar Wochen hatte Kuhn nach Leuten zur Unterstützung seines Projekts gesucht, jetzt sind mehr gekommen, als er braucht. In Kuhns Gesicht hat sich eine lächelnde Zufriedenheit festgesetzt, die nur dann verschwindet, wenn der Anlass dieser Aktion zur Sprache kommt: der Erste Weltkrieg. Genauer gesagt: der Vertrag von Compiègne am 11. November 1918, der den Waffenstillstand brachte und das Morden beendete. Etwa 17 Millionen Menschen starben in diesem Krieg - und für viele, die verwundet an Körper und Seele von den Schlachtfeldern zurückkehrten, war das Weiterleben so schwer.

Walter Kuhn sieht seine Kunstaktion am Königsplatz als Mahnung. (Foto: Stephan Rumpf)

Das leuchtende Rot der ersten Blumen wirkt schon jetzt auf die Passanten am Königsplatz. Sie bleiben stehen, zücken ihre Handys und fotografieren. Manche fragen, was das denn werden solle, und wollen darüber reden. Eine ältere Damen spricht von Proust, dessen Texte sie beeindruckt hätten, eine andere von Franz Marc und dessen Briefe "aus dem Feld". Der anfangs kriegsbegeisterte Maler starb im März 1916 in der Nähe von Verdun . Das Lenbachhaus ist nicht weit, hier hängen einige seiner Bilder. Der Königsplatz ist auch deshalb der perfekte Ort für Kuhns Projekt.

Mit Alexandra Schörghuber, dem Konditor Rischart und einem weiteren Geldgeber, der anonym bleiben möchte, hatte Kuhn relativ schnell drei Großsponsoren gefunden. Die Stadt hingegen musste Kuhn erst überzeugen. Jetzt stellt das Kulturreferat neben anderem die Bühne und die Technik für die Auftaktveranstaltung am Sonntag, 11. November, um 11 Uhr. Walter Kuhn wird sprechen und in seinem Vortrag erzählen, dass er zu Frieden mahnen will mit den Blumen. Viele Jahre hat der Architekt und Stadtplaner an der TU München als Dozent gearbeitet. Er ist Jahrgang 1946, ein Nachkriegskind also und von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs geprägt. "Nie wieder", das ist, wofür er sich einsetzt. Er erzählt, dass er Anfang der Achtzigerjahre am Rand des Königsplatzes gegen den Aufmarsch von Bundeswehrsoldaten demonstrierte.

"Nie wieder" wird in mehrere Sprachen übersetzt, wird auf dem schwarz gestrichenen Kubus stehen, in dem die Besucher sich schon bald informieren und Literatur hören können. Ausschnitte aus Remarques "Im Westen nichts Neues" etwa. Liest man darin nach, könnten auf dem Königsplatz auch Ratten als Monster des grausamen Stellungskrieges stehen. Aber Kuhn hat sich für Mohn entschieden. Vor zehn Jahren reiste er nach Belgien und war auch in Ypern. Der Name der Stadt in Westflandern ist für die belgischen Nachbarn zum Symbol geworden für "La Grande Guerre", dem großen Krieg, wie der Erste Weltkrieg auf Französisch heißt. Vier Jahre versuchte man die deutschen Soldaten am Vordringen zur Nordsee zu hindern. Es gab kein Durchkommen für sie. Irgendwann auch kein Zurück mehr. Es wurde sinnlos gelitten und gestorben - auf beiden Seiten. Viele Denkmäler in Flandern erinnern an die Toten, die in fast allen Familien zu betrauern waren und den Dörfern die Männer stahl.

Mit dem Gedicht "In Flanders Fields" schrieb sich der kanadische Arzt John McCrae im Mai 1915 den Schmerz von der Seele. Er hatte in der zweiten Schlacht von Ypern einen Freund verloren. Ihm fallen die Mohnblumen ins Auge, die auf den Schlachtfeldern, auf dem blutgetränkten Boden gedeihen, als wäre nichts geschehen. In Großbritannien kennt sie jedes Kind als Zeichen für den Krieg und die Veteranen. Immer um den 1. November wird gesammelt für sie. Wer Geld gibt, bekommt eine Blume aus Papier fürs Revers, kaum ein Nachrichtensprecher im Fernsehen zeigt sich in diesen Tagen ohne dieses Zeichen. 2017 war der Klatschmohn übrigens Blume des Jahres, diese zarte Schönheit ist selten geworden in unserer Natur.

Vielleicht reagieren die Besucher des Königsplatzes auch deshalb so positiv auf das Projekt, weil man die Originale nicht mehr häufig sieht. Zwei junge Männer aus Afghanistan fügten die großen Kunstblumen in den Sommermonaten zusammen. Genäht wurden die Stoffblüten von einer deutsch-bosnischen Firma, Ali Qalandari und Zamir Hosseine haben sie dann auf Draht gezogen. Was wird aus den Blumen nach dem Ende des Projekts? Offiziell verkauft werden dürfen sie nicht. Aber wer eine Spende gibt, darf sich einige nach Hause nehmen.

400 Paten hat Kuhn für die Blumen gefunden. Die Malerin Sabine Kirstein hat so eine Patenschaft übernommen. "Es ist kein Tag zu früh, sich für den Frieden einzusetzen", sagt sie mit dem Bohrhammer in der Hand. Ein Kollege in Camouflage-Jacke findet, dass "die Blumen schön anzuschauen" sind. Er möchte, dass die Leute sie anfassen, keine Scheu haben, mitten rein zu laufen in die Blumenfelder. Kuhn hofft auf gutes Wetter. "Bitte bloß keinen Sturm", sagt er. Das würde womöglich die Seide zerfetzen. Schnee können sie aushalten. Vandalismus aber nicht. Kuhn lächelt. Daran möchte er lieber nicht denken.

© SZ vom 02.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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