Künstlerporträt:Valentins Visionär

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Im Innenhof des Isartors ist eine Ausstellung über Wiggerl Greiner zu sehen, der mit subversivem Humor zeichnete, was in München nicht mehr ist oder niemals war

Von Christian Jooß-Bernau

An Fantasie hat es ihm ja nicht gemangelt, dem Wiggerl Greiner, aber ob er sich das hätte vorstellen können. Dass man 64 Jahre nach seinem Tod seine Bilder auf wetterfeste Folie druckt und sie auf Baugerüste spannt um damit eine hygienische Ausstellung in pandemischen Zeiten aufzubauen. Interessant gefunden hätte er es mit seinem Blick für das eigenartig Futurische sicherlich. Im Innenhof des Isartors, also da, wo man ins alte München eintritt, hat Kurator Andreas Koll für das Valentin-Karlstadt-Musäum eine Ausstellung über einen aufgebaut, der auf eine subversiv zurückhaltende Weise die Stadtgeschichte mitgestaltet hat. "Ein Meister des Münchner Humors" steht im Untertitel der Ausstellung, was, hat man sich ein wenig mit Greiner beschäftigt, gar nicht mehr so gewagt klingt.

Ludwig Greiner als "De gscheert Katl". (Foto: Valentin-Karlstadt-Musäum München)

Das erste Foto vom Wiggerl: ein ernster Bub im Samtanzug mit Schnürstiefeln - adrette Bürgerlichkeit. Wie sein Vater, ein Kraftlackl und Trum von einem Mann, wird Wiggerl Greiner 1908 Gastwirt. Mit seiner Frau Therese übernimmt er am Oberanger das Gasthaus "Zum Feuerhaus". Ein Jahr zuvor war Valentin Ludwig Fey nach einem kurzen Aufenthalt mit seiner Mutter im sächsischen Zittau nach München zurückgezogen. Feys erste Station war Franz Riedls Gaststätte "Stubenvoll" am Unteranger. Hinter Fey lagen eine Schreinerlehre, die bankrotte Speditionsfirma seines verstorbenen Vaters und erste und durchwachsene Versuche, sich als Komiker durchzuschlagen. Als Riedl dann bei Wiggerl Greiner nach einem möblierten Zimmer für seinen Gast anfragte, war aus Fey schon Karl Valentin geworden. Und da es Valentin nichts auszumachen schien, dass der Weg zu seinem neuen Zimmer durchs Schlafzimmer des Wirtspaares führte, wurde er der Untermieter des Greiners.

"Der Knödeldreher" von Greiner. (Foto: Valentin-Karlstadt-Musäum München)

Wiggerl, 1880 geboren, war zwei Jahre älter als Valentin. Er war zwar gesegnet mit schäumender Kreativität, aber am Ende doch keiner für die Bühnenrampe. Bald begleitet er Valentin am Klavier, sie treten gemeinsam auf. Entscheidend aber ist, dass Greiner den Kern des Komikers fassen kann, als wäre er sein Agent. So spricht er einen der wichtigsten Sätze in Valentins Karriere: "Du bist doch koa Salonhumorist, du bis ja a Karikaturkomiker mit dei'm Gstell." Und seine Frau Therese näht ein hautenges Athletentrikot, das Valentins klapperdünne Gestalt auf das Unvorteilhafteste zur Geltung bringt. Auf dem berühmten, von Greiner gestalteten Plakat, sieht man das Image in Vollendung. Valentin mit steckerldürren Haxn auf einer Art Seifenkistenflugzeug reitend wie auf einem Steckenpferd, eine staksig in den Himmel wachsende Gestalt, gezeichnet in leichter Untersicht, zu dessen Füßen die Silhouette München zwergenhaft liegt. Greiner parodiert die Ästhetik des Erhabenen, schafft einen klapprigen Giganten: "Der Witz ist zielstrebig, Humor eher hinterkünftig, selbst, wenn er witzig erscheint", beschreibt der schlaue Ausstellungstext Greiners Wesen. Auch das 1934 von Valentin eröffnete Panoptikum im Keller des Hotel Wagner in der Sonnenstraße ist maßgeblich von Greiner beeinflusst, der in seinen Zeichnungen die Merkwürdigkeiten für diese eigenartige und fürchterlich erfolglose Ausstellung des Gruselig-Spaßigen entwirft.

Greiners Karl Valentin-Plakat. (Foto: Valentin-Karlstadt-Musäum München)

Greiner ist ein zeichnender Visionär, der die Zukunft sieht, auch wenn sie ihm nicht gefällt. 1932 skizziert er den Münchner Hauptbahnhof. Ein funktionales Schachteldings, auf dessen Dach Flugzeuge landen können und das mühelos als Vorlage für alle künftigen architektonischen Verirrungen bis heute hätte durchgehen können. 1934 entwirft er den Marienplatz neu: Altes und Neues Rathaus und selbst Fischbrunnen kubistisch reduziert. Aus dem viereckigen Lautsprecher tönt, was vom Glockenspiel übrig blieb: "Kling Kling". Greiner ist eben auch Verteidiger eines nostalgischen Gefühls. Und das muss nicht zwingend in der Realität wurzeln. 1916 schicken sie ihn an die Vogesenfront. Greiner kocht, spielt Theater, arbeitet als Kinovorführer und zeichnet für den "Bayerischen Landwehrmann" Humoriges aus dem Soldatenleben. Kriegsbegeisterung ist das nicht, eher ein Selbstschutzmechanismus, bei dem die Granate noch zum Scherz taugt. Hält man seine Fotos neben seine Aquarelle wird der Weichzeichner über dem Grauen offensichtlich: Idyllisch duckt sich das verfallene Häuschen in die Landschaft der französischen Gemeinde Hohrod. Sein Foto zeigt dann die zusammengeschossenen Wohnhäuser.

Gegen Ende seines Lebens träumt er taub in einem Münchner Altenheim, von seiner Stadt. Zeichnet das, was nicht mehr ist und manchmal das, was niemals war: ein idyllisches Leben in der Au, in Haidhausen. Auch eine Hexenverbrennung am Isartorplatz ist darunter, deren Grauen sich im Farbspiel von Kleidern und Feuer verflüchtigt. Die Wehmut des Alters ist da schon stärker als der schäumende Bierseidelfuturismus von einst. Hätte man den Wiggerl Greiner machen lassen, er hätte dieses München damals heimelig neu erfunden: Der Hosenfleck-Aufnäh-Elektronen-Roboter hätte den Schneider ersetzt, ein anderer Roboter, "Der Knödeldreher", die Hausfrau. Und die Verkehrssicherheit hätte das Ziehharmonika-Auto gehoben, das beim Aufprall elegant zusammengestaucht wird und dabei, etwas Sentiment muss sein, alte Schlager spielt.

Wiggerl Greiner: Ein Meister des Münchner Humors , Innenhof des Isartors, bis 13. Nov

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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