Kooperation:Alle an einem Tisch

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Beim Regsam-Stadtteilfest in Forstenried zeigten Jugendliche mit Migrationshintergrund, welche Hürden sie überwinden müssen. (Foto: Catherina Hess)

Das soziale Netzwerk "Regsam" leistet seit 25 Jahren wichtige Arbeit in der ganzen Stadt. Wo auch immer es Probleme gibt, bringen die Moderatoren des Vereins die Akteure zum Gespräch zusammen

Von Nicole Graner, München

Die interne Kontakt-Datenbank des sozialen Netzwerks Regsam zählt rund 3000 aktive Akteure. Rechnet man alle Einrichtungen und Engagierten und Beteiligten dazu, mit denen Regsam schon einmal zu tun hatte, sind es sogar 7000 Adressen. Der Verein versteht offensichtlich sein Handwerk. Geschäftsführerin Martina Hartmann beschreibt die Kunst des Netzwerkens so: "Die richtigen Leute zu finden, ist ein Prozess. Man muss das Netzwerk pflegen, bei informellen Treffen, in die Einrichtungen gehen. Die Leute an einen Tisch zu bringen, ist manchmal zäh, manchmal stößt es auf eine erstaunliche Bereitschaft. Und es braucht vor allem Zeit und Verlässlichkeit."

In diesen Wochen feiert das Netzwerk seinen 25. Geburtstag, es lädt seine Kontakte zum gemeinsamen Jubiläumsfest und diskutiert mit Soziologen und Stadtplanern über Urbanität. Eigentlich als Modellprojekt entwickelt, ist der Verein 25 Jahre nach seiner Gründung im Münchner Gefüge von Unterstützern und der Verwaltung fest etabliert. Wenn Martina Hartmann, die selbst als Regsam-Moderatorin angefangen hat, über die Arbeit des Vereins "Regionalisierung der sozialen Arbeit in München" erzählt, fallen Zurufe der Tatkraft. "Es sollen ganz viele kleine und große Ideen entstehen", zum Beispiel, oder: "Es entsteht ein Flow in der Arbeit im Netzwerk: Jetzt wollen wir etwas zusammen voranbringen." Genauso kennt der Verein seine Grenzen.

Es ist zunächst einmal die Qualität von Regsam, im Austausch die Innovation zu finden. Ein Beispiel: Als sich der Verein die Blumenau vornahm, identifizierten Regsam und das Netzwerk mehrere Problembereiche: Der Stadtteil schien abgehängt zu sein, es gab Jugendliche ohne Perspektive. Im Gesamtblick und der Diskussion im Viertel aber erkannte das Netzwerk, dass der Blumenau die gemeinsame Identität fehlte. "Wir wollten zeigen: Die Blumenau ist ein lebendiger und lebenswerter Stadtteil", sagt Hartmann. Infolgedessen erstellte das Netzwerk ein Stadtteil-Logo, organisierte eine Praktikumsplatzbörse und ein Sommerfest, das zur Institution im Viertel geworden ist.

Im Fall der Regsam-Arbeit in der Laimer Wohnsiedlung "Alte Heimat" sollten die Bewohner intensiv befragt werden - es sei ein "Glücksfall" gewesen, dass sie dafür Studenten einer Hochschule für Soziale Arbeit aus Landshut gewinnen konnte, sagt Geschäftsführerin Hartmann. Regsam begleite auch immer öfter die Entwicklung in Neubaugebieten, etwa in der Parkstadt Schwabing, am Arnulfpark oder in Nymphenburg Süd.

Regsams Handlungsmöglichkeiten enden bei den "hard facts", sagt Hartmann, also dabei, harte Fakten zu schaffen. Regsam kann zum Beispiel nicht den fehlenden Bürgertreff in der Siedlung am Lerchenauer See bauen, aber der Verein treibt den politischen Auftrag dazu an. Schwierig sei mitunter auch die Querabstimmung zwischen den städtischen Referaten.

Anfang der Neunzigerjahre beschloss das Sozialreferat, Bereiche der sozialen Verwaltung zu dezentralisieren, um eingehender den Zustand einzelner Viertel zu beobachten. Ergebnis dieser Entwicklung war auch das 1992 eingeführte Modell "Regionalisierung sozialer Arbeit". Anfangs war Regsam in vier Regionen angesiedelt, mittlerweile widmet sich das Netzwerk jedem Stadtteil. Wie die Aufgaben gewachsen sind, lässt sich als eine Art Zoom nach innen bezeichnen. Seit 2010 wählt Regsam Schwerpunktgebiete in den Vierteln aus, die längere Zeit lang besonders betrachtet werden, "ein Erfolgsmodell", sagt Hartmann, "in allen Schwerpunktgebieten gab es eine nachhaltige Entwicklung".

Andererseits hat der Verein auch den Schritt zurück, den Zoom nach außen vorgenommen und agiert im stadtweiten Kontext: Seit 2014 behält Regsam den Überblick über die Flüchtlings- und Wohnungslosenarbeit in München. Ergeben hat sich daraus etwa jüngst ein Projekt, bei dem die Moosacher Regsam-Moderatorin eine Schule mit Akteuren der Flüchtlingshilfe im Viertel zusammengebracht hat - und die der Lehrerschaft über besondere Bedingungen im Leben von Migrantenkindern berichtet haben. Das Projekt soll womöglich in weiteren Viertel ergänzt werden.

Regsam teilt die Stadt in 16 Regionen ein. Acht Moderatoren sind für die Gebiete verantwortlich. Der Verein beobachtet, dass die Situation älterer Menschen als Thema immer wichtiger wird. "Die hohen Mietpreise in der Stadt erzeugen eine Armut auch im Alter. Es gibt Senioren, denen es schwerfällt, sich zu öffnen und Hilfe zu suchen", sagt Hartmann. "Das erzeugt auch Isolation."

Was aber wird die größte Herausforderung der Stadt in Zukunft sein - und welche Rolle wird Regsam dabei spielen? "Das Thema Solidarität und Begegnung", sagt Geschäftsführerin Hartmann. Wie sich die Stadtviertel und das Zusammenleben verändern, was an Originalität der Viertel bleibt, wie sie mit dem Zuzug umgehen oder wie sich eine Krankenschwester, ein Polizist oder eine Erzieherin die Stadt noch leisten können. Hartmann will dazu die Erkenntnisse von Regsam einbringen und ein "Best of" der Vereinsarbeit zusammenstellen, denn Monika Hartmann ist überzeugt: "Ohne Vernetzung geht es nicht mehr."

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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