Konzerte:Musik verleiht Flügel

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Im "Spectaculum Mundi" in Fürstenried organisiert Romy Schmidt Deutschlands größtes A-cappella-Festival

Von Julian Raff, Fürstenried

So selbstbewusst der Name, so unauffällig verbirgt sich das "Spectaculum Mundi" hinter den Fassaden eines Jugend- und Sportzentrums im, pardon, eher unspektakulären Fürstenried-West. Umso größer der Wow-Effekt im ersten Stock: In einem künstlerisch dekorierten, professionell ausgerüsteten Saal, der größer wirkt als seine 14 mal neun Meter, empfängt Romy Schmidt das Publikum unter einem "Sternenhimmel" aus Tausenden leuchtenden Glasfaserfäden. Den Weg dorthin erklärt die Gründerin und Leiterin jedem, der telefonisch reserviert, lieber zweimal. Nicht nur, dass Schmidt mit Rücksicht auf die anderen Nutzer des Geländes an der Graubündener Straße auf ein werbewirksames Portal verzichten muss; die ganze Gegend, durch Waldfriedhof und Autobahn vom Rest der Stadt getrennt, scheint ewig weit draußen - obwohl per U-Bahn erreichbar.

Ohne sie gibt's kein Spectaculum: (von links) Stefan Sendsitzky, Technik, Romy Schmidt, Leitung, und Michael Herzsprung an der Theke. (Foto: Johannes Simon)

Ganz nebenbei kann sich Schmidt also auch die kulturelle Belebung einer Trabantenstadt auf die Fahnen schreiben. In erster Linie hat sie aber mit "Vokal Total", kurz darauf mit "Musica Antica Viva" zwei Festivals von überregionalem Rang aufgezogen. Mit Abenden in Zenith, Freiheiz- und Tonhalle oder im Olympia-Theatron, sprengen diese zwar ab und zu den 260-Plätze-Rahmen im Spectaculum, sie behalten aber dort ihre Heimat. Vokal Total ist im 21. Jahr mit bis zu 40 Auftritten längst zum deutschlandweit größten A-cappella-Festival herangewachsen und lotet die Grenzen des Genres in jede Richtung aus. Nichts gegen einen "kleinen grünen Kaktus", aber dahinter tun sich ungleich vielfältigere, verkannte Musikwelten auf, die Schmidt für sich entdeckt - und einem wachsenden Publikum erschlossen hat. Womöglich fühlt sie sich dort noch ein bisschen mehr daheim als in den Mittelalter-, Folk- und Fusion-Klängen des Antica-Viva-Programms, das sie 1998, ein Jahr nach Vokal Total, erstmals auf die Bühne des Fürstenrieder Jugendcafés "Intermezzo" brachte. Dort, genauer gesagt, beim Kreisjugendring (KJR), war die studierte Kulturwissenschaftlerin schon Anfang der 90er-Jahre angestellt, als ihr Kollege und guter Freund Stefan Sendsitzky die Bühne des Zentrums ins "Backstage" verwandelte, das 1993 in die Stadt umzog. "Spectaculum Mundi im Backstage" hieß zunächst nicht der Spielort, sondern eine von Schmidt kreierte Veranstaltungsreihe. Der Name entstammt einer "Bierlaune", verrät Romy Schmidt.

Ganz nüchtern klapperte sie zunächst im "Schnellkurs" die Münchner Kabarettbühnen ab und holte vielversprechenden Nachwuchs an den Stadtrand, offenbar mit dem richtigen Riecher. Im frühen Programm finden sich heutige Größen wie Michael Mittermeier oder Martin Schneider. Das A-cappella-Virus fing sich Schmidt eher zufällig bei der Konkurrenz ein. Ein Plakat der Buddhas im Feierwerk weckte Neugierde. Es dauerte zwar zwei Jahre, die Hamburger Formation nach Fürstenried zu holen, weitere Zugpferde wie die Kölner Wise Guys oder Maybebop brachten das Festival aber von 1997 an schnell in Fahrt. Mit den britischen Flying Pickets trat 1999 eine chartbekannte Truppe auf. Deren süßlicher Hit "Only You" zeigt nicht unbedingt das Kreativpotenzial des Genres auf, aber dafür gibt es ja das restliche Programm mit allerlei Sprach- und Klangexperimenten. Ein treues, aufgeschlossenes Publikum in fast immer ausverkauften Sälen sowie persönliche Atmosphäre und Betreuung machen die Festivals auch für die Künstler attraktiv. Mit üppigen Gagen kann Schmidt angesagte Acts aber nach wie vor nicht anlocken. Bescheidene Unterbringung ist gerade noch drin, Reisekosten sind es nicht, weshalb sie versucht, internationale Künstler auf ihren Tourneen "abzufangen".

Hinter dem Programm steht schließlich neben dem künstlerischen auch ein sozialer Anspruch: Die Eintrittspreise im Spectaculum übersteigen selten die 20-Euro-Marke und liegen auch in den größeren Hallen meist nicht allzu weit jenseits davon. Dabei gab und gibt es hier bis heute keinen komfortablen Zuschussbetrieb zu verwalten. Das Programm trägt sich selbst, bis auf Schmidts Planstelle, die sie dank überzeugender Konzepte und diplomatischer Überzeugungsarbeit heute ganz dem Veranstaltungsmanagement widmen kann. Das Ganze funktioniert auch dank ehrenamtlicher Unterstützung bei Kartenverkauf, Aufbau, Bewirtung - und natürlich weiterhin dank Stefan Sendsitzky an der Technik und Michael Herzsprung an der Theke. Abgesehen davon, dass der Saal tagsüber fast durchgehend vom Jugendzentrum genutzt wird, lebt sein Zauber auch von den Früchten der "klassischen" Jugendarbeit: Im Rahmen eines Schülerwettbewerbes entstanden vor über 20 Jahren allerlei künstlerische Flugobjekte. Über der Theke schwebt da etwa ein riesiger filigraner Albatros, gleich daneben, im Otto-Lilienthal-Stil, ein geflügelter Stuhl, der längst zum Zunftzeichen des Spectaculum geworden ist.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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