Ein Bär von einem Barden kommt auf die Bühne, wilde Mähne, zotteliger Bart. "Wollt ihr einen traurigen Song hören? Oder einen wirklich traurigen?", fragt John Joseph Brill sein Publikum und plaudert weiter, dass er ja sonst eine Band dabei habe, die Stücke eigentlich ganz anders klingen und hauptsächlich vom Saufen handeln würden. Dann singt er eines dieser sinistren Lieder, stilistisch im Revier von Bonny 'Prince' Billy, Nick Cave oder auch Kurt Wagner, mit dunkler, stellenweise wuchtig kraftvoller Stimme. Eine halbe Stunde lang ist Brill, Support Act von Daughter an diesem Abend im Technikum, das Gegenmodell zu dem, was folgt - ein Hedonist whiskeyumwölkter Stadtfolklore, dessen Tresen-Weisen eher verkatert als melancholisch wirken.
Daughter hingegen lieben das Pathos des Fragilen, gepackt in Lieder, die die klare, ein wenig erdenferne Stimme von Elena Tonra mit den halligen Gitarrenflächen Igor Haefelis und dem verhaltenen, theatralischen Trommeln Remi Aguilellas kombiniert. Ältere Semester im ausverkauften Technikum fühlen sich an die Achtziger erinnert. An die ausladenden Soundarchitekturen der Cocteau Twins etwa, ein wenig auch an die beschwörender Traurigkeit von Beth Gibbons, die einst den Ernst in technobunte Jahre zurückholte. Und der Gegenwartspop kennt die frühen Coldplay als Vorbild, als die Herren noch ernsthafte Botschaften abseits der Hitparaden pflegten.
Musik von molltrunkener Schönheit
Auch Tonra hat diese Anmutung des Introvertierten, die ihren Liedern den nötigen Nachdruck verleiht. Sie singt mit Mitte Zwanzig schließlich nicht von den Pickeln der Pubertät oder von Teenagern, die Hormonnöte plagen, sondern sinniert über Demenz und die Einsamkeit des Alters, über die Leere des Sex in verglühten Beziehungen oder die Kraft, die es braucht, sich in einer immer weiter zerfleddernden Welt nicht zu verlieren.
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Dabei fehlt ihr jedwede Koketterie der Besserwisserin. Im Gegenteil: Wenn Tonra selbst eine Ansage machen muss, dann hört man die in der Musik so beschwörende Stimme kaum. Verhuscht entschuldigt sie sich für vermeintliche Fehler, schüchtern nimmt sie die Huldigungen der Menschen entgegen, die sich in der Musik wiederfinden.
Dabei gibt es so viel noch gar nicht zu präsentieren. Zwei Alben hat die Londoner Band bislang veröffentlicht, eines davon mit Folk-Appeal, das zweite, aktuelle und in Brooklyn produzierte "Not To Dissapear" mit der Tendenz zu überladener Hymnik. Aber ihre Musik trifft die Empfindungslage von Menschen, die an der Oberflächlichkeit der Konsumwelt zweifeln - besonders das in mehreren Werbeclips und Serien eingesetzte Songs "Youth", das als vorletztes Stück des Konzerts auch einen Hauch mehr Euphorie als die vorangegangenen Lieder im Publikum hervorruft.
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Da passt diese Mischung aus großer Geste und Innensicht, aus spürbarer Unsicherheit und ausladender Hymnik. Es ist Musik, bei der es schon beinahe unhöflich wäre, angesichts ihrer molltrunkenen Schönheit mehr als eine Zugabe zu verlangen. Beim nächsten Mal jedenfalls - und Daughter wollen bald wiederkommen - dürfte unter diesen Voraussetzungen schwelgender musikalischer Empathie die Halle ein wenig größer sein.