Father John Misty im Strom:Der ausgewetzte Hüftschwung

Lesezeit: 2 min

Joshua Tillman in der Rolle des Father John Misty auf der Bühne (Archivbild) (Foto: AFP)

Joshua Tillman war Schlagzeuger der Fleet Foxes, jetzt ist er Father John Misty. Im Strom bringt er tiefes Gefühl und Popstar-Parodie unter einen Hut. Wie das geht? Mit peinlich genauer Choreografie.

Von Josa Mania-Schlegel

Wie aus dem klemmigen Schlagzeuger eine Kunstfigur wurde

Den wuchtigen Mikrofonständer wirft sich Father John Misty gleich mal lässig in den Nacken, wie ein Holzfäller seine Axt, auf dem Weg in den Wald. Dann geht die große Father-Show los: Der Nick-Cave-Hüftschwung ist dabei und der verzweifelte Griff an den Kopf. Auch die sehnsuchtsvoll ausgestreckte Boygroup-Hand in Richtung Publikum. Schließlich der Sprung aufs Schlagzeug und ein letztes Räkeln und Aufbäumen am vordersten Ende der Bühne. Wer ist dieser Typ noch mal?

Father John Misty, abseits der Bühne Joshua Tillman, hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Wandel vollzogen: Aus dem klemmigen Schlagzeuger der Sentimental-Folk-Helden Fleet Foxes wurde 2012 quasi über Nacht die zynisch-romantische Kunstfigur Father John Misty.

Die CDs der Woche - Popkolumne
:Es lebe die Retromania

Neu ist nicht immer besser. Manchmal ist es schön, in der musikalischen Vergangenheit zu schwelgen und Künstlern bei der Wiederauferstehung zuzuschauen. Im Jahr 2012 gelang dem alten Meister Dr. John eine solche, doch es gab auch ganz wunderbare Debüts.

Zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne. Von Jens-Christian Rabe

Diktierte Tillman früher aus dem Hintergrund seichte Grooves, ist er heute sein eigener Frontmann - und für Musikblogger ein verlässlicher Lieferant gut platzierter Spitzen gegen die Branche: Seine bitterböse Parodie auf Ryan Adams' Taylor-Swift-Cover schlug hohe Wellen. Oder die herrlich wirre Ankündigung eines eigenen Streaming-Dienstes "SAP" - selbstverständlich ein Kommentar auf die oft ungelenken Versuche einiger Kollegen, sich im Internet zu vermarkten.

Und natürlich ist da noch das aktuelle, pompöse Album "I Love You, Honeybear". Das handelt vor allem von: der großen Liebe. Was im Strom spätestens bei der Zugabe klar wird, als der Father zum einfühlsamen "I Went To the Store" ansetzt: Die Abhandlung Tillmans enger Verbindung zu seiner Ehefrau Emma beginnt mit der ersten Begegnung auf dem Parkplatz des legendären Laurel Canyon Country Store in Los Angeles - hier fuhren schon Jim Morrison, Mick Jagger oder David Bowie für einen Schokoriegel ran - und endet mit dem "letzen Mal Liebe machen". Das Münchner Publikum ist mucksmäuschenstill, wenn Tillman den behutsam gezupften Akkordfolgen lange, atemlose Pausen folgen lässt.

Unfassbar überzogene Posen

Spätestens dann muss man sich aber fragen: Wie geht das hier überhaupt zusammen? Father John Misty, der verletzliche Gefühlsmensch. Und Father John Misty, der übereifrige Kommentator von Popkultur. Was beide Welten vereint, wird live sichtbar: Es sind Tillmans emotionsgeladene, aber eben auch unfassbar überzogene Posen. Die Boygroup-Hand, der Hüftschwung, der Griff an den Kopf - all das kann bedeuten: Mein Herz ist kurz davor zu bersten, einerseits. Und andererseits: Seht mich an, die maßlose Parodie eines oberflächlichen Plastik-Popstars.

Voraussetzung für die Doppelbödigkeit dieser Choreografie ist ihre Kontinuität - bei Father John Misty sitzt wirklich jeder Move. Wer die Show nun schon zum zweiten oder dritten Mal gesehen hat, dürfte sich bereits leicht veräppelt vorkommen, so peinlich genau hält sich Father John Misty an die offensichtlich einstudierten Bewegungsabläufe.

Auf seiner Tour, die seit fast einem Jahr läuft, wirken manche Gesten schon etwas ausgewetzt. Rockstar-Allüren, die eigentlich Kontrollverlust bedeuten - der säbelartig geführte Mikrofonständer gehörte dazu, genau wie die seitlich geworfene Akustikgitarre - sind bei Father John Misty fest eingeplante Elemente.

Und plötzlich irritiert er das Publikum auf grandiose Weise

Gegen Ende eines der letzten Songs, der Springsteen-Verhohnepipelung "Bored in the U.S.A.", führt Father John Misty dann noch einen Zaubertrick vor. Nach jeder witzigen Punchline, die er halb vorliest, halb johlt, setzt eine Lachspur ein - wie bei klassischer Stand-Up-Comedy. Das sorgt für einen grandiosen Moment der Irritation, wie es ihn auf Konzerten sonst nicht gibt. Warum kichern die alle? Habe ich da was nicht verstanden?

Irgendwann wird jedem klar, dass die Lacher aus der Konserve kommen. Die Zuschauer können jetzt die eigene Reaktion mit der eines imaginären, konkurrierenden Publikums abgleichen, das hörbar großen Spaß an der Nummer hat.

Vor gedachtem wie anwesendem Publikum zeigt Father John Misty dann seine beiden Gesichter. Als leidender Entertainer, der sich für die schnelle Befriedigung seines Publikum aufzehrt, beherrscht der Magier Tillman für einen großen Moment beide Welten: Hingabe und Spott.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: