Kommentar:Ein Spiegel für München

Lesezeit: 1 min

Das jüdische Gemeindezentrum ist Anlaufstelle und Schaufenster - und es muss die Münchner auch ermahnen

Von Jakob Wetzel

Der 9. November 2006 hat München die Augen geöffnet. An jenem Tag vor zehn Jahren zog die Israelitische Kultusgemeinde aus einem Hinterhof an der Reichenbachstraße in ihr Gemeindezentrum am neu gestalteten Sankt-Jakobs-Platz in der Altstadt. Dieser Platz besteht aus Schiefer, Kalkstein und Granit, aus einem Museum, einer Synagoge und einem Gemeindehaus. Doch er ist mehr als das: Denn seitdem tritt in der Stadt vieles zutage, was zuvor verborgen war. Natürlich: Auch vorher hatte es in München jüdisches Leben gegeben. Es war aber weitgehend unsichtbar geblieben. Das jüdische Zentrum dagegen ist Anlaufstelle und Schaufenster geworden. Berührungsängste sind geschwunden. Die Synagoge, einen mehrfach ausgezeichneten Bau des Saarbrücker Büros Wandel, Hoefer und Lorch, haben Hunderttausende besichtigt, die Nachfrage ist ungebrochen.

Doch der neue Jakobsplatz ist nicht nur Schaufenster der jüdischen Gemeinde, er ist auch ein Spiegel für die Stadtgesellschaft. Und der Blick in diesen Spiegel ist nicht immer angenehm. Denn in ihm lässt sich ablesen, wie gefährdet das Gemeindeleben in München noch immer ist: Die Synagoge kann nur nach Anmeldung besichtigt werden. Jeder muss eine Sicherheitsschleuse passieren, wenn er ins Gemeindezentrum will. Das Ensemble wird mit Pollern abgeschirmt und gesondert von der Polizei beschützt. Vormittags, wenn die Kinder der Sinai-Grundschule Pause machen, kann man sie lachen hören, aber nicht sehen; sie spielen in einem geschützten Innenhof.

Es gibt sie noch immer, die Angst der Juden - und auch die Drohanrufe. Zuletzt wurden in München mehrere Veranstaltungen zum Nahost-Konflikt abgesagt, daraufhin kam eine Debatte auf, ob der vorgebrachte Vorwurf des Antisemitismus nicht doch etwas hysterisch sei. Zur gleichen Zeit beteiligten sich verurteilte Rechtsextreme offen an Pegida-Märschen durch München - verurteilt dafür, dass sie einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung des jüdischen Zentrums verüben wollten. Das Gemeindezentrum muss die Münchner ermahnen, dass sie sich diese Anfeindungen bewusst machen und ihnen entschlossen entgegentreten. Um ihnen diesen Spiegel vorzuhalten, ist das Herz der Stadt genau der richtige Ort.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: