Kommentar:Die Vielfalt des Bösen

Lesezeit: 1 min

Den Opfern der Gewalttat vom OEZ hilft Ursachenforschung nicht mehr. Aber wer ähnliche Taten verhindern will, der sollte nicht vorschnell in Schubladen einsortieren

Von Martin Bernstein

Was wäre wohl passiert, wenn David S. für den "Islamischen Staat" statt für Hitler und Breivik geschwärmt hätte? Ob die neun Morde vom 22. Juli am Olympia-Einkaufszentrum dann im Abschlussbericht des Innenministeriums auch als Amoktat bezeichnet worden wären? Vermutlich würde die Bluttat als schrecklicher Höhepunkt einer islamistischen Anschlagserie im Sommer 2016 gewertet werden, die auch die Taten von Würzburg und Ansbach umfasst.

Nein, nach allem was man weiß, war David S. kein Rechtsextremist - wenn man dafür die Zugehörigkeit zu einer Szene oder gar die Mitgliedschaft in einer Gruppe zum Maßstab nimmt. Der Todesschütze von München war ein psychisch kranker Einzelgänger, der der realen Welt mit exzessivem Computerspielen zu entkommen suchte. Keine Gruppe, zu der er gehörte, keine Freundeskreise, in denen er willkommen war - das war ja genau das Problem des 18-Jährigen. Und trotzdem, nach allem was inzwischen bekannt geworden ist, war David S. eben doch ein Rechtsextremist - wie anders sollte man jemanden nennen, der den "Deutschen Gruß" zeigt, Hakenkreuze malt, für den Attentäter Breivik und für Adolf Hitler schwärmt und der Ausländer hasst, weil er sie für sein persönliches Leid verantwortlich macht. Attentäter oder Amokläufer? Wäre es nur ein Streit um Begriffe, er würde sich auf der Stelle verbieten angesichts von neun Toten. Doch es geht um mehr - vor allem darum, was man aus derartigen Taten lernen kann.

Der Abschlussbericht zur Bluttat am OEZ und die Diskussion im Landtag zeigen am Ende eines: Wer wirksame Prävention betreiben will, darf nicht vorschnell in Schubladen einsortieren - hier der psychisch kranke Amokläufer, dort der ideologisch verblendete Attentäter. Es sind nicht zuletzt Gewalt verherrlichende Ideologien wie der Rechtsextremismus oder der militante Islamismus, die eine Sogwirkung auf ausgegrenzte, traumatisierte, seelisch angeschlagene junge Menschen ausüben können. Einmal nicht Opfer sein, einmal stark sein, zurückzuschlagen, es "denen" heimzahlen zu können: Davon träumten viele, die dann zu Amokläufern wurden. Oder zu Attentätern. Die Übergänge sind fließend. Amokläufer mit rechtsextremistischem Hintergrund, psychisch kranker Attentäter - und jüngst in Dortmund sogar Terrorist ohne Ideologie, sondern aus Geldgier. Die verstörende Vielfalt des Bösen erfordert es, Scheuklappen abzulegen.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: